Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Auslegung von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei. Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats und der ordnungsgemäßen Beschäftigung. Kein Rechtsmissbrauch, wenn ein türkischer Arbeitnehmer seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat verlängern will, obwohl er sich ausdrücklich mit der Beschränkung seines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat einverstanden erklärt hatte

 

Normenkette

EWGAssRBes 1/80/EWG Art. 6 Abs. 1

 

Beteiligte

Faik Günaydin

Hatice Günaydin

Günes Günaydin

Seda Günaydin

Freistaat Bayern

 

Verfahrensgang

BVerwG (Entscheidung vom 24.11.1995; Aktenzeichen 1 C 33/93)

 

Tenor

Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurde, ist so auszulegen, daß ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über drei Jahre lang rechtmäßig eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeübt hat und dessen berufliche Situation sich objektiv nicht von der anderer von demselben Arbeitgeber oder in der betreffenden Branche beschäftigter Arbeitnehmer unterscheidet, die gleiche oder gleichartige Tätigkeiten ausüben, im Sinne dieser Bestimmung dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates angehört und dort ordnungsgemäß beschäftigt ist. Ein solcher türkischer Staatsangehöriger hat somit einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, obwohl ihm dort die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber nur vorübergehend und nur zu dem Zweck, sich mit einer Tätigkeit in einem Tochterunternehmen seines Arbeitgebers in der Türkei vertraut zu machen und sich auf sie vorzubereiten, erlaubt worden ist und ihm Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse nur zu diesem Zweck erteilt worden sind.

Es stellt keinen Rechtsmißbrauch dar, wenn ein türkischer Arbeitnehmer seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat verlängern will, obwohl er sich ausdrücklich mit der Beschränkung seines Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat einverstanden erklärt hatte. Durch den Umstand, daß dieser Arbeitnehmer erklärt hatte, nach Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat, die der Vervollkommnung seiner beruflichen Fähigkeiten dienen sollte, in die Türkei zurückkehren zu wollen, könnte ihm die Inanspruchnahme der Rechte aus Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nur dann verwehrt sein, wenn das vorlegende Gericht feststellen sollte, daß er diese Erklärung nur zu dem Zweck abgegeben hat, unberechtigterweise die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse im Aufnahmemitgliedstaat zu erlangen.

 

Gründe

1.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. November 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Februar 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im folgenden: Beschluß Nr. 1/80) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffen, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei auf der einen und den Mitgliedstaaten der EWG sowie der Gemeinschaft auf der anderen Seite unterzeichnet und durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.

8.

Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit über die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von Herrn Günaydin (im folgenden: Kläger) in Deutschland, in dem sich dieser, seine Ehefrau und seine beiden minderjährigen Kinder, die alle türkische Staatsangehörige sind, einerseits und der Freistaat Bayern andererseits gegenüberstehen.

9.

Wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt, wurde dem Kläger im April 1976 die Einreise nach Deutschland gestattet.

10.

Dort absolvierte er zunächst mehrere Deutschkurse und danach ein Studium, das er 1986 mit dem Erwerb des Grades eines Diplomingenieurs beendete.

11.

Während seines Studiums wurden ihm jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse mit räumlicher Beschränkung und ohne Gestattung einer Erwerbstätigkeit erteilt.

12. 1982 heiratete er eine türkische Staatsangehörige. Die Eheleute haben zwei Kinder, die 1984 und 1988 geboren sind. 13. Im November 1986 wurde der Kläger von der Siemens AG eingestellt, um im Werk Amberg (Deutschland) ein mehrjähriges Ausbildungsprogramm zu absolvieren, nach dessen Abschluß er in die Türkei entsandt werden und dort ein Tochteru...

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