Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 13.06.1989)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Juni 1989 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt im anhängigen Verfahren ein höheres Konkursausfallgeld (Kaug). Sozialgericht –SG– (Urteil vom 27. April 1988) und Landessozialgericht –LSG– (Urteil vom 13. Juni 1989) haben seinem Begehren entsprochen.

über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers wurde am 12. Januar 1987 das Konkursverfahren eröffnet. Seine Ansprüche auf Arbeitsentgelt blieben ab 1. November 1986 unerfüllt. Durch Bescheid vom 19. März 1987 bewilligte die Beklagte Kaug und berücksichtigte dabei 3/12 der tariflich vereinbarten Jahressonderzahlung. Der Widerspruch des Klägers, mit welchem er die Zahlung der ausgefallenen gesamten Jahressonderzahlung verlangte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 1987).

Das SG hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger weiteres Konkursausfallgeld in Höhe von 9/12 der tariflichen Sonderzahlung zu zahlen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Vor der Fälligkeit der Jahressonderzahlung habe ein Anspruch auf eine anteilige Leistung nicht bestanden. Der Anspruch auf diese Leistung sei im Kaug-Zeitraum entstanden und ausgefallen. Es hat die Berufung zugelassen. Auch das LSG ist zu der Überzeugung gelangt, der Kläger habe die gesamte Jahressonderzahlung für die letzten drei Monate seines Arbeitsverhältnisses vor der Konkurseröffnung zu beanspruchen. Der hier maßgebliche Tarifvertrag beinhalte eine besondere Regelung des Inhalts, daß es sich bei der jeweils am 1. Dezember eines Jahres fällig werdenden Jahressonderzahlung um eine Einmalleistung handele. Es könne nicht als aufgestautes Arbeitsentgelt angesehen werden, das anteilig auf die 12 Monate des Kalenderjahres aufzuteilen sei. Die tarifvertragliche Regelung enthalte eine Stichtagsentscheidung. Nur wenn der Arbeitgeber am Auszahlungstage das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, entfalle sein Anspruch auf diese Leistung. Die Regelung stehe nicht im Widerspruch zum Kaug-Recht. Der maßgebliche Tarifvertrag habe für die Arbeitgeber Vor- und Nachteile. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Nach Auffassung der Revision handelt es sich bei der betrieblichen Sonderzahlung nicht um eine arbeitsrechtliche Leistung, die für einen bestimmten Zeitpunkt zu gewähren ist. Im Vordergrund der Leistung stehe vielmehr der Gesichtspunkt der Belohnung für vorangegangene Betriebstreue und erbrachte Leistung. Dies erfordere die Zuordnung der Leistung zu den einzelnen Kalendermonaten des jeweiligen Kalenderjahres. Auch nach allgemeinen kaug-rechtlichen Gesichtspunkten sollte nur bevorrechtigt sein, wer für den Kaug-Zeitraum kein Entgelt für seine Dienstleistung erhalte. Der Tarifvertrag könne daher nicht als Gewährung einer Einmalzahlung angesehen werden. Dem stünden die von dem LSG angezogenen Regelungen des Vertrages nicht entgegen. Sie enthielten arbeitsrechtliche Vereinbarungen, die jedoch für die Auslegung der öffentlich-rechtlichen Kaug-Vorschriften nicht maßgeblich seien.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. Juni 1989 und des Sozialgerichts Oldenburg vom 27. April 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Gründe der Urteile des SG und des LSG für überzeugend und zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Bei der Gewährung von Kaug ist im vorliegenden Falle die betriebliche Jahressonderzahlung in voller Höhe zu berücksichtigen.

Nach § 141b Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) hat Anspruch auf Kaug ein Arbeitnehmer, der bei Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen seiner Arbeitgeberin für die letzten der Eröffnung des Konkursverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehören alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, die unabhängig von der Zeit, für die sie geschuldet werden, Masseschulden nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst a der Konkursordnung (KO) sein können (§ 141b Abs. 2 AFG).

Grundlage der hier allein streitigen Jahressonderzahlung ist zwar nicht, wie SG und LSG angenommen haben, der Tarifvertrag über betriebliche Sonderzahlungen vom 30. Oktober 1976, wirksam ab 1. Januar 1977. Dieser im sogenannten Nordverbund abgeschlossene Tarifvertrag hat für das Tarifgebiet des Landes Niedersachsen durch den Vertrag vom 18. Juli 1984 seine eigene Ausgestaltung erhalten. Diesen hier anzuwendenden Tarifvertrag aus dem Jahre 1984 darf das Revisionsgericht selbst auslegen. Zwar gilt die Vereinbarung nur für das Land Niedersachsen und damit im Bezirk des Berufungsgerichts (§ 162 SGG). Gleichwohl handelt es sich aber um revisibles Recht. Denn es gibt außerhalb des Landes Niedersachsen, und zwar sowohl im Nordverbund, also auch in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein, als auch im Lande Baden-Württemberg Tarifverträge, die in allen hier maßgeblichen Punkten bewußt und gewollt inhaltlich übereinstimmend gestaltet sind. Dies hat der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 18. Januar 1990 – 10 RAr 10/89 – festgestellt und ausgeführt. Zu Recht gehen daher das LSG und die Beteiligten von der Revisibilität des maßgeblichen Tarifvertrages aus. Im Hinblick darauf hat das LSG auch die Revision zugelassen.

Die Jahressonderzahlung nach § 2 des Tarifvertrages ist Arbeitsentgelt iS von § 141b Abs. 2 AFG. Es ist entgegen der Auffassung der Beklagten bei der Berechnung des Kaug zu berücksichtigen, über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers wurde am 12. Januar 1987 das Konkursverfahren eröffnet. Bei Eintritt dieses Insolvenzereignisses hatte der Kläger einen Anspruch auf die Jahressonderzahlung. Es ist davon auszugehen, daß diese Leistung am 1. Dezember 1984, also im Kaug-Zeitraum, fällig wurde. Eine anteilige Berücksichtigung beim Kaug käme nur dann in Betracht, wenn die Jahressonderzahlung sich einzelnen Monaten zuordnen ließe. Das ist aber nach dem hier anwendbaren Tarifvertrag nicht der Fall. Er enthält keine Staffelung der Sonderzahlung für den Fall, daß jemand während des Jahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Dies hat der Senat bereits in der oben genannten Entscheidung vom 18. Januar 1990 im einzelnen zu dem Tarifvertrag zwischen dem Fachverband Metall Baden-Württemberg und der Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung Stuttgart, ausgeführt. In den maßgeblichen Vorschriften stimmt dieser Tarifvertrag mit der hier anwendbaren, im Lande Niedersachsen geltenden Regelung überein. Der Senat kann daher wegen der Begründung im einzelnen auf das Urteil vom 18. Januar 1990 verweisen. Es ist den Beteiligten zugeleitet worden und daher bekannt. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Tarifvertrag für das Land Niedersachsen keine Staffelung der Jahressonderzahlung je nach dem Zeitpunkt des Ausscheidens des einzelnen Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis enthält und daher die Sonderzahlung sich nicht den einzelnen Monaten des Kalenderjahres zuordnen läßt.

Die Revision der Beklagten war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI921502

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