Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Kosten für Heilbehandlung

 

Beteiligte

Allgemeine Ortskrankenkasse für den Kreis Neuwied,Neuwied 1, Hermannstraße 37, Klägerin und Revisionsklägerin

Gemeindeunfallversicherungsverband Rheinland-Pfalz,Andernach, Ludwig-Hillesheim-Straße 3, Beklagter und Revisionsbeklagter

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Die klagende Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) verlangt vom beklagten Gemeindeunfallversicherungsverband (GUV), ihr im Rahmen des § 1504 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO- in der bis zum 31. Dezember 1988 gültig gewesenen Fassung (aF) die Kosten für Heilbehandlung zu erstatten, die sie der bei ihr krankenversicherten E.        S.          (Verletzte) wegen ihres als Arbeitsunfall umstrittenen Unfalls vom 11. Februar 1986 gewährt hat.

Die Verletzte unterstützte seit dem Jahre 1984 unentgeltlich eine in ihrer Nachbarschaft wohnende, erkrankte Bekannte (B.). Sie führte dreimal täglich deren Hund aus, erledigte dreimal wöchentlich Einkäufe und verrichtete einmal wöchentlich Gartenarbeit und kehrte die Straße. Am 11. Februar 1986 erlitt sie beim Ausführen des Hundes einen Unfall. Dabei zog sie sich eine Fraktur des rechten Oberschenkels zu. Die Klägerin gewährte der Verletzten die erforderliche Heilbehandlung.

Den Antrag der Verletzten auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 1. Oktober 1986 ab. Den von der Klägerin im Juli 1986 angemeldeten Erstattungsanspruch erkannte der Beklagte unter dem 13. Mai 1987 nicht an. Zur Begründung heißt es, es habe sich nicht um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gehandelt; die Voraussetzungen des § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Satz 1 RVO seien nicht erfüllt. Die Verletzte sei nämlich aufgrund eines Tierbetreuungsvertrages, bei dem es sich um einen dem Geschäftsbesorgungsvertrag iS von § 675 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ähnlichen Vertrag handele, und damit unternehmerähnlich tätig geworden.

Die im April 1988 erhobene Zahlungsklage hat das Sozialgericht (SG) Koblenz abgewiesen (Urteil vom 21. September 1988). Die dagegen eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1989). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die Voraussetzungen des nach § 1504 RV0 aF zu beurteilenden Erstattungsanspruchs seien nicht erfüllt. Die Verletzte habe nämlich keinen Arbeitsunfall erlitten. Zwar sei sie weder aufgrund eines Werk-, noch eines Geschäftsbesorgungsvertrages tätig geworden. Ihre Arbeiten würden ihrer Art nach jedoch nicht typischerweise von Personen verrichtet, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stünden. Beim Ausführen des Hundes, das hier im Vordergrund gestanden habe, handele es sich um eine höchstpersönliche Tätigkeit des Hundehalters, die nicht typischerweise von Arbeitnehmern ausgeübt werde. Auch die Verletzte sei zu dieser Aufgabe aus Tierliebe motiviert worden. Das Einkaufen und die Gartenarbeit seien zwar Tätigkeiten, die auch von Arbeitnehmern ausgeübt werden könnten; betrachte man aber alle von der Verletzten erbrachten Verrichtungen zusammen, so sei sie gerade nicht wie eine angestellte Haushaltshilfe tätig geworden; ihr Tätigwerden sei eher als selbständige, unternehmerähnliche Tätigkeit zu bewerten.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 539 Abs 2 RVO. Die Verletzte sei wie eine nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Beschäftigte in dem Unternehmen "Haushalt B.      " tätig und demnach nach § 539 Abs 2 RVO versichert gewesen. Auch wenn die Verletzte das Hundeausführen in gewisser Selbständigkeit erledigt habe, so sei ihre Tätigkeit insgesamt gesehen arbeitnehmerähnlich gewesen. B. habe nämlich nach wie vor bestimmt, was in ihrem Haushalt zu tun gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 1989 und des SG Koblenz vom 21. September 1988 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr die Aufwendungen für Heilbehandlung zu erstatten, die sie aus Anlaß des Unfalls der Verletzten Frau E. S.          vom 11. Februar 1986 erbracht hat.

Der Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht der umstrittene Erstattungsanspruch nach dem hier noch anwendbaren § 1504 RVO aF (s BSG SozR 2200 § 1504 Nr 8) zu. Denn die Verletzte erlitt am 11. Februar 1986 einen vom Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 RVO.

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Die Verletzte war zur Zeit des Unfalls zwar nicht auf Grund eines zu B. bestehenden Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert; jedoch bestand Versicherungsschutz auf Grund des § 539 Abs 2 RVO. Nach dieser Vorschrift sind gegen Arbeitsunfall auch Personen versichert, die wie ein nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO Versicherter - wenn auch nur vorübergehend - tätig werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl BSGE 5, 168, 174; 31, 275, 277; BSG SozR 2200 § 539 Nr 119) ist Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO gegeben, wenn es sich um eine dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit handelt, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und sonst ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen; sie muß ferner unter solchen Umständen geleistet werden, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Eine Eingliederung in das Unternehmen ist genausowenig erforderlich wie die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Unternehmer. Auch wenn der wirtschaftliche Wert der Arbeit relativ gering ist und sie unentgeltlich geleistet wird, ist die Anwendung des § 539 Abs 2 RVO nicht ausgeschlossen. Auf die Beweggründe für das Handeln kommt es ebenfalls nicht entscheidend an. Dagegen steht nicht unter Versicherungsschutz, wer wie ein Selbständiger tätig wird bzw vorwiegend seine eigenen Angelegenheiten erledigt. Ob im Einzelfall eine Tätigkeit unter Berücksichtigung dieser Grundsätze als arbeitnehmerähnlich zu qualifizieren ist, richtet sich nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, unter denen sie verrichtet wird. Da meistens einzelne Umstände für und andere gegen ein beschäftigungsähnliches Verhältnis sprechen, ist das unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu ermittelnde Gesamtbild der Tätigkeit entscheidend (BSGE 31, 1, 3).

Das Gesamtbild der von der Verletzten für B. verrichteten Tätigkeiten entspricht dem einer abhängigen Arbeit und nicht - wie das LSG meint - einer unternehmerähnlichen Tätigkeit. Diese Tätigkeiten waren solche, die ihrer Art nach üblicherweise von Personen verrichtet werden, die als Haushaltshilfe fremdbestimmte Arbeit leisten. Die Verletzte war zwar nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (s. § 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) vor allem beim Ausführen des Hundes nicht an ganz konkrete Weisungen der B. gebunden. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Schlußfolgerung, die Verletzte sei wie eine Unternehmerin tätig geworden. Nach § 658 Abs 2 Nr 1 RVO ist Unternehmer derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen (Betrieb, Einrichtung oder Tätigkeit) geht. Ein Unternehmen iS der gesetzlichen Unfallversicherung setzt eine planmäßige, für eine gewisse Dauer bestimmte Vielzahl von Tätigkeiten voraus, die auf ein einheitliches Ziel gerichtet sind und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübt werden (BSGE 42, 126, 128; BSG Urteil vom 25. August 1982 - USK 82194). Bei der Verletzen mangelte es schon an der Planmäßigkeit. Denn das angefochtene Urteil enthält keine Feststellungen, daß die Verletzte schon mehrfach derartige Tätigkeiten im eigenen unternehmerischen Interesse für andere ausgeführt und Aufträge dafür gesucht hat. Zudem kann es dahinstehen, ob das Ausführen des Hundes allein als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit zu qualifizieren wäre; dies gab nämlich den Hilfeleistungen der Verletzten für B. nicht das rechtlich allein wesentliche Gepräge. Denn das LSG hat dem dreimal wöchentlich erfolgten Einkaufen sowie der Mithilfe im Garten und beim Straßenkehren zu wenig Gewicht beigemessen. Im übrigen hat es nicht genügend berücksichtigt, daß die Verletzte ohne das für eine unternehmerische Tätigkeit typische Bestehen eines wirtschaftlichen Risikos gehandelt hat (vgl BSGE 42, 126, 128).

Die zwischen der Verletzten und B. bestehenden privaten - nachbarschaftlichen - Beziehungen haben den Versicherungsschutz nicht ausgeschlossen. Ein Tätigwerden aufgrund freundschaftlicher und nachbarschaftlicher Beziehungen steht dem Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO anders als ein Handeln aufgrund enger familiärer Bindungen (vgl BSG SozR 2200 § 539 RVO Nrn 43, 55, 66 und Urteil vom 25. Oktober 1989 - 2 RU 4/89 -) oder mitgliedschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher bzw körperschaftlicher Verpflichtungen (vgl BSG SozR 2200 § 539 Nr 123), grundsätzlich nicht entgegen. Vielmehr stellen die Fallgestaltungen wie hier einen typischen Anwendungsfall des § 539 Abs 2 RVO dar. Solange es sich nicht um einen aufgrund der konkreten sozialen Beziehungen geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst handelt, besteht auch beim arbeitnehmerähnlichen Tätigwerden aus Gefälligkeit Versicherungsschutz.

Nach alledem ist die Revision der Klägerin begründet. Die Urteile des SG vom 21. September 1988 und des LSG vom 28. Juni 1989 waren aufzuheben und der Beklagte zur Erstattung der streitigen Aufwendungen zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517900

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