Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragserstattung, Verfallswirkung. Fremdrentenzeiten, Abkommenszeiten. Aufhebungsbescheid. Vertrauensschutz. Übergangsregelung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Abkommenszeiten, die nach Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV iVm Art 2 Abs 1 des Zustimmungsgesetzes 1976 in der deutschen Rentenversicherung anrechenbar waren, sind nach der Änderung des Zustimmungsgesetzes 1976 durch Art 20 RRG 1992 ab 1.7.1990 nur noch dann berücksichtigungsfähig, wenn sie auch die Voraussetzungen für eine Anrechnung nach dem FRG erfüllen.
  • Sie unterliegen damit nunmehr der Verfallswirkung bei Beitragserstattung (Fortführung von BSGE 49, 63 = SozR 2200 § 1303 Nr 14 und BSG SozR 2200 § 1303 Nr 26).
  • Dies gilt nach Art 38 des Rentenüberleitungsgesetzes auch dann, wenn die entsprechenden Zeiten in einem Feststellungsbescheid anerkannt worden waren.
 

Normenkette

RÜG Art. 38; Rü-ErgG Art. 15; RRG 1992 Art. 20; RVO § 1303; SGB VI § 210

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 14.03.1995; Aktenzeichen L 6 Ar 424/94)

SG Regensburg (Urteil vom 12.07.1994; Aktenzeichen S 9 Ar 353/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. März 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Altersrente an die Klägerin ab 1. Dezember 1993.

Die Klägerin, Inhaberin des Vertriebenenausweises A…, legte vor ihrem Zuzug aus Polen im Jahre 1958 vom 1. Februar 1947 bis zum 31. Mai 1958 134 Monate Pflichtbeitragszeiten in der polnischen Rentenversicherung zurück. Ihre zwischen dem 3. September 1966 und dem 29. Februar 1968 in der Bundesrepublik entrichteten Pflichtbeiträge ließ sie sich im November 1971 gemäß § 1303 der Reichsversicherungsordnung (RVO) von der Beklagten erstatten.

Mit Bescheid vom 4. November 1986 erkannte die Beklagte die von der Klägerin in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten von Februar 1947 bis Mai 1958 als Pflichtbeitragszeiten gemäß Art 4 Abs 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9. Oktober 1975 (BGBl II S 396 ≪DPSVA 1975≫) iVm Art 2 Abs 1 des Gesetzes zu diesem Abkommen vom 12. März 1976 (BGBl II S 393 ≪Zustimmungsgesetz 1976≫) an. Dabei bezog sie die Verfallswirkung des § 1303 Abs 7 RVO nicht auf die nach Maßgabe des DPSVA 1975 berücksichtigungsfähigen polnischen Zeiten, weil diese erstmalig vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens an (1. Mai 1976) “existent” und anrechenbar seien.

Im Dezember 1991 beantragte die Klägerin, die bei Anrechnung der polnischen Versicherungszeiten ausschließlich einen Anspruch auf Regelaltersrente gemäß § 35 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) erlangen konnte, bei der Beklagten die Erstellung einer Rentenauskunft. Mit Bescheid vom 2. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Mai 1993 hob die Beklagte hierauf ihren Bescheid vom 4. November 1986 gemäß § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) auf, weil durch Art 20 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) Art 2 Abs 1 des Zustimmungsgesetzes 1976 dahingehend geändert worden sei, daß ab 1. Juli 1990 Abkommenszeiten nur noch dann berücksichtigt werden könnten, wenn sie auch die Voraussetzungen für eine Anrechnung nach dem Fremdrentengesetz (FRG) erfüllten; nach diesem Gesetz seien die fraglichen Zeiten jedoch nicht anrechenbar, weil die Verfallswirkung der Beitragserstattung – § 1303 Abs 7 RVO bzw § 210 Abs 6 SGB VI – auch die nach dem FRG anrechenbaren Zeiten betreffe und ein Besitzstand gemäß Art 20 Nr 3 RRG 1992 nur in den Fällen gewahrt werde, in denen eine Rente vor dem 1. Juli 1990 begonnen habe.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 12. Juli 1994; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 14. März 1995). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Wegen der Änderung des Art 2 Abs 1 Zustimmungsgesetz 1976 durch Art 20 Nr 2 RRG 1992 sei die Anrechenbarkeit der polnischen Zeiten ab 1. Juli 1990 (Art 20 Nr 3 RRG 1992) nach dem FRG zu prüfen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergreife die Verfallswirkung einer späteren Beitragserstattung aber auch die vor der Erstattung liegenden – nicht erstattungsfähigen – Zeiten, die grundsätzlich nach dem FRG anrechenbar wären (Urteile des BSG vom 4. Oktober 1979 – 1 RA 83/78 – SozR 2200 § 1303 Nr 14 und vom 19. Mai 1983 – 1 RA 35/82 – SozR 2200 § 1303 Nr 26; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ≪BVerfG≫ vom 16. Juni 1981 – 1 BvR 445/81 – SozR 2200 § 1303 Nr 19).

Die Klägerin rügt mit ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision die Verletzung des § 210 Abs 6 Satz 3 SGB VI. Sie ist der Ansicht: Die Verfallswirkung dieser Vorschrift erfasse nur Ansprüche aus den bis zur Erstattung nach § 210 Abs 1 SGB VI zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten. Die aufgrund des Art 38 Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) angeordnete Überprüfung der aufgrund des FRG getroffenen Feststellungen beziehe sich nur auf nach dem 31. Dezember 1991 durchgeführte Beitragserstattungen. Die Verfallswirkung der – wie hier – früher durchgeführten Beitragserstattung regele sich unverändert nach § 1303 Abs 7 RVO; die vor dem Inkrafttreten des DPSVA 1975 am 1. Mai 1976 durchgeführte Beitragserstattung berühre keine Zeiten, die nach dem Abkommen zu berücksichtigen waren, weil diese als solche vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens an erst “existent” und anrechenbar waren. Außerdem verstoße Art 38 RÜG gegen den Vertrauensschutz. Sie, die Klägerin, sei seit Bescheiderteilung im November 1986 bis 1993 im guten Glauben gewesen, aufgrund der in Polen zurückgelegten Zeiten Anspruch auf Altersrente in der Bundesrepublik zu haben. Es sei kein Grund dafür ersichtlich, daß nur diejenigen Versicherten geschützt würden, die bereits vor dem 1. Juli 1990 Rente unter Anrechnung der nach dem DPSVA 1975 berücksichtigungsfähigen polnischen Zeiten bezogen hätten.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. März 1995 und des Sozialgerichts Regensburg vom 12. Juli 1994 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Dezember 1993 Altersrente gemäß § 35 SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision ist unbegründet.

Wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, hat die Beklagte ihren Anerkennungsbescheid vom 4. November 1986 zutreffend gemäß Art 38 RÜG überprüft und als Folge der Überprüfung aufgehoben, wobei Rechtsgrundlage für die Aufhebung allerdings nicht § 48 SGB X, sondern der am 26. Juli 1991 in Kraft getretene (Art 42 Abs 8 RÜG) Art 38 RÜG selbst in der Gestalt war, die er durch Art 15 des Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetzes (Rü-ErgG) erhalten hat. Denn nach Änderung des Art 2 Abs 1 Zustimmungsgesetz 1976 durch Art 20 RRG 1992 können ab 1. Juli 1990 Abkommenszeiten nur noch dann berücksichtigt werden, wenn sie auch die Voraussetzungen für eine Anrechnung nach dem FRG erfüllen. Eine solche Anrechnung scheitert indes an der Verfallswirkung der Beitragserstattung, die auch die – nicht erstattungsfähigen – Fremdrentenzeiten betrifft. Als Folge der Löschung dieser Zeiten aus dem Versicherungskonto der Klägerin erfüllt sie die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs 1 Nr 1 SGB VI) für die Gewährung der Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) nicht.

Gemäß Art 38 Satz 1 RÜG sind Bescheide, die außerhalb einer Rentenbewilligung aufgrund des FRG Feststellungen getroffen haben, zu überprüfen, ob sie mit den zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltenden Vorschriften des SGB VI und des FRG übereinstimmen. Durch Art 15 Rü-ErgG idF vom 25. Mai 1993 ist Art 38 RÜG mit Wirkung vom 1. August 1991 (Art 19 Abs 2 Rü-ErgG) dahingehend ergänzt worden, daß der Feststellungsbescheid im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen der §§ 24 und 48 SGB X aufzuheben sei. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, daß der die Versicherungszeiten betreffende Feststellungsbescheid (spätestens) im Rentenbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden soll, ohne daß die Voraussetzungen der Anhörung (§ 24 SGB X) und des Vertrauensschutzes (§ 48 SGB X) zu prüfen sind. Entsprechend können der Aufhebung Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht entgegenstehen, wenn der Feststellungsbescheid bereits außerhalb der Rentenbewilligung aufgehoben wird. Hierdurch wird deutlich, daß die Anrechnung von FRG-Zeiten nach Inkrafttreten des SGB VI nicht von Vertrauensschutzgesichtspunkten des Versicherten abhängig gemacht werden soll.

Gemäß Satz 3 des Art 38 RÜG finden die Sätze 1 und 2 dieser Vorschrift entsprechend Anwendung auf Feststellungsbescheide, die aufgrund des Zustimmungsgesetzes 1976 zu dem DPSVA 1975 ergangen sind. Durch Art 20 RRG 1992 ist aber Art 2 Abs 1 des Zustimmungsgesetzes 1976 dahingehend geändert worden, daß alle Abkommenszeiten nunmehr in Anwendung des FRG zu berücksichtigen sind, dh, daß für alle Zeiten die Anrechnungsvoraussetzungen des FRG ab 1. Juli 1990 zu prüfen sind. Wie die Beklagte und die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, gehen aber bei einer Beitragserstattung gemäß § 1303 Abs 7 RVO alle bis zur Erstattung zurückgelegten Zeiten unter (Urteile des BSG vom 4. Oktober 1979 – 1 RA 83/78 – BSGE 49, 63 = SozR 2200 § 1303 Nr 14 und vom 19. Mai 1983 – 1 RA 35/82 – SozR 2200 § 1303 Nr 26; Beschluß des BVerfG vom 16. Juni 1991 – 1 BvR 445/81 – SozR 2200 § 1303 Nr 19). Diese Verfallswirkung gilt entsprechend für – nicht erstattungsfähige – Zeiten nach dem FRG. Da für polnische Zeiten nunmehr die Anrechnungsvoraussetzungen des FRG zu prüfen sind, gehen auch die im Feststellungsbescheid der Beklagten vom 4. November 1986 anerkannten polnischen Beitragszeiten unter.

Daß die Erstattungswirkung nach dem Wortlaut des § 210 Abs 6 Satz 3 SGB VI auf Ansprüche begrenzt wird, die aus den bis zur Erstattung nach Abs 1 dieser Vorschrift zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestanden, führt – entgegen der Revisionsbegründung der Klägerin – zu keinem anderen Ergebnis. Zwar bezieht sich diese Verfallswirkung nur auf Beitragserstattungen nach dem 31. Dezember 1991 (vgl Kasseler Komm – Gürtner, SGB VI, RdNr 28 zu § 210; BT-Drucks 12/405, S 121). Vor dem 1. Januar 1992 durchgeführte Beitragserstattungen richten sich aber in ihren Auswirkungen nach dem bis dahin geltenden § 1303 RVO.

Durch den am 26. Juli 1991 in Kraft getretenen (am Tage nach der Verkündung, Art 42 Abs 8 RÜG) Art 38 RÜG hat der Gesetzgeber indes klargestellt, daß alle außerhalb einer Rentenbewilligung getroffenen Bescheide über die Anrechnung von Fremdrentenzeiten zu überprüfen sind. Denn in Satz 2 dieser Vorschrift heißt es, daß bei einem Rentenbeginn nach dem 31. Juli 1991 die für diese Rente nach diesem Zeitpunkt maßgebende Fassung des SGB VI und des FRG von ihrem Beginn an auch dann anzuwenden ist, wenn der ursprüngliche Feststellungsbescheid noch nicht durch einen neuen Feststellungsbescheid ersetzt worden ist. Da auch dieser Satz gemäß Art 38 Satz 3 RÜG entsprechend auf Feststellungsbescheide anzuwenden ist, die aufgrund des Zustimmungsgesetzes 1976 zum DPSVA 1975 ergangen sind, sollte nach dem Willen des Gesetzgebers die Verfallswirkung des § 1303 Abs 7 RVO nunmehr die in Polen zurückgelegten Beitragszeiten betreffen; damit wird die ursprüngliche Auffassung der deutschen Rentenversicherungsträger korrigiert, daß die Verfallswirkung gemäß § 1303 Abs 7 RVO einer vor dem 1. Mai 1976 durchgeführten Beitragserstattung nach deutschem Recht polnische Zeiten nicht betraf, die nach Maßgabe des DPSVA 1975 zu berücksichtigen waren, weil sie als solche erstmalig vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abkommens (1. Mai 1976) “existent” und anrechenbar waren.

Vertrauensschutzgesichtspunkte, auf die die Klägerin ihre Revision ergänzend stützt, finden keine Beachtung. Denn mit der Ergänzung des Art 38 RÜG durch Art 15 Rü-ErgG hat der Gesetzgeber klargestellt, daß der Feststellungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 48 SGB X aufzuheben ist. Durch diese Änderung des Art 38 Satz 2 RÜG wird – wie eingangs ausgeführt – diese Vorschrift selbst Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Feststellungsbescheids; die für eine Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X maßgeblichen Vertrauensschutzgesichtspunkte finden keine Anwendung.

Da die Klägerin mangels Erfüllung anderer tatbestandlicher Voraussetzungen nur einen Anspruch auf Gewährung der Regelaltersrente bei Vollendung des 65. Lebensjahres haben könnte, sie das 65. Lebensjahr aber erst im November 1993 erfüllt hat, kann sie eine Rente auch nicht unter dem Gesichtspunkt beanspruchen, daß die Anrechnung der polnischen Versicherungszeiten nach dem DPSVA 1975 aufgrund der Rechtsänderung des Art 2 Nr 1 Zustimmungsgesetz 1976 durch Art 20 RRG 1992 erst dann ausscheidet, wenn die Rente nach dem 1. Juli 1990 beginnt.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis bestehen insbesondere im Hinblick auf Art 14 Grundgesetz (GG) nicht, da die Klägerin als Zugehörige zu dem nach dem FRG oder nach dem DPSVA 1975 berechtigten Personenkreis keine eigene Beitragsleistung zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung im Umfang der streitigen Zeiten erbracht hat (zum Schutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen durch die Eigentumsgarantie vgl Urteil des BVerfG vom 16. Juli 1985 – 1 BvL 5/80 ua – BVerfGE 69, 272 = SozR 2200 § 165 Nr 81 mwN).

Die Übergangsregelung in Art 20 Nr 3 RRG 1992 trägt dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) hinreichend Rechnung. Der Gesetzgeber hat die Versicherten, die bereits vor dem 1. Juli 1990 Rente unter Berücksichtigung des DPSVA 1975 bezogen haben, von der Neuregelung ausgenommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI956153

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