Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. Bemessungsentgelt. Beitrittsgebiet. Dreijahreszeitraum. Einigungsvertrag. Vertrag über die Schaffung eines Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion (StVertr). unbillige Härte

 

Leitsatz (amtlich)

Zur “unbilligen Härte” iS des § 112 Abs 7 AFG in Fällen, in denen der Arbeitslose während der letzten 3 Jahre vor der Arbeitslosmeldung in der Zeit bis zum 30.6.1990 im Beitrittsgebiet Arbeitsentgelt in Mark der DDR und danach in DM erzielt hat.

 

Normenkette

AFG § 112 Abs. 7, 1-3, § 111 Abs. 1-2, § 249b Abs. 2, § 249c Abs. 8 Nr. 1, Abs. 11; WWSUVtr Art. 19; WWSUVtr Anl I Art. 2; WWSUVtr Art. 7 § 1 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1990-05-18

 

Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 08.12.1993; Aktenzeichen L 3 Al 47/93)

SG Dresden (Entscheidung vom 11.06.1993; Aktenzeichen So 4 Al 327/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Chemnitz vom 8. Dezember 1993 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg).

Der Kläger war von 1986 bis zum 28. September 1990 in Dresden als Revisor für Fördertechnik und danach ab 1. Oktober 1990 bis zum 31. Dezember 1991 – im wesentlichen auf Provisionsbasis – als Gabelstapler- und Zubehörverkäufer beschäftigt. In der Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 30. Juni 1990 verdiente er monatlich 1.450,00 Mark der DDR, vom 1. Juli 1990 bis zum 30. September 1990 1.750,00 DM. Im Jahr 1991 erzielte er durchschnittlich 2.551,00 DM im Monat.

Antragsgemäß gewährte ihm das Arbeitsamt (ArbA) ab 6. Januar 1992 Alg. Diesem legte es das vom Kläger laut Arbeitsbescheinigung im Zeitraum vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1991 erzielte Bruttoarbeitseinkommen zugrunde; es betrug durchschnittlich monatlich 1.834,60 DM (Bescheid vom 28. Februar 1992, Widerspruchsbescheid vom 27. April 1992). Am 1. Juli 1992 nahm der Kläger wieder eine Beschäftigung auf, so daß das ArbA die Bewilligung des Alg ab diesem Zeitpunkt aufhob.

Das Sozialgericht hat die Klage, mit der der Kläger höheres Alg unter Berücksichtigung eines monatlichen Bemessungsentgelts in Höhe von 2.551,15 DM begehrte, abgewiesen (Urteil vom 11. Juni 1993). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 8. Dezember 1993).

Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Das ArbA habe der Berechnung des Alg des Klägers zutreffend das im Bemessungszeitraum vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1991 erzielte Arbeitsentgelt zugrunde gelegt. An die Stelle dieses dreimonatigen Bemessungszeitraums sei nicht der zwölfmonatige Zeitraum gemäß § 112 Abs 2 Satz 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) getreten, denn der Kläger habe während des dreimonatigen Bemessungszeitraums nicht mehr, sondern weniger verdient als im Jahr vor Beginn seiner Arbeitslosigkeit. § 112 Abs 7 AFG finde ebenfalls keine Anwendung. Ob eine unbillige Härte vorliege, sei nach dem Unterschied zwischen dem Regelbemessungsentgelt und dem Arbeitsentgelt aus der überwiegend ausgeübten Tätigkeit zu beurteilen. Hier habe der Kläger im maßgeblichen Dreijahreszeitraum vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1991 21 Monate und damit überwiegend als Revisor gearbeitet. Ein Vergleich des durchschnittlichen Einkommens des Klägers während dieser Tätigkeit (durchschnittliches Bruttomonatseinkommen 1.493,00 Mark bzw DM) mit seinem Einkommen während des Bemessungszeitraums (durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst 1.834,00 DM) ergebe einen höheren Verdienst während seiner letzten Tätigkeit. An der früher vertretenen Auffassung, nach der bei unterwertiger Beschäftigung im Bemessungszeitraum nicht das tatsächlich in der DDR erzielte Arbeitseinkommen dem Vergleich zugrunde zu legen sei, sondern das, was der Arbeitslose derzeit erzielen würde, halte der Senat nicht mehr fest. Dieser Maßstab habe nämlich zur Folge, daß für einen Großteil der Arbeitslosen in den neuen Ländern die Ausnahmevorschrift des § 112 Abs 7 AFG zur Regel werde; zudem wären die Arbeitsämter verpflichtet, bei allen Arbeitslosen, die im Dreijahreszeitraum des § 112 Abs 7 AFG zu DDR-Zeiten überwiegend eine andere Tätigkeit ausgeübt hätten als im Bemessungszeitraum, Ermittlungen anzustellen, um festzustellen, ob § 112 Abs 7 AFG Anwendung finde. Der Gesetzgeber habe, wie eine Vielzahl von Regelungen zeige, im Arbeitsförderungsrecht versucht, der besonderen Situation der neuen Bundesländer Rechnung zu tragen. Obwohl er die Probleme gesehen habe, sei § 112 Abs 7 AFG dennoch nicht verändert worden. Stattdessen werde entgegen der Regelung in den alten Bundesländern gemäß §§ 112a, 249c Abs 13 AFG das Alg in den neuen Bundesländern jährlich zweimal dynamisiert. Auf diese Weise finde für Arbeitslose aus den neuen Ländern eine Angleichung an den Lebensstandard der alten Bundesländer statt.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 112 Abs 7 AFG. Seiner Auffassung nach bewirkt die Festsetzung des Bemessungsentgelts nach § 112 Abs 1 bis 6 AFG eine unbillige Härte iS des § 112 Abs 7 AFG. Der nach § 112 Abs 7 AFG gebotenen Vergleichsberechnung sei nicht das tatsächlich in der DDR erzielte Arbeitseinkommen zugrunde zu legen, sondern der Verdienst, der in der höherwertigen Tätigkeit nach dem gegenwärtigen Standard der neuen Bundesländern hätte erzielt werden können. Der gegenteiligen Auffassung könne insbesondere deshalb nicht gefolgt werden, weil in die Rahmenfrist des § 112 Abs 7 AFG die Währungsumstellung am 1. Juli 1990 gefallen sei. Das Einkommen in Mark der DDR sei mit dem Einkommen in DM nicht vergleichbar. Das gelte schon deshalb, weil das Einkommen früher eine andere Kaufkraft als nach der Währungsumstellung gehabt habe. Demzufolge seien die Gehälter derart in DM umgestellt worden, daß sich andere Einkommensverhältnisse ergeben hätten. Daß diese effektiv gegenüber den Einkommen in den alten Ländern niedriger gewesen seien, habe an der schwächeren Wirtschaftskraft der neuen Länder gelegen. Insoweit schaffe zwar die für die neuen Länder geltende Dynamisierungsregelung Ausgleich. Dies treffe aber nicht die Problematik des § 112 Abs 7 AFG. Hier müsse vielmehr der Gedanke des Fremdrentengesetzes gelten, der bei der Rentenberechnung von Personen Anwendung finde, die früher die DDR verlassen hätten. Dort gelte, daß nicht das früher erzielte Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werde. Entsprechend sei § 112 Abs 7 AFG auszulegen. Eine verfassungskonforme Anwendung der Vorschrift müsse berücksichtigen, was der Kläger am gewöhnlichen Aufenthaltsort insbesondere nach tariflicher Entlohnung oder nach ortsüblichen Entgelten hätte verdienen können. Jedenfalls könne § 112 Abs 7 AFG seinem Sinn und Zweck nach für die Feststellung einer unbilligen Härte erst nach der Währungsumstellung angewandt werden. Der Verdienst des Klägers davor könne nicht berücksichtigt werden, denn bis zum Jahre 1990 habe in den neuen Bundesländern eine dem AFG untypische Einkommenssituation existiert. Deshalb müsse hilfsweise jedenfalls der Bemessung seines Alg der durchschnittliche Bruttoverdienst des Jahres 1991 zugrunde gelegt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts und das Urteil des Sozialgerichts sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. April 1992 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm höheres Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von mehr als 420,00 DM wöchentlich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Auffassung ist § 112 Abs 7 AFG nicht anwendbar. Diese Vorschrift bedürfe keiner Modifizierung im Hinblick auf die besonderen strukturellen Schwierigkeiten in den neuen Bundesländern. Der Problematik werde schon durch kürzere Dynamisierungsintervalle und höhere Anpassungsraten für das Bemessungsentgelt hinreichend Rechnung getragen. Überdies gehe der Hinweis auf die zum 1. Juli 1990 erfolgte Währungsumstellung fehl. Denn auch in den Fällen, in denen der Bemessungszeitraum bei der Regelbemessung nach § 112 Abs 1 bis 3 AFG ganz oder teilweise auf Zeiten vor dem 1. Juli 1990 falle, sei der Bemessung des Alg der Betrag des zuvor erzielten Entgelts zugrunde zu legen, und zwar unabhängig davon, daß eine Auszahlung des Entgelts in Mark der DDR erfolgt sei (vgl § 249c Abs 11 AFG). Im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG könne nichts anderes gelten. Schließlich werde nicht deutlich, welche Vergleichsentgelte der Kläger in den vorzunehmenden Vergleich einbeziehen wolle. Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt habe der Kläger lediglich in der Zeit vom 1. Oktober 1990 bis zum 30. Dezember 1991 einen höheren durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst erzielt. Diese Zeit reiche für die Anwendung des § 112 Abs 7 AFG nicht aus; denn die berufliche Tätigkeit, bei der das höhere Entgelt erzielt worden sei, müsse in dem Sinne “überwiegen”, als ihre Dauer zumindest mehr als die Hälfte der Zeiten beruflicher Tätigkeit in dem Dreijahreszeitraum umfasse.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

1. In der Revisionsinstanz fortwirkende Verstöße gegen verfahrensrechtliche Grundsätze, die bei einer zulässigen Revision, wie sie hier gegeben ist, einer Sachentscheidung entgegenstehen, liegen nicht vor. Die Klage war zulässig, desgleichen die Berufung nach §§ 143, 144 SGG, denn der Beschwerdegegenstand iS des § 144 Abs 1 SGG überstieg 1.000,00 DM. Daraus, daß der Kläger für die Zeit vom 6. Januar 1992 bis zum 30. Juni 1992 höheres Alg jedenfalls auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von monatlich 2.551,15 DM statt 1.834,60 DM verlangte, ergibt sich unter Zugrundelegung der AFG-Leistungsverordnung 1992 vom 19. Dezember 1991 (BGBl I 2239), daß hier ein Betrag von mehr als 1.000,00 DM im Streite steht.

2. Ob dem Kläger, wie er geltend macht, mehr an Alg zusteht, als ihm bewilligt worden ist, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen nicht entschieden werden. Das LSG hat sich darauf beschränkt, entsprechend dem Klagevorbringen die Rechtsfrage zu erörtern, ob bei dem Kläger eine Bemessung des Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 2 Sätze 4 und 5 AFG bzw nach § 112 Abs 7 AFG in Betracht kommt. Mit dieser Beschränkung hat es verkannt, daß es gehalten ist, den prozessualen Anspruch, der hier auf höheres Alg geht, unter allen tatsächlich und rechtlich erheblichen Gesichtspunkten zu prüfen, und dabei weder an das Vorbringen der Beteiligten gebunden ist, noch seine Prüfung auf zwischen den Beteiligten “streitige” Fragen beschränken darf, wenn weitere Merkmale für den Anspruch von Bedeutung sind (vgl für viele BSG SozR 4100 § 138 Nr 24). Infolge der Beschränkung hat das LSG Feststellungen nicht getroffen, die zur zutreffenden Bestimmung der Höhe des Alg des Klägers erforderlich sind. Nicht einmal der dem Kläger vom ArbA bewilligte wöchentliche Leistungssatz läßt sich dem Urteil entnehmen, obwohl ohne dessen Kenntnis sich nicht beurteilen läßt, ob einem Kläger das zugebilligt worden ist, was ihm von Rechts wegen zusteht.

3. Die Höhe des Alg, dessen Anspruchsgrundlagen hier nicht zweifelhaft sind, richtet sich nach den §§ 111 ff des zuletzt durch das Gesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 2325) geänderten AFG. Nach § 111 Abs 1 AFG beträgt das Alg 68 oder 63 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 112 AFG). Der höhere Vomhundertsatz steht dem Arbeitslosen zu, wenn er oder sein Ehegatte ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 Einkommensteuergesetz hat (vgl § 111 Abs 1 Nr 1 AFG). Schon der Vomhundertsatz, der auf den Anspruch des Klägers Anwendung findet, läßt sich nicht bestimmen, weil es an Feststellungen fehlt, ob der Kläger selbst oder, falls er verheiratet ist, seine Ehefrau ein zu berücksichtigendes Kind hat.

3.1. Neben dem Vomhundertsatz und dem Arbeitsentgelt iS des § 112 AFG ist die Höhe des Alg von der maßgebenden Steuerklasse abhängig, mit deren Hilfe bei den vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung festgesetzten Leistungssätzen der je nach Steuerklasse unterschiedlich hohe Lohnsteuerabzug bei Arbeitnehmern berücksichtigt wird (§ 111 Abs 2 Nr 1 AFG); maßgebend ist grundsätzlich die Steuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres eingetragen war, in dem der Anspruch entstanden ist (vgl § 113 AFG). Insoweit fehlt es an jeglichen Feststellungen.

3.2. Ausreichende Feststellungen fehlen schließlich hinsichtlich des Arbeitsentgelts. Auch insoweit hat das LSG sich lediglich mit Einwänden des Klägers auseinandergesetzt, ohne eine eigenständige Prüfung aufgrund des § 112 AFG vorzunehmen.

3.2.1. Arbeitsentgelt ist nach § 112 Abs 1 Satz 1 AFG das Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielt hat.

Als Bemessungszeitraum hat das LSG nicht, wie der Kläger erstrebt, das ganze Jahr 1991 angesehen, sondern die Monate Oktober, November und Dezember 1991. Mit Recht hat das LSG insoweit ausgeführt, daß die Verlängerung des nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG (in der bis zum Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353, am 1. Januar 1994 geltenden Fassung) grundsätzlich dreimonatigen Bemessungszeitraums auf zwölf Monate, wie sie § 112 Abs 2 Sätze 4 bis 6 (in der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Fassung) vorgesehen hatte, nur bei außergewöhnlich erhöhtem Arbeitsentgelt im dreimonatigen Bemessungszeitraum Platz greift, nicht im umgekehrten Fall, daß das Arbeitsentgelt im dreimonatigen Bemessungszeitraum ungewöhnlich niedrig war. Fälle dieser Art regelt § 112 Abs 7 AFG; dessen Grundgedanke besteht gerade darin, einen Ausgleich für die Fälle zu schaffen, in denen der Arbeitslose in dem verhältnismäßig kurzen Bemessungszeitraum, dessen Lohnbedingungen die Faktoren des Regelbemessungsentgelts zu entnehmen sind, ein wesentlich geringeres Arbeitsentgelt erzielt hat, als er den beitragspflichtigen Tätigkeiten entspricht, die der Arbeitslose überwiegend ausgeübt hat (vgl BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 2 mwN).

Ob indes der Bemessungszeitraum hier die Monate Oktober, November und Dezember 1991 umfaßte, steht nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht fest.

Nach § 112 Abs 2 Satz 1 AFG umfaßt der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten drei Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung vor der Entstehung des Anspruchs, in denen der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Oktober, November und Dezember 1991 bildeten den dreimonatigen Bemessungszeitraum mithin nur dann, wenn diese Monate beim Ausscheiden des Klägers am 31. Dezember 1991 abgerechnet gewesen sind. Das ist nicht festgestellt worden und ist in tatsächlicher Hinsicht zweifelhaft, weil hier das Arbeitsentgelt weitgehend Provisionen und eventuell auch Prämien enthalten haben dürfte; Provisionen und auch Prämien lassen sich aber in der Regel nicht vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses abrechnen. Die vom Kläger vorgelegte Arbeitsbescheinigung ist auch nicht vor dem 1. Januar 1992 ausgestellt worden, sondern fünf Wochen später. Gerade weil das Arbeitsentgelt des Klägers schwankend war, kommt es für das Regelbemessungsentgelt auf die genaue Bestimmung des Bemessungszeitraums an, die grundsätzlich vorab zu geschehen hat (BSGE 64, 179, 180 = SozR 4100 § 112 Nr 43).

3.2.2. Selbst wenn der dreimonatige Bemessungszeitraum durch die Monate Oktober, November und Dezember 1991 gebildet würde, läßt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen, daß der Bemessung das in dieser Zeit erzielte und vom Arbeitgeber bescheinigte Bruttoeinkommen in vollem Umfange zugrunde zu legen war. Unter Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 1 AFG ist das beitragspflichtige Entgelt im Bemessungszeitraum zu verstehen (vgl BSGE 63, 149 = SozR 4100 § 112 Nr 38; BSG SozR 4100 § 112 Nr 40). Einmalige und wiederkehrende Zuwendungen haben für das Bemessungsentgelt aber außer Betracht zu bleiben (§ 112 Abs 1 Satz 2 AFG); denn der Bemessung soll nur dasjenige Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden, mit dem der Arbeitnehmer bei jeder Lohnabrechnung rechnen kann (vgl BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 1). Es bedarf daher jeweils der Klärung, ob alle Bestandteile des bescheinigten Bruttoarbeitsentgelts als Arbeitsentgelt im oa Sinne anzusehen sind oder teilweise als einmalige oder wiederkehrende Leistungen außer Betracht zu bleiben haben, was im Hinblick auf Weihnachtsgeld bei Bezügen im November und Dezember nicht ausgeschlossen werden kann. Auch hier fehlen erforderliche Feststellungen.

3.2.3. Keiner Prüfung hat das LSG schließlich unterzogen, ob das ArbA aufgrund des in Oktober, November und Dezember 1991 erzielten Arbeitsentgelts das in der Woche durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt zutreffend berechnet hat, so daß es auch insoweit an Feststellungen fehlt, träfen der Bemessungszeitraum und das zu berücksichtigende Arbeitsentgelt zu.

Das im Bemessungszeitraum in der Woche durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt ist nicht einfach dadurch zu berechnen, daß das im Bemessungszeitraum erzielte, um Mehrarbeitszuschläge, einmalige und wiederkehrende Zuwendungen verminderte Arbeitsentgelt auf eine Woche umgerechnet wird. Vielmehr schreibt § 112 Abs 3 Satz 1 AFG für diese Berechnung vor, daß das im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Arbeitsstunde erzielte Arbeitsentgelt (Lohnfaktor) mit der Zahl der Arbeitsstunden (Zeitfaktor) zu vervielfachen ist, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt. Zunächst ist also durch Teilung des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts durch die Summe der im Bemessungszeitraum zurückgelegten Arbeitsstunden der Lohnfaktor zu ermitteln (vgl dazu BSG SozR 4100 § 112 Nrn 28, 29, 30). Die Anwendung dieser Vorschrift erfordert nicht nur die Ermittlung der zurückgelegten Arbeitsstunden (vgl dazu § 112 Abs 3 Satz 2 AFG), sondern auch die der vereinbarten bzw der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeiten im Bemessungszeitraum (vgl dazu § 112 Abs 4 AFG).

3.3. Abweichend von dem so ermittelten im Bemessungszeitraum durchschnittlich in der Woche erzielten Arbeitsentgelt (Regelbemessungsentgelt) ist nach § 112 Abs 7 AFG von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung vom ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt, wenn es mit Rücksicht auf die vom Arbeitslosen in den letzten drei Jahren vor der Arbeitslosmeldung überwiegend ausgeübten beruflichen Tätigkeit unbillig hart wäre, vom Arbeitsentgelt nach den Abs 1 bis 6 auszugehen oder, was hier ausscheiden dürfte, der Bemessungszeitraum bei Entstehung des Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt. Das LSG hat gemeint, diese Vorschrift finde keine Anwendung. Ob dies im Ergebnis zutrifft, kann indes nicht entschieden werden. Ob es mit Rücksicht auf die überwiegend ausgeübte berufliche Tätigkeit unbillig hart wäre, vom Regelbemessungsentgelt auszugehen, richtet sich nach einem Vergleich des Regelbemessungsentgelts mit dem (wöchentlichen) Arbeitsentgelt aus der überwiegend ausgeübten Tätigkeit, allerdings ohne solche Lohnbestandteile, deren Berücksichtigung nach § 112 AFG ausgeschlossen ist (BSGE 45, 49, 54 = SozR 4100 § 112 Nr 6; BSGE 53, 186, 191 = SozR 4100 § 112 Nr 20; SozR 3-4100 § 112 Nr 2). Ob die Zugrundelegung des Regelbemessungsentgelts unbillig ist, kann daher erst beurteilt werden, wenn das Regelbemessungsentgelt feststeht (BSG SozR 3-4100 § 112 Nrn 2 und 17).

4. Kann nach alledem aus verschiedenen Gründen nicht beurteilt werden, ob dem Kläger mehr Alg zusteht, als ihm bewilligt worden ist, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, damit nun die fehlenden Feststellungen nachgeholt werden.

Für die erneute Entscheidung wird vorsorglich darauf aufmerksam gemacht, daß dann, wenn sich infolge eines dem Alg zugrunde zu legenden niedrigeren wöchentlichen Arbeitsentgelts iS des § 112 AFG ein geringerer Leistungssatz ergeben sollte, als das ArbA bewilligt hat, die auf höhere Leistung gerichtete Klage lediglich abzuweisen ist.

Da grundsätzlich in jedem Fall zu prüfen ist, ob § 112 Abs 7 AFG anzuwenden ist, weist der Senat schließlich darauf hin, daß er die Grundauffassung des LSG zur Anwendung des § 112 Abs 7 AFG in den Übergangsfällen, in denen noch in der DDR zurückgelegte berufliche Tätigkeiten zu bewerten sind, für zutreffend hält.

Auszugehen ist davon, daß § 112 Abs 7 AFG als Ausnahme zu der Regelbemessung für den Fall einen Ausgleich schafft, daß der Arbeitnehmer gerade in dem verhältnismäßig kurzen Bemessungszeitraum ein erheblich geringeres Arbeitsentgelt erzielt hat als während der in einem längeren Zeitraum (überwiegend) ausgeübten Beschäftigung. Wie ebenfalls schon erwähnt, wird nach der Rechtsprechung zur Prüfung, ob eine unbillige Härte vorliegt, das Regelbemessungsentgelt dem wöchentlichen Arbeitsentgelt aus der überwiegend ausgeübten beruflichen Beschäftigung gegenübergestellt. Anlaß, davon im Hinblick auf die besonderen “strukturellen Schwierigkeiten” in den neuen Bundesländern abzuweichen, bei “unterwertiger” Beschäftigung im Bemessungszeitraum etwa das Regelbemessungsentgelt mit dem Entgelt zu vergleichen, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum (oder danach) in seinem überwiegend ausgeübten Beruf erzielt hätte, besteht nicht, wie bereits der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hervorgehoben hat (BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 17).

Nach Auffassung des Senats ist die Prüfung auch nicht, wie die Revision zu erwägen gibt, auf ausgeübte berufliche Tätigkeiten nach dem 2. Oktober 1990 oder nach dem 30. Juni 1990 beschränkt. Der Senat neigt vielmehr dazu, auch vor dem 1. Juli 1990 ausgeübte, in den Dreijahreszeitraum vor der Arbeitslosmeldung fallende berufliche Tätigkeiten zu berücksichtigen und das in Mark der DDR erzielte Arbeitsentgelt im Rahmen der Vorschrift so zu behandeln, wie wenn es in DM erzielt worden wäre.

Dafür sprechen, neben auf der Hand liegenden verwaltungspraktischen Schwierigkeiten, auf die schon das LSG hingewiesen hat, mehrere rechtliche Gesichtspunkte. Aus dem Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR (StVertr) vom 18. Mai 1990 (BGBl II 537), dem AFG-DDR vom 22. Juni 1990 (GBl I 403), dem Einigungsvertrag (EinigVtr) vom 31. August 1990 (BGBl II 889) und dem AFG ergibt sich, daß solche Übergangsprobleme wie die hier in Frage stehenden gesehen und ansatzweise geregelt worden sind. Eine planwidrige und deshalb ausfüllungsbedürftige Gesetzeslücke besteht mithin insoweit nicht.

Art 19 StVertr regelt, daß die DDR ein System der Arbeitslosenversicherung einführt, das den Regelungen des AFG entspricht. In der Übergangsphase wird, so heißt es dort weiter, Besonderheiten in der DDR Rechnung getragen. Entsprechend bestimmt zur Berechnung des Alg § 112 Abs 1 AFG-DDR, daß Arbeitsentgelt der auf die Woche entfallende im Bemessungszeitraum erzielte Bruttodurchschnittslohn nach der Verordnung vom 21. Dezember 1961 über die Berechnung des Durchschnittsverdienstes und über die Lohnzahlung ist. Danach ergibt sich, daß Zeiten, die vor dem 1. Juli 1990 liegen, für nachfolgende Zeiten der Arbeitslosigkeit in vielen Fällen zu berücksichtigen sind. Eine besondere Umrechnung von in Mark der DDR erzielten Verdiensten in DM ist in diesem Zusammenhang, in dem sich eine gesetzgeberische Lösung angeboten hätte, nicht erfolgt. Gleiches gilt für den mit der entsprechenden Vorschrift des AFG wortgleichen § 112 Abs 7 AFG-DDR. Auch der mit Art 26 des Gesetzes zum StVertr vom 25. Juni 1990 (BGBl II 518) eingeführte und durch den EinigVtr wieder gestrichene § 241b AFG, der die Begründung von Leistungsansprüchen in der (damaligen) Bundesrepublik Deutschland aufgrund in der DDR zurückgelegter Beschäftigungen ermöglichte, sah keine besonderen Umrechnungsvorschriften vor, obwohl nach § 241b Abs 2 AFG für die Festlegung des für die Leistung maßgebenden Arbeitsentgelts das Arbeitsentgelt der Beschäftigung in der DDR, ggf mithin auch das in Mark der DDR, zugrunde zu legen war. Offenbar ist sowohl für das ostdeutsche wie für das korrespondierende westdeutsche Recht beim StVertr ein Regelungsbedarf nicht anerkannt worden. Diese Annahme wird vor allem durch die Tatsache gestützt, daß sie mit dem ab 1. Juli 1990 geltenden Bestimmungen über die Währungsumstellung übereinstimmt. Art 2 und 3 § 1 Abs 2 Nr 1 der Anlage I zum StVertr (BGBl 1990 II 548) weisen nämlich aus, daß Löhne und Gehälter in der DDR generell im Verhältnis 1 :1 in DM umgestellt worden sind. Es ist deshalb systemkonform, (Überleitungs)Vorschriften, in denen diese Umstellung eine Rolle spielt, entsprechend auszulegen.

Dies gilt um so mehr, als diese Linie durch den EinigVtr konsequent fortgesetzt worden ist. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die durch Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet E Abschnitt II Nr 1 Buchst e des EinigVtr (BGBl 1990 II 889, 1033 ff) eingefügten, ab 3. Oktober 1990 geltenden §§ 249b Abs 2 und 249c Abs 11 AFG. Nach der ersten Bestimmung ist das AFG-DDR für Zeiten vor dem Wirksamwerden des Beitritts weiterhin anzuwenden, wenn nach dem AFG-DDR Ansprüche auf Alg usw entstanden sind. Nach § 249c Abs 11 AFG sind bei der Anwendung des § 112 AFG im Bemessungszeitraum in der DDR zurückgelegte Zeiten mehr als kurzzeitiger Beschäftigung mit dem letzten Durchschnittslohn iS des § 112 Abs 1 AFG-DDR bis zur Höhe von 2.700,00 DM monatlich zu berücksichtigen; im übrigen sind für Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung, die vor dem 1. Januar 1991 im Beitrittsgebiet zurückgelegt worden sind, § 112 AFG-DDR und die in dieser Bestimmung genannten Vorschriften weiterhin anzuwenden. Daraus folgt, daß die Währungsumstellung für die nun gemeinsamen Vorschriften praktisch ohne Bedeutung war.

Dies entspricht auch den aus den Erläuterungen zu den Anlagen zum EinigVtr (BT-Drucks 11/7817) hervorgehenden Zielvorstellungen der Vertragspartner, wonach möglichst ein nahtloser Übergang von Leistungen und Leistungsvoraussetzungen in das Rechtssystem des AFG erfolgen sollte. Zum Sachgebiet E Abschnitt II Nr 1 (dort S 144) heißt es nämlich, daß Leistungen nach dem AFG-DDR mit den entsprechenden Leistungen nach dem AFG gleichgestellt und Leistungen, die zum Zeitpunkt der Einigung nach dem AFG-DDR gewährt werden, fortgezahlt werden. Diesem Zweck entspricht es nicht nur, daß vor dem 3. Oktober 1993 begründete Ansprüche ohne eine besondere Umrechnung in gleicher Höhe weiter zu erbringen waren, sondern auch, daß für die Bemessung von Leistungen, wie zB Alg, soweit Entgelt in Mark der DDR dafür zu berücksichtigen ist, keine besondere Umrechnung stattfindet. Denn wenn in Mark der DDR erzielte Arbeitsentgelte in diesem Zusammenhang zu einem anderen Kurs als 1:1 in DM hätten umgerechnet werden sollen, hätte das zum Ausdruck gebracht und die Art und Weise der Umrechnung festgelegt werden müssen. Daß die Vertragspartner davon abgesehen haben, deutet ebenfalls darauf hin, daß sie hier keinen Handlungsbedarf gesehen haben.

Dem steht der Umstand, daß es sich bei dem vom Kläger in der DDR bis zum 2. Oktober 1990 zurückgelegten Beschäftigungszeiten um gegenüber der Beklagten beitragslose Zeiten gehandelt hat, nicht entgegen. Diese Zeiten stehen nach § 249b Abs 8 Satz 1 AFG ergänzend zu § 107 AFG den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich. Gleichgestellte Zeiten hat die Rechtsprechung schon bisher in die nach § 112 Abs 7 AFG gebotene Vergleichsbetrachtung einbezogen (BSGE 62, 43 = SozR 4100 § 112 Nr 31; SozR 4100 § 112 Nrn 44 und 47). Es sind keine Gründe ersichtlich, nach § 249b Abs 8 Satz 1 AFG gleichgestellte Zeiten anders zu behandeln.

Hiernach muß hingenommen werden, daß der durch § 112 Abs 7 AFG gebotene Vergleich der Arbeitseinkommen bei allgemein hohen Lohnsteigerungen, wie sie 1991 im Beitrittsgebiet zu beobachten waren, eher dazu führt, daß das Regelbemessungsentgelt nicht geringer ist als das Arbeitsentgelt aus der überwiegend ausgeübten beruflichen Tätigkeit.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI911829

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