Entscheidungsstichwort (Thema)

Rentenüberleitungsgesetz. Geltungsbereich. Altersruhegeld. Altersrente für Frauen. Beitrittsgebiet

 

Leitsatz (amtlich)

Es verstößt nicht gegen Art. 3 GG, daß Ansprüche auf Altersrente nach Art. 2 §§ 4, 17 Abs. 2 S 2 RÜG auf Versicherte beschränkt sind, die am 18.5.1990 im Beitrittsgebiet lebten.

 

Normenkette

GG Art. 3; RÜG Art. 2 §§ 1, 4, 17 Abs. 2

 

Verfahrensgang

SG Regensburg (Urteil vom 29.04.1994; Aktenzeichen S 9 Ar 684/93)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29. April 1994 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin Anspruch auf eine Altersrente hat.

Die am 11. Dezember 1933 geborene Klägerin, die in Bayern lebte und lebt, hat sechs Kinder geboren. Sie hat 129 Kalendermonate Beitragszeiten in der Rentenversicherung zurückgelegt. Nach dem 40. Lebensjahr sind keine Beitragszeiten zurückgelegt. Den Antrag der Klägerin auf Gewährung der Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahres lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 24. September 1993). Den Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 12. November 1993).

Mit ihrer Klage hat die Klägerin gebend gemacht, ihr sei das Altersgeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres zu gewähren. Sie hat auf die Benachteiligung der Frauen in den alten Bundesländern gegenüber den Frauen in den neuen Bundesländern hingewiesen. Letztere hätten in vergleichbarer Lage einen Rentenanspruch. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 29. April 1994, Beschluß vom 6. Juli 1994). Die in § 39 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) geforderten Voraussetzungen für die Gewährung des Altersruhegeldes lägen bei der Klägerin nicht vor. Die Klägerin habe weder die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt noch habe sie nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeiträge geleistet. Weder die Regelung in § 39 SGB VI noch die Regelungen in Art. 2 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG) seien verfassungswidrig. Der Vertrauensschutz der Frauen im Beitrittsgebiet führe dazu, daß die unterschiedliche Behandlung von Frauen in den alten und neuen Bundesländern für eine gewisse Übergangszeit hingenommen werden müsse.

Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil rügt die Klägerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Sie macht geltend, daß sie dann, wenn die Vorschriften des RÜG für sie gelten würden, einen Anspruch auf Altersrente nach Art. 2 § 4 iVm § 17 RÜG hätte. Es gebe keinen sachlichen Grund dafür, Frauen im Beitrittsgebiet, die fünf Kinder geboren hätten, die Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres ohne weitere Voraussetzungen zu gewähren, Frauen in den alten Bundesländern diesen Anspruch aber vorzuenthalten. Es sei auch nicht überzeugend, wenn geltend gemacht werde, daß es sich bei den Regelungen des RÜG um Vertrauensschutzregelungen handele.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 29. April 1994 sowie den Bescheid vom 24. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres zu gewähren, hilfsweise,

die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, ob der Gesetzgeber es verfassungswidrig unterlassen hat, für die Frauen aus dem Gebiet der früheren Bundesrepublik eine Übergangsregelung dahingehend zu schaffen, daß auch ihnen Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres gewährt wird, sofern sie fünf oder mehr Kinder geboren haben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, daß mit Art. 2 §§ 4 und 17 RÜG als Übergangsvorschrift der schon vorher nach dem Recht der DDR gegebene Rentenanspruch weitergewährt werde. Im Einigungsvertrag (EinigVtr) sei geregelt worden, daß für eine Übergangszeit die nach dem bisherigen Recht der DDR bestehenden Rentenansprüche für die Versicherten im Beitrittsgebiet erhalten bleiben sollten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Altersrente für Frauen ab dem 60. Lebensjahr. Für den geltend gemachten Anspruch fehlt eine geeignete Anspruchsgrundlage iS des § 2 Abs. 1 Satz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I).

Der Anspruch kann nicht auf die Vorschriften des SGB VI gestützt werden, was auch von der Klägerin nicht bestritten wird. Nach § 39 SGB VI haben versicherte Frauen Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet, nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeitragszeiten und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben. Die Klägerin hat weder die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt noch hat sie nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Ebensowenig sind die Voraussetzungen für eine der anderen in den §§ 35 bis 40 SGB VI genannten Altersrenten erfüllt, was keiner weiteren Erörterung bedarf.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Altersrente nach Art. 2 §§ 4, 17 Abs. 2 Satz 2 RÜG. Anspruch auf Rente nach den Vorschriften dieses Artikels des RÜG haben nur Personen, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten (Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RÜG). Zu diesem Personenkreis gehört die Klägerin, die in Bayern lebte und lebt, nicht.

Als Anspruchsgrundlage für den mit dem Hauptantrag verfolgten Klaganspruch auf Gewährung einer Altersrente kommt schließlich auch nicht ein verfassungswidriges Unterlassen des Gesetzgebers in Betracht, soweit der Gesetzgeber die Regelung in Art. 2 §§ 4, 17 Abs. 2 Satz 2 RÜG nicht auch auf die in den alten Bundesländern lebenden Versicherten erstreckt hat. Selbst wenn die Ungleichbehandlung der Versicherten in den alten und den neuen Bundesländern hinsichtlich der Ansprüche auf Altersrente, wie sie durch die mit Art. 2 des RÜG geschaffenen Ansprüche herbeigeführt wurde, verfassungswidrig wäre, folgte daraus allein noch keine auf konkrete Sozialleistungen gerichtete Berechtigung iS von § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB I, § 30 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Besondere Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV). Das Verfahren wäre gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einzuholen. Das BVerfG könnte aber, sofern es die Verfassungswidrigkeit annimmt, lediglich diesen Rechtszustand als solchen feststellen. Ein Anspruch auf Zahlung einer Altersrente ergäbe sich auch bei einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung der Versicherten in den alten und neuen Bundesländern für die „benachteiligten” Versicherten aus den alten Bundesländern nicht ohne weiteres (vgl dazu auch BSGE 68, 31 = SozR 3-2200 § 1251 a Nr. 12).

Der Senat kann den Rechtsstreit auch nicht aussetzen und entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin dem BVerfG nach Art. 100 GG die Frage vorlegen, ob es verfassungswidrig ist, daß der Gesetzgeber für die Frauen im Gebiet der früheren Bundesrepublik keinen Anspruch auf Altersrente parallel zu der in Art. 2 §§ 4, 17 Abs. 2 Satz 2 RÜG getroffenen Regelung geschaffen hat. Der Senat ist nicht davon überzeugt, daß dieses Unterlassen des Gesetzgebers verfassungswidrig ist. Er ist insbesondere nicht davon überzeugt, daß die in Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RÜG angeordnete Beschränkung der Geltung des Art. 2 RÜG auf die Versicherten, die am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet hatten, gegen Art. 3 GG verstößt, soweit dadurch die Versicherten in den alten Bundesländern von diesen Rentenansprüchen ausgeschlossen werden.

Für die Ungleichbehandlung der Versicherten, die am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet lebten, und der Versicherten, die an diesem Datum nicht im Beitrittsgebiet lebten, gibt es hinreichende sachliche Gründe. Die Voraussetzungen für die einzelnen von Art. 2 RÜG erfaßten Rentenarten entsprechen denen, die vor dem Beitritt der DDR nach dem Rentenrecht der DDR galten. Dem Anspruch nach Art. 2 §§ 4, 17 RÜG auf Altersrente für Frauen, die fünf und mehr Kinder geboren haben, entsprach der Anspruch nach § 4 der Rentenverordnung (DDR) vom 23. November 1979 (GBl I S 401 – 1. RentenVO). Mit der Übernahme dieser Anspruchsgrundlage in das RÜG ist der Gesetzgeber dem in Kap 7 Art. 30 Abs. 5 Nr. 2 des Einigungsvertrages (Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 – BGBl II S 885 – EinigVtrG) getroffenen Auftrag nachgekommen. Danach sollten Renten auch dann bewilligt werden, wenn am 30. Juni 1990 nach dem bis dahin geltenden Rentenrecht in dem in Art. 3 genannten Gebiet – dem Beitrittsgebiet – ein Rentenanspruch bestanden hätte. Dies bedeutete einen Bestandsschutz für die in der DDR bestehenden Rentenarten und insoweit eine Privilegierung der Versicherten im Beitrittsgebiet, da das Recht der DDR bei den einzelnen Rentenarten Ansprüche vorsah, die es so nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gab und nach dem SGB VI auch nicht geben würde.

Bereits im EinigVtr ist dieser Bestandsschutz allerdings zeitlich begrenzt worden, weil die Rentenansprüche auf Dauer vereinheitlicht werden sollten, und zwar nach den im SGB VI vorgesehenen Anspruchsvoraussetzungen. Schon im EinigVtr ist damit bewußt die Ungleichbehandlung der Versicherten in den alten Bundesländern und der Versicherten im Beitrittsgebiet auch hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen für die einzelnen Rentenarten für eine vorübergehende Zeit in Kauf genommen worden. Eine Abweichung gegenüber der im EinigVtr vorgesehenen Regelung liegt nur in zeitlicher Hinsicht vor. Das RÜG hat Geltung nicht nur für Renten, die in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1995 beginnen, wie dies nach Kap 7 Art. 30 Abs. 5 Nr. 2 EinigVtr vorgesehen war, sondern auch für Renten, die bis 31. Dezember 1996 beginnen (Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 3 RÜG).

Der Klägerin ist zuzugeben, daß eine ausschließlich wegen der besonderen Verhältnisse in der früheren DDR begründete Notwendigkeit, die Regelaltersrente an Frauen, die im Beitrittsgebiet lebten, allein wegen der Geburt von fünf Kindern zu gewähren, nicht ohne weiteres erkennbar ist. Es ist nicht offensichtlich, daß diese Versicherten in der DDR bei der Möglichkeit. Rentenansprüche durch Erwerbsarbeit zu erwerben, im Verhältnis zu den Versicherten in den alten Bundesländern besonders benachteiligt waren. Die Klägerin weist im Gegenteil zu Recht darauf hin, daß die Möglichkeiten, eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach der Geburt eines Kindes wiederaufzunehmen, in der DDR ungleich besser gewesen sein dürften als in der Bundesrepublik.

Für die vorübergehende Ungleichbehandlung der Versicherten im Bundesgebiet und im Beitrittsgebiet gibt es jedoch andere hinreichende sachliche Unterschiede, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen. Bei der Prüfung, ob die Gewährung von Rentenansprüchen an Versicherte im Beitrittsgebiet und die Vorenthaltung eines solchen Anspruchs bei vergleichbaren Tatbeständen an Versicherte aus dem alten Bundesgebiet mit Art. 3 GG vereinbar ist, ist einerseits die oben dargestellte Regelung in Kap 7 Art. 30 Abs. 5 des EinigVtr zu beachten. Der Gesetzgeber konnte im RÜG berücksichtigen, daß hinsichtlich der Rentenansprüche nach den bisher in der DDR geltenden Vorschriften den Versicherten im Beitrittsgebiet eine Vertrauensposition im EinigVtr eingeräumt wurde. Diese im EinigVtr vorgesehene Weitergeltung der für die DDR maßgeblichen Vorschriften war nicht auf Ansprüche beschränkt, die solche besonderen Bedarfslagen absichern sollten, die auf dem Unterschied der Verhältnisse in der DDR gegenüber denen in der Bundesrepublik beruhen. Da alle bestehenden Rentenarten und deren besondere Anspruchsvoraussetzungen erfaßt waren, war vielmehr offensichtlich, daß auch Ansprüche geschützt würden, die nicht wegen der besonderen Verhältnisse in der DDR schutzwürdig erscheinen mögen, sondern auch solche Ansprüche, die „nur” eine Besserstellung der Versicherten aus der DDR bedeuteten. Der Gesetzgeber konnte im RÜG dieser Vorgabe des EinigVtr nachkommen. Andererseits konnte er berücksichtigen, daß die nach dem bisherigen Recht der DDR bestehenden Rentenansprüche so im Rentenrechtssystem der früheren Bundsrepublik nicht vorhanden waren und nach seinem Willen auch nicht auf Dauer eingeführt werden sollten. Allein diese Überlegung ist ausreichend, um die – zeitlich begrenzten – unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen des Art. 2 RÜG für Versicherte einerseits in den Beitrittsgebieten und andererseits in den alten Bundesländern auch gemessen an Art. 3 GG zu rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Breith. 1996, 124

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