Entscheidungsstichwort (Thema)

Prothetik. Zahnersatz. Genehmigung. Vergütung. Gesamt Vergütung. Honoraranspruch. Honorarberichtigung. Richtigstellung. Erstattungsanspruch. Aufrechnung. Vertragsinstanz

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Krankenkasse kann die Erstattung von Vergütungen, die sie für nicht abrechnungsfähige Leistungen gezahlt hat, erst verlangen, wenn das Nichtbestehen des Honoraranspruchs von der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung im Honorarberichtigungsverfahren gegenüber dem Vertrags(zahn) arzt rechtsverbindlich festgestellt worden ist (Abgrenzung zu BSGE 61, 19 = SozR 2200 § 368f Nr. 11).

 

Normenkette

BMV-Z § 19

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17.02.1993; Aktenzeichen L 11 Ka 108/91)

SG Düsseldorf (Urteil vom 05.06.1991; Aktenzeichen S 2 Ka 105/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Februar 1993 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. Juni 1991 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.461,83 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die beklagte Betriebskrankenkasse hatte in verschiedenen Fällen Heil- und Kostenpläne für zahnprothetische Behandlungen mit der Einschränkung genehmigt, daß „Rückenschutzplatten, Kragenfassungen, Metallzähne und vergoldete Klammerelemente” von der Kostenzusage nicht umfaßt seien und gegebenenfalls gesondert bewilligt werden müßten. Nachdem die genannten Leistungen von den behandelnden Kassenzahnärzten dennoch abgerechnet und zunächst auch vergütet worden waren, beantragte sie bei der Klägerin, die betreffenden Honorarbescheide zu berichtigen und zu Unrecht gezahlte Vergütungen zu erstatten. Die Klägerin lehnte dies ab, weil die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, Teilleistungen von der Genehmigung auszunehmen. Daraufhin behielt diese die von ihr beanstandeten Beträge im Wege der Aufrechnung von den Prothetikabrechnungen für spätere Quartale ein.

Die Klage auf Auszahlung der einbehaltenen Beträge hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Urteil vom 17. Februar 1993 ausgeführt, die zwischen den Beteiligten umstrittene Praxis der Beklagten, bestimmte, in den Heil- und Kostenplänen nicht ausdrücklich erwähnte zahntechnische Leistungen zunächst von der Genehmigung auszunehmen, sei mit den Vorschriften des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte (BMV-Z) vereinbar. Da die Zahlungen für die nicht genehmigten Prothetikleistungen ohne Rechtsgrund erfolgt seien, habe der Beklagten ein Erstattungsanspruch in entsprechender Höhe zugestanden.

Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Die Genehmigungspraxis der Beklagten stehe im Widerspruch zu § 2 der Anlage 12 zum BMV-Z, wonach ein Heil- und Kostenplan nur insgesamt genehmigt werden könne. Da sich die beanstandeten zahnprothetischen Maßnahmen im Rahmen des genehmigten Behandlungskonzepts gehalten hätten, seien sie zutreffend vergütet worden. Für eine Aufrechnung habe danach keine Grundlage bestanden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Februar 1993 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. Juni 1991 zur Zahlung von 1.461,83 DM zu verurteilen.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 2), 3) und 4) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Wegen der Zulässigkeit der erhobenen Zahlungsklage, die auf Erfüllung des restlichen Vergütungsanspruchs aus Prothetikabrechnungen der Klägerin für die Monate September 1988 bis September 1989 gerichtet ist, bestehen keine Bedenken. Ein Verwaltungsakt hatte über diesen Anspruch nicht zu ergehen, da sich die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) und die Krankenkassen, jedenfalls soweit es sich allein um die Durchführung des üblichen kassenzahnärztlichen Abrechnungsverkehrs handelt, im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen. Aus demselben Grund ist in den Aufrechnungsanzeigen vom 19. Januar, 19. Februar und 20. März 1990 kein zur Erhebung einer Anfechtungsklage nötigender Verwaltungsakt, sondern eine schlichte rechtsgestaltende Erklärung zu sehen. Der Zahlungsanspruch kann demzufolge mit der Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verfolgt werden. Die Klägerin ist zu seiner Geltendmachung auch aktiv legitimiert, denn sie ist kraft ihrer besonderen Rechtsstellung innerhalb des kassenzahnärztlichen Leistungssystems und der gesamtvertraglichen Vereinbarungen über die Einziehung der Zuschüsse zu den Kosten für zahntechnische Leistungen selbst Gläubigerin der von den Krankenkassen zu gewährenden Kostenzuschüsse (BSGE 66, 165, 167 f = SozR 3-2200 § 182c Nr. 1; BSGE 66, 284, 287 f = SozR 3-2500 § 29 Nr. 1).

In der Sache hat die Klage Erfolg. Die nach Grund und Höhe unstreitige Klageforderung ist entgegen der Ansicht des LSG nicht durch Aufrechnung erloschen; denn der Beklagten stand die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht zu.

Wie dem angefochtenen Urteil und der Revisionserwiderung zu entnehmen ist, beruft sich die Beklagte für das Bestehen der Gegenforderung auf einen öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch, den sie damit begründet, daß Vergütungen für die von ihr nicht genehmigten Zahnersatzleistungen an die Klägerin ohne Rechtsgrund gezahlt worden seien. Ein solcher Erstattungsanspruch gelangt indessen nicht schon mit dem Vorliegen seiner materiellen Voraussetzungen, sondern erst dadurch zur Entstehung, daß das Nichtbestehen des Vergütungsanspruchs gegenüber dem betroffenen Vertragszahnarzt in dem dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren rechtsverbindlich festgestellt wird. Das ist hier nicht geschehen.

Die Notwendigkeit einer Entscheidung durch die zuständige Vertragsinstanz als (formale) Voraussetzung für das Entstehen eines Erstattungsanspruchs der Krankenkasse besteht unabhängig davon, ob die eingetretene Überzahlung auf einer unwirtschaftlichen Behandlung oder auf einer fehlerhaften oder unzulässigen Abrechnung durch den Zahnarzt beruht. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob über die Vergütung der streitigen Material- und Laborkosten im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung von den dafür zuständigen Prüfungseinrichtungen oder, wie die Beklagte und offenbar auch das LSG gemeint haben, im Rahmen einer Überprüfung der Honorarabrechnung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit durch die KZÄV zu entscheiden gewesen wäre.

Eine Kürzung der vertragszahnärztlichen Gesamtvergütung wegen unwirtschaftlicher Behandlungen oder Verordnungen einzelner Vertragszahnärzte ist von der Rechtsprechung schon bisher von einer vorherigen rechtsverbindlichen Feststellung des eingetretenen Schadens durch die Prüfungseinrichtungen abhängig gemacht worden. Das BSG hat dabei maßgebend darauf abgestellt, daß der Gesetzgeber die Pflicht zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der vertragszahnärztlichen Versorgung auf selbständige, von der KZÄV unabhängige Prüfungsinstanzen verlagert habe, an deren Entscheidungen auch die Krankenkassen gebunden seien (BSGE 61, 19, 26 = SozR 2200 § 368f Nr. 11 S 35 f; vgl. auch SozR 5545 § 24 Nr. 2). Anknüpfend hieran hat der frühere 14a-Senat des BSG die Krankenkassen auch in solchen Fällen auf das Verfahren vor den Vertragsinstanzen verwiesen, in denen, wie etwa bei der Feststellung eines Schadenersatzanspruchs wegen mangelhafter Prothetik im Ersatzkassenbereich, die Verwaltungsentscheidung mangels einer speziellen Zuweisung nicht durch eine unabhängige Prüfungseinrichtung, sondern durch den Vorstand der KZÄV zu treffen ist (Urteil vom 21. April 1993 ≪SozR 3-5555 § 15 Nr. 1). Allerdings war im dortigen Fall das Ergebnis durch die ausdrückliche Regelung in § 12 Ziff 6 Zahnarzt-Ersatzkassenvertrag (EKV-Zahnärzte) vorgezeichnet, nach der „die KZÄV durch Vertragsinstanzen anerkannte Forderungen einer Vertragskasse gegen einen Vertragszahnarzt bei der nächsten Abrechnung vom laufenden Honoraranspruch absetzt”. Daraus ergibt sich, daß die Krankenkassen jedenfalls im Ersatzkassenbereich Vergütungskürzungen grundsätzlich nicht eigenmächtig, sondern immer erst nach Anerkennung der betreffenden Forderung durch die zuständige Vertragsinstanz vornehmen können.

Für den Primärkassenbereich enthält der BMV-Z zwar keine dem § 12 Ziff 6 EKV-Zahnärzte vergleichbare allgemeine Vorschrift. Trotzdem kann auch hier nichts anderes gelten. Auch wenn es sich bei den Beziehungen der KZÄV zu den Krankenkassen auf der einen und der KZÄV zu dem Vertragszahnarzt auf der anderen Seite um formal getrennte Rechtskreise handelt, besteht doch in den Fällen, in denen die Gesamtvergütung nach Einzelleistungen berechnet wird, zwischen dem Honoraranspruch des Zahnarztes und dem Vergütungsanspruch der KZÄV ein so enger Zusammenhang, daß die Entscheidung darüber nur einheitlich getroffen werden kann. Es kann deshalb auch beim Vorliegen von Abrechnungsunrichtigkeiten, deren Feststellung und Korrektur nach § 19 BMV-Z in die Zuständigkeit der KZÄV fällt, nicht angehen, daß die Krankenkasse den Honoraranspruch bei der Berechnung der Gesamtvergütung nach ihrem Gutdünken anders festlegt als es die zuständigen Vertragsinstanzen gegenüber dem Zahnarzt tun. Daß deren Entscheidung zentrale Bedeutung im Sinne einer für alle Beteiligten verbindlichen Regelung zukommt, wird dadurch verdeutlicht, daß den Krankenkassen in § 1 Abs. 2 der als Anlage 4 zum BMV-Z vereinbarten Verfahrensordnung das Recht eingeräumt wird, sachliche Unrichtigkeiten und andere Abrechnungsmängel gegenüber der KZÄV zu beanstanden und ihre Berichtigung zu verlangen. Dieser verfahrensrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten hätte es nicht bedurft, wenn ihnen das Recht zustünde, bei der Berechnung der Gesamtvergütung die für erforderlich gehaltenen Korrekturen selbst vorzunehmen. Der Krankenkasse ist es danach verwehrt, einen vermeintlichen Erstattungsanspruch vor einer rechtsverbindlichen Entscheidung der für die Honorarberichtigung zuständigen KZÄV in der Weise durchzusetzen, daß sie gegen laufende Honorarforderungen aufrechnet.

Die gegen eine Bindung der Krankenkassen an die Entscheidungen der Vertragsinstanzen und speziell an Entscheidungen der KZÄV in den Fällen des § 19 BMV-Z erhobenen Einwände greifen nicht durch. Berechtigte Interessen der Krankenkassen werden dadurch nicht gefährdet, wie der 14a-Senat des BSG in dem angeführten Urteil vom 21. April 1993 (SozR 3-5555 § 15 Nr. 1 S 7 f) im einzelnen dargelegt hat. Die Kassen können Honorarprüfungsverfahren, einerlei ob es sich um Wirtschaftlichkeitsprüfung, Richtigstellung oder Schadensfeststellung handelt, nicht nur durch eigene Anträge in Gang setzen, sondern durch ihre Beteiligung am Verfahren sowie die Möglichkeit, Rechtsbehelfe zu ergreifen, auch jederzeit in ihrem Sinne beeinflussen. Eine Bindung kann auch nicht mit dem Argument verneint werden, die KZÄV könne gegenüber einer Krankenkasse als Öffentlich-rechtlicher Körperschaft nicht hoheitlich tätig werden und deren Rechtsstellung durch Verwaltungsakt regeln. Die Möglichkeit der Begründung eines funktionalen Über-Unterordnungsverhältnisses zwischen ansonsten gleichgeordneten Hoheitsträgern ist im Verwaltungsrecht anerkannt und bedarf keiner näheren Begründung (siehe dazu BSG SozR 3-5555 § 15 Nr. 1 S 9 mwN).

Mit der vorstehenden Rechtsauffassung weicht der Senat nicht von früheren Entscheidungen ab. In zwei Urteilen vom 21. November 1986 – 6 RKa 5/86 – (BSGE 61, 19 = SozR 2200 § 368f Nr. 11) und vom 2. Juni 1987 – 6 RKa 22/86 – (MedR 1988, 113) ist allerdings entschieden worden, daß der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs der Krankenkasse dann kein Verfahren der KZÄV gegen den Vertragszahnarzt vorauszugehen brauche, wenn Vergütungen zurückgefordert werden, die für tatsächlich nicht erbrachte Leistungen gezahlt worden sind. Um einen solchen Sachverhalt handelt es sich hier indessen nicht, so daß offenbleiben kann, ob an der erwähnten Rechtsprechung festzuhalten ist.

Ob die Klägerin im vorliegenden Fall über die von der Beklagten beantragte Honorarberichtigung förmlich (im Sinne der Ablehnung) entschieden oder ob sie eine Entscheidung verweigert hat, ist dem Urteil des LSG nicht eindeutig zu entnehmen, kann aber für die zu treffende Entscheidung auf sich beruhen, weil es jedenfalls an der notwendigen Anerkennung der Erstattungsforderung durch die Klägerin als zuständige Vertragsinstanz fehlt. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ging danach ins Leere.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 113

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