Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 15.09.1999; Aktenzeichen L 11 B 62/98 KA)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. September 1999 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Beschluß des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG) gerichtete und auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, daß der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl, 1997, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Daran mangelt es hier.

Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Die Rüge des Klägers, das LSG habe sein Recht auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes, § 62 SGG) dadurch verletzt, daß es ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß entschieden habe, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlaß der Entscheidung zu äußern. Dies muß nicht notwendig in einer mündlichen Verhandlung geschehen; dem Anhörungsgebot kann grundsätzlich auch anders, zB in einem schriftlichen Verfahren, entsprochen werden (so ausdrücklich § 62 SGG; vgl BVerfGE 9, 231, 236; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4; BVerwGE 57, 272). Das LSG hat hier von der ihm gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Berufung durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs 4 Satz 1 SGG). Einer Zustimmung der Beteiligten hierzu bedarf es nicht. Dem Recht des Berufungsklägers auf rechtliches Gehör wird nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG dadurch Rechnung getragen, daß die Beteiligten vorher zu hören sind. Hierzu hat das BSG entschieden, daß das Berufungsgericht die Beteiligten erneut zu einer beabsichtigten Zurückweisung der Berufung durch Beschluß anhören muß, wenn ein Beteiligter nach Zustellung der ersten Anhörungsmitteilung neue, nicht erkennbar unsubstantiierte Beweisanträge stellt (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 4). Das LSG hat im vorliegenden Fall die Beteiligten zunächst mit Schreiben vom 30. Dezember 1998 angehört. Als der Kläger daraufhin mit Schriftsatz vom 10. Februar 1999 mitteilte, er sei bereit, ein weiteres Gutachten zu finanzieren und beantrage insofern die Einholung eines weiteren Sachverständigen, teilte das LSG unter dem 17. Februar 1999 dem Kläger mit, es bleibe entsprechend seinem Schreiben vom 30. Dezember 1998 dabei, die Berufung durch Beschluß zurückzuweisen. Nachdem der Kläger daraufhin mit Schriftsatz vom 16. Februar 1999 nochmals die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens beantragte, teilte ihm das LSG unter dem 31. März 1999 mit, daß die mit Schriftsatz vom 16. Februar 1999 abgegebene Berufungsbegründung weder weitere Ermittlungen, noch die Aussicht auf Erfolg des Rechtsmittels begründen könne; es sei daher weiterhin beabsichtigt, die offensichtlich unbegründete Berufung durch Beschluß nach § 153 Abs 4 SGG zurückzuweisen. Mit eigenhändigen Schreiben vom 8. und 26. April 1999 wiederholte der Kläger seine Bereitschaft, ein Gutachten zu finanzieren. Mit ebenfalls eigenhändigem Schreiben vom 10. Mai 1999 bat er das LSG um Mitteilung von Gericht und Aktenzeichen in einer Rechtssache, die der vorliegenden gleiche.

Bei diesem Sachverhalt hätte der Kläger in seiner Beschwerdebegründung darlegen müssen, daß das LSG unter Verstoß gegen § 153 Abs 4 Satz 2 SGG und damit gegen das Recht auf rechtliches Gehör es unterlassen habe, ihn erneut zu hören. Insbesondere hat er nicht geltend gemacht, nach der dritten Anhörung einen neuen Beweisantrag gestellt zu haben.

Auch soweit der Kläger eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht des § 103 SGG rügt, hat er die Voraussetzungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht erfüllt. Hierzu trägt er vor, das LSG sei den von ihm mit Schriftsätzen vom 10. und 16. Februar 1999 gestellten Beweisanträgen auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten nicht gefolgt.

Mit diesem Vorbringen hat der Kläger einen Verfahrensfehler iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 103 SGG nicht schlüssig dargelegt. Dabei kann offen bleiben, ob die Beschwerde schon deshalb unzulässig ist, weil möglicherweise die zu begutachtenden Punkte nicht hinreichend angegeben worden sind (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 der Zivilprozeßordnung) oder es sich bei den vom Kläger so bezeichneten Beweisanträgen um Anträge nach § 109 SGG handelt. Jedenfalls hat der Kläger nicht dargelegt, daß das LSG den Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ohne hinreichende Begründung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG bedeutet hier, daß die Revision zuzulassen ist, wenn das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5 sowie ua Beschluß des Senats vom 8. Dezember 1998 – B 2 U 262/98 B). Zur Begründung eines solchen Verfahrensfehlers ist die schlüssige Darlegung des Beschwerdeführers erforderlich, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln, insbesondere den im Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten, Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat (st Rspr des Senats s ua Beschluß vom 8. Juli 1999 – B 2 U 32/99 B). Daran fehlt es hier. Der Kläger hat nicht hinreichend dargetan, aus welchen Gründen sich das LSG von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu der von ihm für notwendig gehaltenen Einholung weiterer Sachverständigengutachten hätte gedrängt fühlen müssen. Das Gericht ist grundsätzlich in der Würdigung der Sachverständigengutachten frei und kann zB auch ohne Einholung weiterer Gutachten von einem bereits eingeholten Gutachten abweichen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 2440 II mwN). Zur Freiheit der Beweiswürdigung gehört die Entscheidung über den Umfang und die Art der Ermittlungen. Eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten besteht nur dann, wenn die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken (BSG Beschluß vom 11. Mai 1999 – B 2 U 60/99 B). Diese Voraussetzungen sind dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen. Insbesondere hat er keine für das Ergebnis erheblichen groben Mängel oder Widersprüchlichkeiten der Gutachten, auf die sich das LSG stützt, dargetan.

Das LSG ist aufgrund seiner im Beschwerdeverfahren nicht nachprüfbaren Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zu der Feststellung gelangt, daß beim Kläger eine Verschlimmerung seiner als Folgen eines Arbeitsunfalls mit Bescheid der Beklagten vom 26. April 1977 festgestellten Beschwerden nicht nachweisbar sei. Es stützt sich dabei auf den vom Sozialgericht gehörten Sachverständigen Dr. F.…, der nach wie vor die unfallbedingten Beschwerden am rechten Bein nach einer MdE von 30 vH bewertet habe und hinsichtlich der geltend gemachten Beschwerden an den Händen im Einklang mit dem von der Beklagten beauftragten Beratungsarzt Dr. M.… zu dem Ergebnis gekommen sei, daß die Veränderungen im rechten Zeigefinger sowie am linken Ringfinger nicht ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 23. Juni 1971 zurückgeführt werden könnten, bei dem es insoweit lediglich zu oberflächlichen Verbrennungen gekommen sei, die keine bleibenden Funktionsstörungen hinterlassen hätten. Gegen eine traumatische Verursachung der arthrotischen Veränderungen spreche auch, daß diese im Dezember 1992 bei der Begutachtung durch Frau Dr. B.… in dem Rentenstreitverfahren S 6 Kn 33/92 noch gar nicht vorhanden gewesen seien; denn diese Sachverständige habe seinerzeit in Bezug auf die Handgelenke ausgeführt, es fänden sich keine Formveränderungen oder Funktionseinschränkungen, der Gebrauchswert beider Hände sei voll erhalten, das Fingerspiel sei locker, die Oppositionsfähigkeit beider Daumen gegenüber den Langfingern sei frei und die Grundfunktionen der Hände könnten regelrecht und in guter Kraftentfaltung durchgeführt werden. Diese Befunde sprächen auch entscheidend dagegen, daß – wie es Prof. Dr. K.… angenommen habe – bei dem Unfall zu einer Kapselbandverletzung im Bereich des rechten Zeigefingers mit nachfolgender Funktionseinbuße gekommen sei. Von diesem Beweisergebnis ausgehend hat das LSG keine weitere Sachaufklärung mehr für geboten erachtet. Eine Beweisaufnahme durch Einholung weiterer Gutachten hat es abgelehnt, weil aus seiner Sicht das Berufungsvorbringen des Klägers keinen Anlaß dazu gab.

Inwiefern unter den oben genannten Kriterien sich das LSG gleichwohl zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen, insbesondere weitere Gutachten hätte einholen müssen, ist dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen. Insbesondere hat er nicht dargelegt, daß die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken. Vielmehr betreffen seine Rügen im Kern die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Solche Rügen sind im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich ausgeschlossen. Dieser Hinweis soll keinesfalls Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beweiswürdigung durch das LSG andeuten.

Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

SozSi 2000, 361

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