Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablösung von DDR-Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst

 

Leitsatz (amtlich)

  • Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 zum Einigungsvertrag schließt tarifliche Regelungen mit dem Ziel einer schrittweisen Annäherung an das für den öffentlichen Dienst in den alten Bundesländern geltende Tarifrecht nicht aus. Für einen Tarifvertrag, durch den vor dem Wirksamwerden des Beitritts geltende Arbeitsbedingungen aufgehoben oder geändert werden, gilt das Ablösungsprinzip. Eine Billigkeitskontrolle findet nicht statt. Änderungen sind von den Gerichten nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen das Grundgesetz, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitrechts verstoßen.
  • Die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes waren nicht gehindert, die in den “Bestimmungen über die Arbeits- und Lohnbedingungen der Zivilbeschäftigten der Nationalen Volksarmee” enthaltenen Regelungen über Jubiläumszuwendungen durch den Änderungstarifvertrag Nr. 1 zum MTArb-O mit Wirkung vom 1. Juli 1991 aufzuheben. Zur Wahrung eines Besitzstandes gegenüber den Arbeitern, die die früher notwendige Zeit teilweise zurückgelegt hatten, waren die Tarifvertragsparteien nicht verpflichtet.
 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20 Abs. 1, Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 1; Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts für Arbeiter an den MTB II und den MTL II (MTArb-O) vom 10. Dezember 1990; Änderungstarifvertrag Nr. 1 vom 8. Mai 1991 zum MTArb-O § 1 Nr. 16, Nr. 1 vom 8. Mai 1991 zum MTArb-O § 3, Nr. 1 vom 8. Mai 1991 zum MTArb-O § 4, Nr. 2 vom 12. November 1991 zum MTArb-O § 1 Nr. 7, Nr. 2 vom 12. November 1991 zum MTArb-O § 10

 

Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 09.06.1994; Aktenzeichen 1 Sa 549/93)

ArbG Neustrelitz (Urteil vom 24.02.1993; Aktenzeichen 6 Ca 1099/92)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 9. Juni 1995 – 1 Sa 549/93 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung einer Jubiläumszuwendung.

Der Kläger war von 1966 bis zum 18. Dezember 1978 Berufssoldat und seit dem 19. Dezember 1978 Zivilbeschäftigter der Nationalen Volksarmee der ehemaligen DDR (NVA). Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers fanden die vom Minister für Nationale Verteidigung am 1. September 1982 erlassenen “Bestimmungen über die Regelung der Arbeits- und Lohnbedingungen der Zivilbeschäftigten der Nationalen Volksarmee” (fortan: Arbeitsbedingungen der Zivilbeschäftigen der NVA) Anwendung. Bestandteil dieser Bestimmungen war die folgende Regelung über “Zuwendungen anläßlich der Würdigung langjähriger Beschäftigungsdauer” (fortan: Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen):

  • In Anerkennung und Würdigung der langjährigen Beschäftigungsdauer in der Nationalen Volksarmee erhalten die Zivil beschäftigten eine einmalige finanzielle Zuwendung in Höhe von:

    • Zivilbeschäftigte, in deren Beschäftigungsdauer Dienstzeiten als Angehöriger der bewaffneten Organe enthalten sind, erhalten mit der Übergabe des Ehrengeschenkes für die 25jährige Beschäftigungsdauer entsprechend den militärischen Bestimmungen anstelle der einmaligen finanziellen Zuwendung gemäß Ziffer 1 eine einmalige finanzielle Zuwendung in folgender Höhe:

      Bechäftigungsdauer als Zivilbeschäftigter (ohne Dienstzeit)

      Anteil der Dienstzeit als Angeh. d. bew. Organe an der Beschäftigungsdauer

      Höhe der finanziellen Zuwendung

      Jahre

      Jahre

      M

      über

      20

      bis zu

      5

       2 000

      bis zu

      20

      mindestens

      5

       2 500

      bis zu

      15

      mindestens

      10

       3 000

      bis zu

      10

      mindestens

      15

       3 500

      bis zu

      5

      mindestens

      20

       4 500

    • Die Höhe der finanziellen Zuwendung gemäß Absatz 1 ist nach dem Anteil der Dienstzeit in den bewaffneten Organen an der 25jährigen Beschäftigungsdauer zum Zeitpunkt der Vollendung der 25jährigen Beschäftigungsdauer festzulegen.

      …”

Nach der Wiedervereinigung bestand das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten fort. Am 30. April 1991 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag mit Wirkung vom 1. Januar 1991, dessen § 2 lautet:

“Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem MTArb-O und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen sowie nach den für Arbeiter des Bundes im Gebiet nach Artikel 3 des Einigungsvertrages jeweils geltenden sonstigen Regelungen.”

Der Änderungstarifvertrag Nr. 1 vom 8. Mai 1991 zum Ersten Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts für Arbeiter an den MTB II und an den MTL II (MTArb-O) (fortan: Änderungstarifvertrag Nr. 1) bestimmt u.a.:

“§ 1

Änderung des Tarifvertrages

  • (…)
  • Die §§ 38 bis 46 erhalten die folgende Fassung:

    (…)

Abschnitt VII

Sozialbezüge

(…)

§§ 44 bis 46

§ 3

Außerkrafttreten bisheriger Regelungen

Alle nach dem Einigungsvertrag noch fortgeltenden Regelungen sowie der Tarifvertrag über die Erhöhung der Löhne und Gehälter für Beschäftigte im öffentlichen Dienst vom 4. September 1990 und der Tarifvertrag über die Erhöhung des Sozialzuschlags vom 5. März 1991 treten mit Ablauf des 30. Juni 1991 außer Kraft.

§ 4

Inkrafttreten

Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Juli 1991 in Kraft.

(…)”

Im Änderungstarifvertrag Nr. 2 vom 12. November 1991 zum Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts für Arbeiter an den MTB II und an den MTL II (MTArb-O) (fortan: Änderungstarifvertrag Nr. 2) heißt es u.a.:

“§ 1

Änderung des MTArb-O

  • (…)
  • Die §§ 44 bis 46 erhalten folgende Fassung:

“§ 44

§ 45

Jubiläumszuwendungen

  • Der Arbeiter erhält als Jubiläumszuwendung bei Vollendung einer Beschäftigungszeit (§ 6)

    von 25 Jahren

    600,-- DM,

    von 40 Jahren

    800,-- DM,

    von 50 Jahren

    1.000,-- DM.

Zur Beschäftigungszeit im Sinne des Satzes 1 rechnen auf Antrag auch die Zeiten, die bei dem Arbeitgeber oder seinem Rechtsvorgänger in einem Beschäftigungsverhältnis vor Vollendung des 18. Lebensjahres oder in einem Ausbildungsverhältnis zurückgelegt worden sind, sofern sie nicht vor einem Ausscheiden nach § 6 Abs. 1 Unterabs. 3 liegen. Anzurechnen sind ferner die Zeiten erfüllter Dienstpflicht in der Bundeswehr sowie Zeiten des Zivildienstes.

(…)

Übergangsvorschrift zu Abs. 1 Unterabs. 2:

Den Zeiten erfüllter Dienstpflicht in der Bundeswehr stehen Zeiten des Grundwehrdienstes in der NVA (einschließlich Baueinheiten) sowie Zeiten in den Kasernierten Einheiten der Volkspolizei und der Transportpolizei, soweit sie der Ableistung des Grundwehrdienstes entsprachen, gleich.

(…)”

§ 10

Inkrafttreten

Dieser Tarifvertrag tritt am 1. Dezember 1991 in Kraft. (…)”

Mit Schreiben vom 4. November 1991 bat der Kläger die Beklagte um Zahlung einer finanziellen Zuwendung, weil er am 2. November 1991 eine Beschäftigungszeit von 25 Jahren vollendet habe. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 10. Januar 1992 ab, weil der Änderungstarifvertrag Nr. 1 “mit Wirkung vom 01.07.1991 alle Regelungen des alten Tarifrechts außer Kraft” gesetzt habe und eine neue Vereinbarung über Jubiläumszuwendungen bislang noch nicht getroffen sei.

Der Kläger hat gemeint, ihm stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf eine finanzielle Zuwendung nach den Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen zu. Diese seien im Zeitpunkt seines 25jährigen Dienstjubiläums, am 2. November 1991, noch in Kraft gewesen, weil der Änderungstarifvertrag Nr. 1 sie nicht aufgehoben habe. Eine solche Aufhebung sei erst mit Wirkung zum 1. Dezember 1991 durch den die Neuregelung der Jubiläumszuwendungen enthaltenden Änderungstarifvertrag Nr. 2 erfolgt. Der Ausschluß des Anspruchs in den Fällen, in denen die Jubiläumsdienstzeit zwischen dem 1. Juli 1991 bis zum 30. November 1991 vollendet worden sei, sei rechtsunwirksam. Jedenfalls aber stehe ihm nach dem Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 16. April 1993 ein Anspruch auf eine Jubiläumszuwendung zu. In diesem Erlaß heißt es:

“…

Im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Finanzen bin ich damit einverstanden, daß allen Arbeitnehmern im Tarifgebiet Ost, die im Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. November 1991 eine zum Bezug einer Jubiläumszuwendung berechtigende Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O, § 6 MTArb-O) vollendet haben, in entsprechender Anwendung der § 39 BAT-O, 45 MTArb-O eine Jubiläumszuwendung gezahlt wird. Dabei wird vorausgesetzt, daß der Arbeitnehmer nach dem bis zum 30. Juni 1991 geltenden Recht keine der Jubiläumszuwendung vergleichbare Leistungen erhalten hat.

Der Anspruch ist innerhalb von sechs Monaten nach Feststellung der Beschäftigungszeit geltend zu machen (§§ 70 BAT-O, 72 MTArb-O).

…”

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.000,--DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Januar 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Arbeitsbedingungen der Zivilbeschäftigten der NVA und damit auch die Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen seien schon durch den Änderungstarifvertrag Nr. 1 außer Kraft getreten. Die Voraussetzungen für eine Jubiläumszuwendung nach dem Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 16. April 1993 i.V.m. § 45 MTArb-O erfülle der Kläger nicht, da seine Beschäftigungszeit erst am 19. Dezember 1978 begonnen habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf eine einmalige finanzielle Zuwendung nach den Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen, die Bestandteil der Arbeitsbedingungen der Zivilbeschäftigten der NVA waren. Diese sind durch § 3 des Änderungstarifvertrages Nr. 1 mit Ablauf des 30. Juni 1991 außer Kraft gesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger die Anspruchsvoraussetzung einer 25jährigen Beschäftigungsdauer noch nicht erfüllt. Unstreitig wäre diese Voraussetzung erst am 2. November 1991 eingetreten.

1. Dem Kläger ist zuzugeben, daß die Arbeitsbedingungen der Zivilbeschäftigten der NVA auch nach Herstellung der deutschen Einheit nach Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 (im folgenden: Nr. 1 Abs. 1 EV) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fanden.

Der Kläger war als Zivilbediensteter der NVA im Zeitpunkt des Beitritts Angehöriger der öffentlichen Verwaltung im Sinne der Nr. 1 Abs. 1 EV. Dazu gehörten auch die Zivilbediensteten der NVA (Erläuterungen der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/7817, S. 179, vgl. auch BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 331/92 – BAGE 72, 350 = AP Nr. 20 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX). Zu den Arbeitsbedingungen im Sinne der Nr. 1 Abs. 1 EV zählen nicht nur Rahmenkollektivverträge i.S. des § 10 Abs. 1 AGB-DDR, sondern auch die sonstigen sog. Normativakte im Sinne der §§ 9 ff. AGB-DDR (MünchKomm-Säcker/Oetker, BGB, 2. Aufl., Ergänzungsband, Einigungsvertrag Rz 970; vgl. dazu Lehrbuch Arbeitsrecht, Autorenkollektiv, 1986, S. 75 ff.). Danach sind auch die hier in Rede stehenden, einseitig vom Minister für Nationale Verteidigung (§ 10 Abs. 2 AGB-DDR) erlassenen Bestimmungen Arbeitsbedingungen im Sinne der Nr. 1 Abs. 1 EV.

2. Nach dem Wortlaut des § 3 des Änderungstarifvertrags Nr. 1 sind mit Ablauf des 30. Juni 1991 alle nach dem Einigungsvertrag noch fortgeltenden Regelungen außer Kraft getreten. Der Tarifzusammenhang, der neben dem Wortlaut bei der Tarifauslegung maßgebend zu berücksichtigen ist (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), liefert keine Anhaltspunkte dafür, daß die Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen vom Außerkrafttreten nicht erfaßt sind. Der Änderungstarifvertrag Nr. 1 beschränkt sich nicht auf Vergütungsregelungen, wie der Kläger geltend gemacht hat, sondern enthält ändernde Bestimmungen zu allen Bereichen des MTArb-O, auch zu dessen Abschnitt VII über die Sozialbezüge, zu denen Jubiläumszuwendungen gehören. Daß eine positive Bestimmung über Jubiläumszuwendungen nicht getroffen wurde, sondern in § 1 Nr. 16 die für eine solche Regelung in Betracht kommenden §§ 44 bis 46 MTArb-O unbesetzt gelassen wurden, stützt die Auffassung des Klägers nicht. Entgegen der Revision spricht dies nicht dafür, daß die bis dahin nach dem Einigungsvertrag fortgeltenden Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen weiterhin gelten sollten. Vielmehr ist daraus zu entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien den Regelungsbereich der Jubiläumszuwendungen zwar erkannt, aber bewußt einstweilen ungeregelt gelassen haben. Anders kann die im Wortlaut eindeutige Bezeichnung “Alle nach dem Einigungsvertrag noch fortgeltenden Regelungen” in der Aufhebungsbestimmung des § 3 des Änderungstarifvertrags Nr. 1 nicht verstanden werden.

II. § 3 des Änderungstarifvertrags Nr. 1 verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

1. Nr. 1 Abs. 1 EV schließt tarifliche Regelungen mit dem Ziel einer schrittweisen Annäherung an das für den öffentlichen Dienst im übrigen Bundesgebiet geltende Tarifrecht nicht aus (vgl. Erläuterungen der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/7817, S. 179). Die Arbeitsbedingungen der Zivilbeschäftigten konnten daher – jedenfalls unter dieser hier unstreitigen Voraussetzung – abgeändert oder aufgehoben werden. Dies räumt die Revision selbst ein. Dabei gilt für die Tarifregelung, durch die vor dem Wirksamwerden des Beitritts geltende Arbeitsbedingungen geändert oder aufgehoben werden, in gleicher Weise wie bei der Änderung von Tarifverträgen das Ablösungsprinzip (vgl. dazu BAG Urteil vom 1. Juni 1970 – 3 AZR 166/69 – AP Nr. 143 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu II 3c der Gründe; Däubler, Tarifvertragsrecht, 3. Aufl., Anm. 1471 f.; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 149, 313). Der Tarifvertrag kann Veränderungen zum Nachteil der Arbeiter enthalten. Eine Billigkeitskontrolle findet nicht statt. Änderungen sind von den Gerichten nur darauf zu überprüfen, ob sie gegen das Grundgesetz, zwingendes Gesetzesrecht, die guten Sitten oder tragende Grundsätze des Arbeitsrechts verstoßen (BAGE 41, 163, 168 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Besitzstand, zu II 3 der Gründe).

2. Der Änderungstarifvertrag Nr. 1 verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Der Änderungstarifvertrag Nr. 1 beschränkt sich hinsichtlich der Jubiläumszuwendungen auf die Aufhebung der nach dem Einigungsvertrag fortgeltenden Regelungen. Er unterscheidet nicht zwischen den Arbeitern, die nach dem 1. Juli 1991 ein Jubiläum erreicht hätten, sondern schließt diese Arbeiter alle von einer Jubiläumszuwendung nach den bis zum 30. Juni 1991 geltenden Bestimmungen aus.

Die Tarifvertragsparteien waren nicht verpflichtet, in der Aufhebungsbestimmung nach den bis dahin zurückgelegten Beschäftigungszeiten zu differenzieren.

Der Anspruch auf eine Jubiläumszuwendung nach den Arbeitsbedingungen für Zivilbeschäftigte der NVA entstand mit Vollendung einer 25jährigen Beschäftigungsdauer. Das Versprechen einer der artigen an die Erreichung eines Stichtags geknüpften Leistung begründet keine Anwartschaft auf die Leistung. Es unterscheidet sich von der Zusage einer betrieblichen Altersversorgung. Diese erdient ein Arbeitnehmer schon vor Erreichen des Versorgungsfalles anteilig (BAGE 56, 289, 300 = AP Nr. 25 zu § 77 BetrVG 1972, zu II 4 der Gründe). Wird die Versorgungsregelung in einem ablösenden Tarifvertrag vor Eintritt des Versorgungsfalls zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert, müssen Besitzstände beachtet werden (BAGE 41, 163 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Vorruhestand, zu III 2 der Gründe). Vor Eintritt des Jubiläumszeitpunkts entsteht jedoch weder ein Teilanspruch noch eine Anwartschaft. Ändern Tarifvertragsparteien die Anspruchsvoraussetzungen für eine solche künftig zu erwartende Leistung des Arbeitgebers zum Nachteil des Arbeitnehmers, beeinträchtigen sie nicht Besitzstände von Arbeitnehmern, die die früher notwendige Zeit teilweise zurückgelegt haben. Der Fall liegt ebenso, wie wenn in einem späteren Tarifvertrag die Regelung über den Arbeitslohn verschlechtert wird, etwa durch Streichung von Lebensaltersstufen, die der Arbeitnehmer noch nicht erreicht hat. Höherrangiges Recht verletzen die Tarifvertragsparteien dadurch nicht (vgl. auch BAG Urteil vom 14. Juni 1995 – 4 AZR 225/94 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, für einen den Bewährungsaufstieg beseitigenden Tarifvertrag).

b) Durch die Aufhebung der nach dem Einigungsvertrag fortgeltenden Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen haben die Tarifvertragsparteien nicht den Vertrauensgrundsatz (Art. 20 GG) verletzt, der der Rückwirkung von Gesetzen und Tarifverträgen Grenzen setzt (BAGE 63, 111, 118 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Vorruhestand, zu III 2 der Gründe; BVerfGE 13, 261, 271; 15, 313, 324).

Die Aufhebungsregelung enthielt keine unzulässige echte Rückwirkung. Sie griff nicht in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände ein, sondern betraf nur Arbeitnehmer, die, wie der Kläger, die 25jährige Beschäftigungszeit noch nicht vollendet hatten.

Auch ein Fall der unechten Rückwirkung von Rechtsnormen, die eine Abwägung des Vertrauens des einzelnen mit der Bedeutung des mit der rechtlichen Regelung verfolgten Anliegens erfordert (vgl. BVerfGE 25, 142, 154; 69, 272, 310; 75, 246, 280), ist nicht gegeben. Ziel des MTArb-O vom 10. Dezember 1990 und der beiden Änderungstarifverträge Nr. 1 vom 8. Mai 1991 und Nr. 2 vom 12. November 1991 war die schrittweise Annäherung der Arbeitsbedingungen im Beitrittsgebiet an das Niveau der Arbeitsbedingungen in den alten Bundesländern, wie sie bereits der Einigungsvertrag vorsah. Schon deshalb konnte der Kläger zumindest seit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 nicht mehr darauf vertrauen, daß die Bestimmungen über Jubiläumszuwendungen unverändert erhalten und nicht in das Tarifwerk für das wiedervereinigte Deutschland überführt würden.

III. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Jubiläumszuwendung in Höhe von 600,-- DM nach § 45 MTArb-O i.V.m. dem Erlaß des Bundesministers der Verteidigung vom 16. April 1993. Insoweit ist die Klage unbegründet, weil der Kläger die erforderliche Beschäftigungszeit nicht zurückgelegt hat.

Nach § 45 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 MTArb-O sind die Zeiten erfüllter Dienstpflicht in der Bundeswehr sowie Zeiten des Zivildienstes als Beschäftigungszeit anzurechnen. Den Zeiten erfüllter Dienstpflicht in der Bundeswehr gleichgestellt sind in der Übergangsvorschrift zu Abs. 1 Unterabs. 2 die Zeiten des Grundwehrdienstes in der NVA und in weiteren Einheiten, soweit sie der Ableistung des Grundwehrdienstes entsprachen. Damit sind darüberhinausgehende Zeiten in einem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit oder als Berufssoldat weder in der Bundeswehr noch in der NVA zu berücksichtigen.

Zu Unrecht meint die Revision, die Beklagte dürfe sich auf die Nichtvollendung der Beschäftigungszeit nicht berufen, weil der Erlaß des Bundesministers der Verteidigung zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen wie der vorliegenden ergangen sei. Dafür bestehen keine Anhaltspunkte. Nach dem Erlaß wird die Jubiläumszuwendung ausdrücklich nur in entsprechender Anwendung des § 45 MTArb-O gezahlt und setzt die Vollendung der dort geregelten Beschäftigungszeit voraus.

Da der Kläger die Voraussetzungen des § 45 MTArb-O nicht erfüllt hat, kann unerörtert bleiben, ob die Tarifvertragsparteien verpflichtet gewesen wären, die Gruppe der Arbeitnehmer, die zwichen dem Inkrafttreten des Änderungstarifvertrags Nr. 1 und des Änderungstarifvertrags Nr. 2 die anspruchsbegründende Beschäftigungszeit erfüllten, in die ab 1. Dezember 1992 geltende Tarifregelung einzubeziehen.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, E. Steinhäuser, K.-H. Reimann

 

Fundstellen

BAGE, 1

BB 1996, 116

NZA 1996, 268

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