Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung als “Leiter von Erziehungsheimen”. Bestätigung der Rechtsprechung des Senats zur Eingruppierung als “Leiter von Erziehungsheimen” im Urteil vom 23. Oktober 1996 – 4 AZR 270/95 – AP Nr. 220 zu §§ 22, 23 BAT 1975 = ZTR 1997, 127

 

Leitsatz (amtlich)

Rügt der Revisionskläger als “allein noch streitige Frage” die Rechtsanwendung des Berufungsgerichts bezüglich einer einzigen Tatbestandsvoraussetzung eines Eingruppierungsmerkmals, unterliegen auch dessen andere Tatbestandsvoraussetzungen der rechtlichen Prüfung des Revisionsgerichts. Denn bei der materiallrechtlichen Prüfung des Berufungsurteils ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 Satz 1 ZPO an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

 

Normenkette

BAT 1975 §§ 22-23; Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst der Anlage 1a zum BAT/VKA in der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung des Tarifvertrages vom 24. April 1991, VergGr. III und IVa; ZPO § 559 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 01.03.1995; Aktenzeichen 7 Sa 14/94)

ArbG Gießen (Urteil vom 30.11.1993; Aktenzeichen 4 Ca 437/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die tarifgerechte Vergütung der Klägerin.

Die am 15. April 1951 geborene Klägerin ist seit dem 1. April 1987 staatlich anerkannte Sozialarbeiterin. Am 2. Januar 1989 trat sie in die Dienste des Beklagten. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom selben Tage. In dessen § 1 ist bestimmt, daß die Klägerin “– zunächst – bei der Schule für Blinde und Sehbehinderte, F… als Heimleiterin beschäftigt” wird. In § 5 des Vertrages haben die Parteien vereinbart, daß die Klägerin Vergütung auf der Grundlage der VergGr. IVb der Vergütungsordnung zum BAT erhält. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), dessen Geltung die Parteien überdies in § 2 des schriftlichen Arbeitsvertrages vereinbart haben.

Die vom Beklagten getragene J… -Schule, F… –  nachfolgend kurz: J… –, bei der die Klägerin noch immer mit derselben Tätigkeit wie ab Beginn des Arbeitsverhältnisses beschäftigt wird, ist die zentrale hessische Schule mit Internat für sehgeschädigte (blinde und sehbehinderte) Kinder und Jugendliche. Sie wird geleitet von dem nach der Besoldungsgruppe A 15 (nebst einer Zulage) besoldeten Schulleiter B…, der die Gesamtverantwortung für die Einrichtung trägt, die von dem Schulträger bereitgestellten Haushaltsmittel bewirtschaftet und das Hausrecht ausübt. Ihm unterstellt ist ein Verwaltungsleiter. Kompetenz- und Aufgabenverteilung für den Schulleiter und den ihm unterstellten Verwaltungsleiter sind in der Organisationsverfügung Nr. 30 des Beklagten vom 6. Dezember 1989 geregelt. Danach sind dem Verwaltungsleiter insbesondere der Einsatz des Verwaltungs-, Wirtschafts- und technischen Personals sowie die Regelung und Überwachung des Betriebsablaufs in der Verwaltung, den technischen und Wirtschaftsbetrieben übertragen.

Die J… ist in folgende Abteilungen gegliedert:

  • Zentrale Beratungsstelle für Eltern sehgeschädigter Kleinkinder (Frühförderung)
  • Schule für Blinde
  • Abteilung für Sehbehinderte
  • Abteilung für Lernbehinderte
  • Abteilung für Praktisch-Bildbare
  • Abteilung für Taubblinde
  • Abteilung Realschule
  • Abteilung Berufsschule
  • Internat und Tagesheimgruppe

Im Internat der J… werden rund 80 bis 85 Personen von Sonntagnachmittag/abend bis Freitagnachmittag/abend betreut. Außerdem ist dort eine Tagesheimgruppe mit durchschnittlich ca. 45 Tageskindern eingerichtet.

Alle im Internat lebenden Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gehören dem Personenkreis des § 39 BSHG an. Sie werden in insgesamt 15 Gruppen betreut, und zwar in drei Gruppen von mehrfachbehinderten Personen, in sechs Gruppen mit schwerstmehrfachbehinderten Personen und in ebenfalls sechs Integrationsgruppen mit blinden und stark sehbehinderten Personen. Außer den Wochenenden verbringen die Internatsschüler, die im Internat meist vom 6. bis zum 18. Lebensjahr, in Einzelfällen bis zum 21. Lebensjahr leben, auch ihre Ferien bei ihren Familien oder in anderen familienersetzenden Einrichtungen. Im Jahre 1992 belief sich die Zahl der Internatstage auf 182, im Jahre 1993 auf 192.

Ziel der pädagogischen Arbeit im Internat ist die Befähigung des blinden und sehbehinderten Schülers zur adäquaten Teilnahme am Leben in der Gesellschaft. Dieses Ziel wird bei den sehr unterschiedlich begabten behinderten jungen Menschen auf individuelle Art und Weise über die gesamte Internatszeit angestrebt. Das pädagogische Konzept umfaßt schwerpunktmäßig folgende Bereiche:

  • Training sämtlicher lebenspraktischer Fertigkeiten und Fähigkeiten bis hin zur selbständigen Lebensführung
  • Mobilitätstraining
  • Schulung der Restsinne
  • Erarbeitung und Umsetzung von Möglichkeiten einer sinnvollen Freizeitgestaltung
  • Hilfen bei der Bewältigung der Behinderung
  • Hausaufgabenbetreuung
  • Zusammenarbeit mit Eltern und Lehrkräften

Im Internat sind regelmäßig 60 bis 70 Mitarbeiter beschäftigt; weit überwiegend handelt es sich bei diesen um erzieherisches Personal.

Die Aufgaben und Kompetenzen der dem Schulleiter als Leiter der Gesamteinrichtung gemäß § 90 des Hessischen Schulgesetzes vom 17. Juni 1992 (GVBl. I S. 233, in Kraft getreten am 1. August 1993; früher: § 47 Schulverwaltungsgesetz) unterstellten Klägerin sind in der Stellenbeschreibung vom 2. September 1991 beschrieben. Nach dieser ist die Klägerin für die gesamte pädagogische Arbeit im Internat und der Tagesstätte verantwortlich. Sie ist “Dienstvorgesetzte für das pädagogische Personal des Internats und der Tagesstätte sowie der ihr unterstellten Sonderdienste und sonstigen MitarbeiterInnen”. Sie ist verantwortlich für die pädagogische Konzeption des Internats und der Tagesstätte im Rahmen der Gesamtkonzeption der Einrichtung. Sie sorgt durch geeignete Maßnahmen, Absprachen und Anweisungen für die Koordination der pädagogischen Arbeit und hat die Aufgabe, alle Arbeitsabläufe und die Effektivität der Arbeit im pädagogischen Bereich des Internats und der Tagesstätte im Sinne der Gesamtkonzeption zu kontrollieren. Sie führt die Fachaufsicht über das pädagogische Personal und vertritt den pädagogischen Bereich des Internats und der Tagesstätte gegenüber der Verwaltung und der Schule.

Seit dem 1. Juni 1991 wird die Klägerin nach der VergGr. IVa BAT vergütet. Sie erhält außerdem die Heimzulage von monatlich 120,-- DM nach der Protokollerklärung Nr. 1.

Mit Schreiben vom 24. September 1992 ließ die Klägerin durch die Gewerkschaft ÖTV gegenüber dem Beklagten geltend machen, ihr stehe Vergütung nach der VergGr. III BAT zu. Mit Schreiben vom 28. Januar 1993 wies der beklagte Verband diesen Anspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, die Klägerin sei keine Heimleiterin, da dem Schulleiter der J… auch die alleinige verantwortliche Leitung des dort angegliederten Internats obliege. Hinzu komme, daß das Eingruppierungsmerkmal der VergGr. III Fallgr. 3 BAT auf Verhältnisse abstelle – Heimleitung von Jugendheimen –, die beim Internat der J… nicht gegeben seien.

Mit ihrer am 11. August 1993 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. III weiter, und zwar zuletzt für die Zeit ab 1. April 1993.

Sie hat vorgetragen, für das Tatbestandsmerkmal “Heimleiter” sei unerheblich, daß sie dem Schulleiter dienstrechtlich unterstellt sei, da sie allein die fachlich-pädagogische Verantwortung für den Heimbereich habe. Bei dem Internat der J… handle es sich auch um ein Erziehungsheim im Tarifsinne. Hierfür sei unschädlich, daß die Kinder und Jugendlichen über das Wochenende und während der Ferien nicht im Internat untergebracht seien. Unter “ständiger Unterbringung” im tariflichen Sinn sei eine auf eine gewisse, nicht unerhebliche Dauer angelegte Unterbringung zu verstehen. Dieses Tätigkeitsmerkmal werde erfüllt, weil die untergebrachten Kinder und Jugendlichen regelmäßig von ihrer Einschulung bis zu ihrer Entlassung aus dem jeweiligen Schulzweig im Heim untergebracht seien. Insoweit handele es sich um Zeiträume von erheblicher Dauer. Da sie sich als Leiter eines Erziehungsheims mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 50 Plätzen seit Beginn des Arbeitsverhältnisses am 2. Januar 1989 bewährt habe, seien die Voraussetzungen für den Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. III BAT mit Ablauf des 2. Januar 1993 gegeben. Mit Rücksicht auf die tarifliche Ausschlußfrist habe sie Anspruch auf diese Vergütung ab 1. April 1993.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß der beklagte Verband verpflichtet ist, an die Klägerin seit dem 1. April 1993 Vergütung nach der VergGr. III BAT zuzüglich 4 % Zinsen aus den sich daraus ergebenden Nettodifferenzbeträgen seit dem 24. August 1993 zu zahlen.

Der beklagte Verband hat beantragt, die Klage abzuweisen, und vorgetragen, die Klägerin sei nicht als Heimleiterin im tariflichen Sinne anzusehen, da die alleinige und eigenverantwortliche Leitung des Internats mit der ihm angegliederten Tagesheimgruppe dem Schulleiter übertragen sei. Zudem seien die im Internat untergebrachten Kinder und Jugendlichen im tariflichen Sinne nicht “ständig” untergebracht, da die Aufenthaltsdauer im Internat weniger als 200 Tage jährlich betrage. Lebensmittelpunkt der Internatskinder bleibe daher der Wohnort der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, nach dem Klageantrag erkannt und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat nach ihrem eigenen Vorbringen keinen Anspruch auf Vergütung nach der VergGr. III BAT ab 1. April 1993.

I. Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine im öffentlichen Dienst allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage, gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (z. B. Senatsurteil vom 19. März 1986 – 4 AZR 470/84 – AP Nr. 114 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Der Feststellungsantrag ist auch insoweit zulässig, als er Zinsforderungen zum Gegenstand hat (z. B. Senatsurteil vom 21. Januar 1970 – 4 AZR 106/69 – BAGE 22, 247, 249 = AP Nr. 30 zu §§ 22, 23 BAT).

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin erfüllt nicht das Tatbestandsmerkmal “Leiter von Erziehungsheimen” der VergGr. IVa Fallgr. 11 BAT/VKA. Sie kann daher auch nicht durch vierjährige Bewährung in dieser Vergütungsgruppe und Fallgruppe die Anforderungen des Eingruppierungsmerkmals der VergGr. III Fallgr. 4 BAT/VKA erfüllen.

1. Aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit gilt zwischen den Parteien der BAT nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Parteien haben überdies dessen Geltung einzelvertraglich vereinbart. Maßgebend ist, wovon die Vorinstanzen übereinstimmend mit den Parteien ausgehen, die für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) geltende Fassung (BAT/VKA).

1.1 Damit kommt es für die Eingruppierung der Klägerin nach § 22 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 BAT darauf an, ob in ihrer Tätigkeit zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die die Anforderungen eines Eingruppierungsmerkmals der von der Klägerin geforderten Vergütung nach VergGr. III BAT/VKA erfüllen. Dabei ist von dem in ständiger Senatsrechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorgangs auszugehen, also von einer unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertetenden Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit eines Angestellten (BAGE 51, 59; 51, 282; 51, 356 = AP Nr. 115, 116 und 120 zu §§ 22, 23 BAT 1975; ständige Rechtsprechung des Senats).

1.2 Während das Arbeitsgericht angenommen hat, die gesamte Leitungstätigkeit der Klägerin bilde einen einzigen großen Arbeitsvorgang, vertritt das Landesarbeitsgericht die Auffassung, die gesamte Tätigkeit der Klägerin sei in zwei Arbeitsvorgänge zu gliedern, nämlich in die Leitung des Internats einerseits und die Leitung der Tagesheimgruppe andererseits. Es hat dazu ausgeführt, insofern dürfe keine Zusammenhangstätigkeit vorliegen, weil die beiden Leitungstätigkeiten von den Tarifparteien verschiedenen Vergütungsgruppen zugeordnet worden seien; das tarifliche Merkmal der ständigen Unterbringung sei lediglich bei den Kindern und Jugendlichen des Internats, nicht aber bei denen der Tagesheimgruppe erfüllt.

Es kann dahinstehen, ob die Auffassung des Arbeitsgerichts oder diejenige des Landesarbeitsgerichts zur Bildung der Arbeitsvorgänge zutreffend ist, denn die Klägerin hat nach ihrem Vortrag bei keinem denkbaren Zuschnitt der Arbeitsvorgänge einen Anspruch auf die von ihr geforderte Vergütung.

2. Für die Eingruppierung der Klägerin sind die speziellen Tätigkeitsmerkmale für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst der Anlage 1a zum BAT/VKA maßgebend. Diese haben in der ab 1. Januar 1991 geltenden Fassung (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) folgenden Wortlaut:

Vergütungsgruppe III

4. Angestellte als Leiter von Erziehungsheimen mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 50 Plätzen

nach vierjähriger Bewährung in VergGr. IVa Fallgruppe 11.

(Hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 10 und 11)

Vergütungsgruppe IVa

11. Angestellte als Leiter von Erziehungsheimen mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 50 Plätzen.

Hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 10 und 11)

Protokollerklärung:

1. Der Angestellte – ausgenommen der Angestellte bzw. Meister im handwerklichen Erziehungsdienst – erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) eine Zulage in Höhe von 120 DM monatlich, wenn in dem Heim überwiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind; sind nicht überwiegend solche Personen ständig untergebracht, beträgt die Zulage 60 DM monatlich.

Für den Angestellten bzw. Meister im handwerklichen Erziehungsdienst in einem Heim im Sinne des Unterabsatzes 1 erster Halbsatz beträgt die Zulage 80 DM monatlich.

Die Zulage wird nur für Zeiträume gezahlt, für die Bezüge (Vergütung, Urlaubsvergütung, Krankenbezüge) zustehen. Sie ist bei der Bemessung des Sterbegeldes (§ 41) und des Übergangsgeldes (§ 63) zu berücksichtigen.

11. Erziehungsheime sind Heime, in denen überwiegend behinderte Kinder oder Jugendliche im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten ständig untergebracht sind.

Die Protokollerklärung Nr. 10 ist nicht entscheidungserheblich.

3. Das Landesarbeitsgericht hat bezüglich der Tatbestandsmerkmale “Leiter von Erziehungsheimen” angenommen, dem Arbeitsgericht sei darin beizupflichten, daß die Klägerin “Leiter” des Heimbereichs und damit auch des Internats sei. Maßgebend dafür sei, daß die Klägerin das Internat in fachlicher Hinsicht eigenverantwortlich leite, was zwischen den Parteien unstreitig sei und sich auch aus der Stellenbeschreibung des Beklagten für die Klägerin ergebe, wonach die Klägerin u. a. die Fachaufsicht über das pädagogische Personal des Internats führe. Daß die Klägerin ihrerseits dem Schulleiter der J…, innerhalb welcher der von ihr geleitete Heimbereich nur eine von neun Abteilungen bilde, dienstrechtlich unterstellt sei, stehe der Leitereigenschaft der Klägerin nicht entgegen. Denn grundsätzlich unterliege jeder in eine betriebliche Organisation eingegliederte Arbeitnehmer, also auch der Leiter einer Abteilung, einer bestimmten Dienstaufsicht. Bei dem Internat der J… handele es sich auch um ein Erziehungsheim mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 50 Plätzen, in dem überwiegend behinderte Kinder oder Jugendliche im Sinne des § 39 BSHG ständig untergebracht seien, was das Landesarbeitsgericht näher begründet hat.

4. Dem folgt der Senat nicht. Dem Vorbringen der Klägerin ist nicht zu entnehmen, daß die von ihr ausgeübte Leitungstätigkeit sich auf ein Erziehungsheim insgesamt bezieht, wobei hier unterstellt wird, daß das Internat der J… das Tatbestandsmerkmal “Erziehungsheim” erfüllt. Vielmehr ergibt sich aus dem Sachvortrag der Klägerin lediglich, daß die Klägerin – auf der Grundlage der vorgenannten Unterstellung – nur den Erziehungsdienst in einem Erziehungsheim leitet. Daran scheitert der von der Klägerin verfolgte Vergütungsanspruch.

4.1 Dem steht nicht der Umstand entgegen, daß der Beklagte in der Revisionsbegründung ausgeführt hat, in dem Eingruppierungsstreit der Parteien gehe es “allein noch um die Frage”, ob die von der Klägerin betreuten und im Internat untergebrachten 15 Gruppen “ständig” im tariflichen Sinne untergebracht seien. Der Senat kann nicht übergehen, daß dem Vortrag der Klägerin die Ausübung einer auf das Internat insgesamt bezogenen Leitungstätigkeit nicht zu entnehmen ist. Gehen beide Parteien übereinstimmend davon aus, die Tätigkeit der Klägerin/des Klägers habe die Leitung des Internats insgesamt zum Inhalt, bedarf es dazu keines näheren Sachvortrags der Klagepartei. Bei einer solchen Fallgestaltung fehlt es dann an Umständen im Klagevorbringen, aus denen folgt, daß das Tatbestandsmerkmal bei richtiger Rechtsanwendung nicht erfüllt ist. Das Revisionsgericht hat dann keine tatsächliche Grundlage, die Unschlüssigkeit der Klage wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen dieses Tatbestandsmerkmals anzunehmen. Anders verhält es sich im vorliegenden Fall. Da der Beklagte vorprozessual – und auch noch im ersten Rechtszug – geltend gemacht hat, die Klägerin sei nicht Leiterin eines Erziehungsheims, sondern dessen Leitung liege bei dem Schulleiter, hat die Klägerin näher dargelegt, inwiefern aus ihrer Sicht von ihr die Leitung des Internats ausgeübt wird. Diese von ihr vorgetragenen Umstände erfüllen bei richtiger Rechtsanwendung jedoch nicht das Tatbestandsmerkmal der Leitung eines Erziehungsheims. Dies führt zur Abweisung der Klage, denn nach § 559 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist das Revisionsgericht bei der materiellrechtlichen Prüfung des Berufungsurteils entgegen der von der Klägerin dazu vertretenen Auffassung an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden. Ob der Mangel in der Revisionsbegründungsschrift gerügt worden ist, ist unerheblich, sofern diese nur irgendeine ordnungsgemäße Revisionsrüge enthält (BGH NJW 1991, 1822, 1823; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 559 Rz 19; MünchKommZPO-Walchshöfer, § 559 Rz 27). Der Revisionskläger kann daher auch noch nach Ablauf der Begründungsfrist bisher nicht vorgebrachte Rechtsverletzungen rügen, und zwar sowohl in einem weiteren Schriftsatz als auch in der mündlichen Verhandlung (Grunsky, aaO), wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit Recht geltend gemacht hat. Ein solcher Vortrag stellt lediglich eine Anregung für das Revisionsgericht dar, bei der ohnedies von Amts wegen durchzuführenden Überprüfung des Berufungsurteils bestimmte Mängel zu beachten (Walchshöfer, aaO).

4.2 Mit den Tatbestandsmerkmalen “Leiter von Erziehungsheimen” hat sich der Senat in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 1996 – 4 AZR 270/95 – AP Nr. 220 zu §§ 22, 23 BAT 1975 = ZTR 1997, 127) auseinandergesetzt. Er hat in dieser die Auffassung vertreten, die Tatbestandsmerkmale “Leiter von Erziehungsheimen” forderten eine auf das “Erziehungsheim” bezogene Leitungstätigkeit. Es könne dahinstehen, ob dann, wenn Gegenstand der Leitungstätigkeit eine in eine größere organisatorische Einheit integrierte Teileinrichtung sei, für das Tatbestandsmerkmal der Heim- “Leitung” auch die Verantwortung des Angestellten für die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel zu fordern sei. Zumindest aber müsse dem “Leiter” die Leitung aller regelmäßigen Arbeitsabläufe im Erziehungsheim übertragen sein. Bei einem Heim für – in jenem Fall – 125 Schüler handele es sich um einen hauswirtschaftlichen Großbetrieb. Dessen Leitung beinhalte die Verantwortung für die Ernährung der Schüler, für die Wäsche, die Reinigung, das Mobiliar und die sonstige Einrichtung, Maschinen und Geräte. Die Leitung eines solchen Heims umfasse daher neben der Planung, der Organisation und der Beaufsichtigung der erzieherischen Tätigkeit auch diejenige der hauswirtschaftlichen, betriebsorganisatorischen und technischen Arbeitsabläufe, d. h. des richtigen Einsatzes von Arbeitskraft, Material, Zeit und Geld auf diesen Gebieten (aaO, unter Ziff. III 5.4.2 der Gründe).

4.3 Daran ist festzuhalten. Dem Vortrag der Klägerin ist nicht zu entnehmen, daß sie den hauswirtschaftlichen Großbetrieb, den das 80 bis 85 Schüler beherbergende Internat der J… bildet, insgesamt leitet, also auch die hauswirtschaftlichen, betriebsorganisatorischen und technischen Arbeitsabläufe, d. h. den richtigen Einsatz von Arbeitskraft, Material, Zeit und Geld plant, organisiert und beaufsichtigt. Zwar wird sie nach dem Arbeitsvertrag der Parteien in der J… als “Heimleiterin” beschäftigt. Ihre Position ist auch in der Stellenbeschreibung vom 2. September 1991 als “Stellenbeschreibung für die Heimleiterin” überschrieben; in dieser findet sich durchgängig wiederum der Begriff “Heimleiterin” zur Bezeichnung ihrer Position. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in dieser Stellenbeschreibung beinhaltet ihre Tätigkeit jedoch nicht die Leitung des Internats, also des Heims insgesamt, sondern nur diejenige der pädagogischen Arbeit in diesem. Dies kommt an zahlreichen Textstellen der Stellenbeschreibung zum Ausdruck. So ist zum Inhalt ihrer Verantwortung ausgeführt, sie sei als Heimleiterin “für die gesamte pädagogische Arbeit” im Internat und in der Tagesstätte verantwortlich. Als Heimleiterin sei sie “Dienstvorgesetzte für das pädagogische Personal”. Der Inhalt ihrer Koordinationsarbeit ist dahin bestimmt, daß sie für geeignete Maßnahmen, Absprachen und Anweisungen “für die Koordination der pädagogischen Arbeit” sorge. Sie habe die Aufgabe, alle Arbeitsabläufe und die Effektivität der Arbeit “im pädagogischen Bereich des Internats und der Tagesstätte” zu kontrollieren. Sie führe die Fachaufsicht “über das pädagogische Personal” und vertrete “den pädagogischen Bereich des Internats und der Tagesstätte” gegenüber der Verwaltung und der Schule. Daß sie darüber hinaus die Verantwortung für die Ernährung der Schüler, für die Wäsche, die Reinigung, das Mobiliar und die sonstige Einrichtung, Maschinen und Geräte und das in diesen Aufgabenbereichen beschäftigte Personal trägt, ist der Stellenbeschreibung vom 2. September 1991 nicht auch nur andeutungsweise zu entnehmen. Dies ist von der Klägerin auch nicht vorgetragen und demzufolge vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden.

Die Leitungstätigkeit der Klägerin bezieht sich auf der Grundlage ihres eigenen Vorbringens somit nur auf die pädagogische Arbeit im Internat und der Tagesstätte der J…, nicht auf das Internat insgesamt.

4.4 Die Zahlung der sog. Heimzulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) der Anl. 1a zum BAT/VKA durch den Beklagten an die Klägerin steht damit nicht in Widerspruch. Diese setzt die Tätigkeit in einem in der Protokollerklärung Nr. 1 näher beschriebenen Heim voraus. Für die Eingruppierung der Klägerin in die Merkmale für “Leiter von Erziehungsheimen” ist hingegen nicht ausreichend, daß sie in einem Erziehungsheim tätig ist, sondern erforderlich, daß sie ein Erziehungsheim leitet.

4.5 Ob die Unterbringung der Personen in einem Heim an ca. 180 bis 190 von 365 Kalendertagen im Jahr das Merkmal der “ständigen” Unterbringung erfüllt, bedarf daher für den Streitfall keiner Entscheidung.

III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits nach § 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Bott, Müller-Tessmann, Eva-Maria Pfeil

 

Fundstellen

Haufe-Index 884904

DB 1998, 320

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