Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellungsanspruch. Berufshaftpflichtversicherung

 

Normenkette

BGB §§ 611, 398; VVG § 67

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 11.08.1994; Aktenzeichen 10 Sa 101/93)

ArbG Hannover (Urteil vom 11.11.1992; Aktenzeichen 2 Ca 384/92)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 11. August 1994 – 10 Sa 101/93 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Revision.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund eines auf ihn als Versicherer übergegangenen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs Ausgleichszahlungen von der Beklagten verlangen kann.

Der Kläger ist Haftpflichtversicherer der bei der Beklagten beschäftigten Anästhesieärzte Dr. B. und Dr. L.. Am 14. Januar 1984 sollte der verunfallte Privatpatient R. am Fußgelenk operiert werden. Weder der zuständigen Narkoseärztin Dr. B. noch dem hinzugezogenen Kollegen Dr. L. gelang die Intubation des Patienten. Der Patient erlitt einen Sauerstoffmangel, fiel ins Koma und verstarb am 1. Januar 1985 an den Folgen der mißlungenen Narkose.

Im Prozeß der Erbin des Patienten gegen die beteiligten Narkoseärzte wurden diese dem Grunde nach zur Leistung von Schadensersatz und Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. Der Kläger erstattete den durch die Narkose entstandenen Gesamtschaden einschließlich Schmerzensgeld für die Witwe in Höhe von insgesamt 412.059,23 DM und ließ sich etwaige Freistellungsansprüche der bei ihm versicherten Narkoseärzte gegenüber der Beklagten abtreten.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger Erstattung der Hälfte der von ihm gezahlten Schadensersatzleistungen aufgrund der auf ihn übergegangenen Freistellungsansprüche der bei der Beklagten angestellten Ärzte. Er sei mit seinen Zahlungen im Interesse der Versicherungsnehmer in Vorlage getreten. Die arbeitsrechtlichen Freistellungsansprüche seien begründet, weil die Unmöglichkeit der Intubation auf eine anatomische Besonderheit des Patienten zurückzuführen gewesen sei und sich damit als das typische Risiko der Anästhesietätigkeit verwirklicht habe. Den Freistellungsansprüchen stehe nicht entgegen, daß die beiden Narkoseärzte eine Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen hätten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 206.029,61 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 10. Februar 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch sei ein höchstpersönliches Recht des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, das auf einen Dritten nicht übergehen könne. Ein Arbeitnehmer, der eine eigene Haftpflichtversicherung habe, müsse diese zur Schadensminderung heranziehen. Soweit die Versicherung den Schaden reguliere, entfalle ein Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers. Im übrigen scheide ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch gegen die Beklagte im vorliegenden Fall schon deshalb aus, weil der verstorbene Patient privatärztlich behandelt worden sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Klage konnte schon mangels schlüssigen Klagevortrags keinen Erfolg haben.

I. Der vom Kläger geltend gemachte Übergang arbeitsrechtlicher Freistellungsansprüche nach § 67 VVG und § 398 BGB auf ihn hätte vorausgesetzt, daß solche Freistellungsansprüche der Narkoseärzte gegen die Beklagte bestanden. Hierzu hat der Kläger jedoch keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen.

1. Der Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist dann schlüssig und damit erheblich, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muß in der Lage sein, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind (vgl. BGH Urteil vom 29. September 1992 – X ZR 84/90 – MDR 1993, 417, m.w.N.). Das Gericht ist nicht verpflichtet, einen im Prozeß anwaltlich vertretenen Kläger darauf hinzuweisen, daß sein Klagevorbringen nicht substantiiert und nicht schlüssig ist (BGH Urteil vom 9. November 1983 – VIII ZR 349/82 – AP Nr. 5 zu § 139 ZPO). Das Vorbringen des Klägers genügt den Anforderungen an einen schlüssigen und substantiierten Vortrag zur Begründung der geltend gemachten Freistellungsansprüche nicht.

2. Ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch der Narkoseärzte Dr. B. und Dr. L. gegen die Beklagte setzt zunächst voraus, daß die beiden Ärzte bei der mißlungenen Narkose in Erfüllung ihrer gegenüber der Beklagten bestehenden arbeitsvertraglichen Pflichten handelten. Hierzu hat der Kläger lediglich vorgetragen, daß die beiden Narkoseärzte bei der Beklagten angestellt gewesen seien. Dieser Vortrag genügt nicht, zumal die Beklagte darauf hingewiesen hatte, daß der verstorbene Patient privatärztlich behandelt worden sei. Der Kläger hätte daher vortragen müssen, daß die Narkoseärzte aufgrund ihrer Arbeitsverträge auch bei der Versorgung des Privatpatienten R. ihre arbeitsvertraglichen Pflichten gegenüber der Beklagten erfüllten und nicht etwa aufgrund einer Nebentätigkeit für den liquidationsberechtigten Chefarzt der Anästhesie handelten. Dazu hätte insbesondere vorgetragen werden müssen, welche Regelungen die Arbeitsverträge der Narkoseärzte mit der Beklagten zur Behandlung von Privatpatienten enthielten und welche vertraglichen Vereinbarungen mit dem liquidationsberechtigten Chefarzt der Anästhesie über die Mitwirkung der beiden Narkoseärzte bei der Versorgung eines Privatpatienten bestanden.

Bei der ärztlichen Behandlung von Privatpatienten im Krankenhaus sind ganz unterschiedliche Fallkonstellationen möglich. Welche Rechtsbeziehungen zwischen dem Krankenhausträger, den behandelnden Ärzten und dem Privatpatienten bestehen, richtet sich nach den getroffenen Vereinbarungen. In der Praxis haben sich drei typische Gestaltungsformen herausgebildet. Beim „totalen Krankenhausaufnahmevertrag” tritt der Patient allein zum Krankenhausträger in vertragliche Beziehungen. Beim „Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag” schuldet der Krankenhausträger dem Patienten sowohl die ärztliche Behandlung als auch die Krankenhausversorgung. Es gelten zunächst die gleichen Grundsätze wie zum totalen Krankenhausaufnahmevertrag. Darüber hinaus schließt der Patient mit dem Chefarzt oder einem sonstigen liquidationsberechtigten Arzt des Krankenhauses einen zusätzlichen Arztvertrag ab, der den Arzt zur persönlichen Behandlung des Patienten verpflichtet. Sowohl der Krankenhausträger als auch der leitende Krankenhausarzt schulden dem Patienten die ärztliche Behandlung. Beide sind berechtigt, gegenüber dem Patienten zu liquidieren. Beim „gespaltenen Krankenhausaufnahmevertrag” schuldet der Krankenhausträger dem Patienten die Krankenhausversorgung, während der leitende Krankenhausarzt zur Erbringung der ärztlichen Leistung verpflichtet ist (vgl. zu allem Uhlenbruck in Laufs-Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 1992, Rz 3 bis 9).

Damit reicht der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt, Dr. B. und Dr. L. seien bei der Beklagten angestellt, nicht für die Annahme aus, beide Ärzte hätten bei der mißlungenen Narkose, wie der Kläger meint, in Erfüllung ihrer der Beklagten gegenüber bestehenden arbeitsvertraglichen Verpflichtung gehandelt. Aber auch die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die beiden Narkoseärzte seien bei der Versorgung des Privatpatienten R. nicht als Arbeitnehmer der Beklagten tätig geworden, läßt sich ohne Kenntnis der bestehenden vertraglichen Regelungen nicht begründen.

Deshalb fehlt es an einem schlüssigen Vortrag des Klägers zur Begründung eines arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs der Narkoseärzte gegen die Beklagte, der auf den Kläger hätte übergehen können.

3. Im übrigen hängt der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber grundsätzlich vom Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ab (vgl. BAG Urteil vom 18. Januar 1966 – 1 AZR 247/63 – AP Nr. 37 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu III 1 der Gründe). Auch hierzu fehlt es an einem hinreichenden Sachvortrag des Klägers. Der Vortrag, die Intubation des verstorbenen Patienten sei an einer körperlichen Anomalie des Patienten gescheitert, so daß sich das typische Risiko der Anästhesie verwirklicht habe, reicht nicht aus. Aus diesem Vortrag läßt sich weder das Fehlverhalten der beiden Narkoseärzte entnehmen noch läßt sich hieraus der Grad des Verschuldens der beiden Ärzte beurteilen. Insbesondere bleibt offen, warum die körperliche Anomalie des verstorbenen Patienten erst bei den Narkoseversuchen und nicht bei einer Voruntersuchung festgestellt wurde. Möglicherweise liegt der besondere Schuldvorwurf grober Fahrlässigkeit, der einen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch ganz ausschlösse, darin, daß die Voruntersuchung gar nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Dabei könnte das Verschulden der beiden Narkoseärzte auch unterschiedlich zu beurteilen sein, wenn z.B. die für die Narkose zuständige Dr. B. auch für die Voruntersuchungen zuständig war und der herbeigerufene Dr. L. erst während der vergeblichen Intubationsversuche hinzugezogen wurde. Hiernach hätten die Freistellungsansprüche beider Narkoseärzte auch unterschiedlich beurteilt werden können.

4. Schließlich ist auch der Sachvortrag des Klägers zum Umfang des Versicherungsschutzes der von Dr. B. und Dr. L. beim Kläger abgeschlossenen Berufshaftpflichtversicherungen unvollständig. Für die Frage, ob Freistellungsansprüche der Versicherungsnehmer auf die Versicherung übergehen könnten, kommt es darauf an, ob die abgeschlossenen Versicherungsverträge das volle Risiko der Versicherten gegenüber dem geschädigten Dritten abdecken oder nur insoweit Versicherungsschutz bieten, als die Versicherungsnehmer letztlich in Anspruch genommen werden. Dazu hätte der Kläger den Inhalt der Versicherungsverträge und etwaiger ergänzender Vereinbarungen vortragen müssen. Der bloße Hinweis auf das Fehlen der „sonst in der Branche üblichen Subsidiaritätsklauseln” genügt nicht.

II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, R. Iskra, Umfug

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1092971

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