Entscheidungsstichwort (Thema)

Überbrückungsbeihilfe. Stationierungsstreitkräfte

 

Normenkette

ZPO § 256; BGB § 242

 

Verfahrensgang

LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 02.02.1994; Aktenzeichen 2 Sa 1213/93)

ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 12.08.1993; Aktenzeichen 7 Ca 1085/93)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. Februar 1994 – 2 Sa 1213/93 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich).

Die Klägerin war seit 1957 bei den US-Stationierungsstreitkräften, zuletzt als Sachbearbeiterin für Betriebsorganisation in der US-Dienststelle „… T.” in K., mit einer Monatsvergütung in Höhe von 5.430,00 DM beschäftigt. Aus Anlaß der Truppenreduzierung bei den US-Stationierungsstreitkräften in Europa endete das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher, betriebsbedinger Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 31. März 1992.

Die Klägerin wäre bereit, außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte eine Teilzeitarbeitsstelle mit einer Arbeitszeit von mehr als 21 Stunden wöchentlich und einem unter dem derzeit bezogenen Arbeitslosengeld liegenden Bruttomonatsentgelt anzunehmen.

Auf Antrage teilte die Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 4. Mai 1993 mit, eine Überbrückungsbeihilfe erhalte sie nach § 4 TV SozSich nur, wenn sie entweder Arbeitslosengeld oder aber Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Arbeitslosengeldes beziehe. In § 4 TV SozSich heißt es:

„Überbrückungsbeihilfe

1) Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:

  1. zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte,
  2. zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld)
  3. zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge

Erkrankung oder

zum Verletztengeld der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Arbeitsunfall.

4) Die Überbrückungsbeihilfe beträgt:

im 1. Jahr nach der Beendigung des

100 v. H.

Arbeitsverhältnisses

vom 2. Jahr an

90 v. H.

des Unterschiedsbetrages zwischen der Bemessungsgrundlage … und den Leistungen gem. vorstehenden Ziffern 1 und 2.

…”

Die Protokollnotiz zu Ziff. 1 a lautet:

„Eine „anderweitige Beschäftigung” liegt nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt.”

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, nach dieser Tarifnorm stehe ihr Überbrückungsbeihilfe auch zu dem Arbeitsentgelt aus der von ihr angestrebten Teilzeitbeschäftigung zu. Andernfalls werde sie in der Wahl ihrer weiteren beruflichen Tätigkeit in unzulässiger Weise eingeschränkt.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß ihr Überbrückungsbeihilfe gemäß § 4 des Tarifvertrags vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auch dann zusteht, wenn sie im Rahmen einer anderweitigen Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 21 Stunden einen Arbeitsverdienst erzielt, der niedriger ist als das ihr bei fortdauernder Arbeitslosigkeit zustehende Arbeitslosengeld.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, aus dem Wesen der Überbrückungsbeihilfe folge, daß diese nicht die Funktion des Haupteinkommens besitze und deshalb nicht wesentlich höher sein könne als das Arbeitsentgelt, zu dem sie gezahlt werde. Ein Beschäftigungsverhältnis, das nur einen geringen Teil des Einkommens sichere, diene nicht der Wiedereingliederung im Sinne des TV SozSich. Wenn das Arbeitsentgelt niedriger sei als das Arbeitslosengeld, liege kein ernstgemeintes Arbeitsverhältnis vor. Für die Beurteilung seien die Kriterien der Zumutbarkeits-Anordnung der Bundesanstalt für Arbeit maßgeblich.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage stattgegeben.

I. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO), daß sie bei Aufnahme der von ihr im einzelnen bezeichneten und angestrebten Teilzeitbeschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 4 TV SozSich hat. Die Beklagte bestreitet den Anspruch der Klägerin. Wegen der erheblichen finanziellen Auswirkungen ist der Klägerin nicht zuzumuten, zunächst das anderweitige Beschäftigungsverhältnis einzugehen und dann bei Verweigerung der Zahlung der Überbrückungsbeihilfe durch die Beklagte Leistungsklage zu erheben.

II. Die Klage ist auch begründet.

Die Klägerin hat nach § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich einen Anspruch auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe zu dem Arbeitsentgelt aus der von ihr angestrebten Beschäftigung.

1. Überbrückungsbeihilfe wird nach dieser Bestimmung zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte gezahlt. Nach der Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich liegt eine „anderweitige Beschäftigung” nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt. Diese Voraussetzungen erfüllt die von der Klägerin angestrebte Tätigkeit. Diese liegt außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte und umfaßt unstreitig eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 21 Stunden. Weitere Anspruchsvoraussetzungen bestehen nach dem Wortlaut der Tarifbestimmung und der Protokollnotiz nicht.

Darauf, ob die Beschäftigung der Klägerin nach der Zumutbarkeits-Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit angeboten werden könnte, kommt es nicht an. Dafür enthält der Tarifwortlaut keine Anhaltspunkte. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen.

Ebensowenig ist entscheidend, wie hoch das Arbeitsentgelt aus der von der Klägerin angestrebten anderweitigen Beschäftigung ist. Nach dem Wortlaut von § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich hat die Klägerin einen Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe zu diesem Arbeitsentgelt, ohne daß es auf dessen Höhe ankommt. Der von den Tarifparteien gewählte Begriff „Überbrückungsbeihilfe” besagt nicht, daß die „Beihilfe” stets niedriger sein muß als das übrige Einkommen, sondern nur, daß sie beim Übergang in ein Arbeitsverhältnis mit niedrigeren Bezügen helfen soll. Für eine andere Auslegung findet sich im Tarifwortlaut kein Hinweis.

2. Auch dem wirklichen Willen der Tarifparteien und damit dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung, soweit sie in den Tarifnormen ihren Niederschlag gefunden haben, läßt sich – auch bei Beachtung des tariflichen Gesamt Zusammenhangs – nicht entnehmen, daß das Arbeitsentgelt aus der anderweitigen Beschäftigung höher sein muß als das Arbeitslosengeld, das der Arbeitnehmer erhielte.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Fallgruppen des § 4 Ziff. 1 TV SozSich unabhängig nebeneinander stehen und nicht den Schluß erlauben, das Arbeitsentgelt müsse mindestens die Höhe des Arbeitslosengeldes erreichen. Eine solche Annahme widerspräche auch dem auf Wiedereingliederung des entlassenen Arbeitnehmers gerichteten tariflichen Regelungskonzept.

Nach § 3 Ziff. 1 TV SozSich soll der entlassene Arbeitnehmer möglichst sofort in den Arbeitsprozeß wieder eingegliedert werden. Demgemäß hat sich der Arbeitnehmer nach § 3 Ziff. 2 Satz 1 TV SozSich nach der Kündigung beim Arbeitsamt arbeitssuchend und nach der Entlassung arbeitslos zu melden. Nach § 4 Ziff. 1 Buchst. b TV SozSich wird in diesem Fall Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlaß von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld) gezahlt. Der Arbeitnehmer erhält im Fall seiner Arbeitslosigkeit Überbrückungsbeihilfe also nur, wenn er selbst die Voraussetzungen im Sinne §§ 100, 105 AFG dafür schafft, daß er Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit erhält. Die Überbrückungsbeihilfe soll, sieht man einmal vom Fall des § 4 Ziff. 2 Buchst. a (2) TV SozSich ab, nicht die einzige Leistung an den Arbeitnehmer sein, sondern den Unterschiedsbetrag zwischen dem ursprünglich bezogenen Arbeitsentgelt bei den Stationierungsstreitkräften und danach bezogenen Leistungen abdecken. Verschafft der Arbeitnehmer sich keine Leistungen nach § 4 Ziff. 1 und 2 TV SozSich. erhält er grundsätzlich auch keine Überbrückungsbeihilfe. Daraus wird deutlich, daß die Überbrückungsbeihilferegelung einen Anreiz darstellen soll, damit der Arbeitnehmer entweder eine anderweitige Beschäftigung aufnimmt oder zumindest der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (§§ 100, 103 AFG). Als für den Tarifanspruch nicht ausreichend ist nach der Protokollnotiz zu § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich nur eine anderweitige Beschäftigung mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 21 Stunden oder weniger anzusehen. Obwohl die Tarifparteien das Problem einer Begrenzung des Tarifanspruchs somit erkannt haben, haben sie für die anspruchsauslösende anderweitige Beschäftigung nur eine Mindestarbeitszeit, nicht aber einen Mindestlohn vorgeschrieben. Daran sind die Gerichte gebunden.

Dem Tarifvertrag ist auch nicht zu entnehmen, daß der Arbeitnehmer verpflichtet sein soll, Arbeitslosengeld in Anspruch zu nehmen, wenn der Lohn für eine verfügbare Beschäftigung niedriger ist als dieses. Eher ist das Gegenteil der Fall, wenn man im Sinne des in der Grundsatznorm des § 3 Ziff. 1 TV SozSich enthaltenen Wiedereingliederungsgebots die Reihenfolge der in § 4 Ziff. 1 Buchst. a und b TV SozSich genannten Fallgruppen für maßgebend hält. Diese Frage bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Klägerin die in Buchstabe a genannte Überbrückungsbeihilfe zum Arbeitsentgelt verlangt hat.

3. Der Anspruch der Klägerin entfällt nicht wegen Rechtsmißbrauchs (§ 242 BGB). Die Beklagte hat keine Tatsachen dafür behauptet, daß die Klägerin treuwidrig, etwa durch Scheingeschäft oder, obwohl günstigere Angebote verfügbar sind, für die anderweitige Beschäftigung einen Lohn vereinbaren will, der unter der üblichen Vergütung liegt.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Richter Prof. Dr. Jobs kann wegen Erholungsurlaubs nicht unterzeichnen. Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, R. Kamm, D. Bengs

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093198

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