Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegezulagen nach Anlage 1 b zum BAT

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Anschluß an das Senatsurteil vom 26. Januar 1994 (– 10 AZR 480/92 – nicht veröffentlicht).

 

Normenkette

BAT § 33

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 22.07.1993; Aktenzeichen 13 Sa 1417/92)

ArbG Gießen (Urteil vom 11.08.1992; Aktenzeichen 4 Ca 187/92)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. Juli 1993 – 13 Sa 1417/92 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision trägt der Kläger.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger neben der Zulage für seine Tätigkeit auf der Intensivstation eine weitere Zulage für die Grund- und Behandlungspflege von Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt werden, zu zahlen ist.

Der Kläger ist bei dem beklagten Land als Krankenpfleger beschäftigt. Er ist in der Intensivstation des medizinischen Zentrums für innere Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen eingesetzt. Der Kläger, der eine zusätzliche Fachausbildung für Intensivpflege absolviert hat und erfolgreich an einer Ausbildung zum Stationsleiter teilgenommen hat, ist nach VergGr. KR VI BAT eingruppiert.

Im medizinischen Zentrum für innere Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen besteht neben den allgemeinen Stationen und ca. sechs Stationen in der Poliklinik eine Intensivstation mit neun Betten, auf der der Kläger seit 1978 als stellvertretender Schichtleiter tätig ist. Auf dieser Station werden zu 10 bis 20 % Patienten mit akuten und nicht akuten Herz- und Kreislauferkrankungen sowie zu ca. 80 bis 90 % Patienten gepflegt, die mit Antibiotika behandelt werden. Bestrahlungen werden bei diesen Patienten nicht durchgeführt. Die Patienten verbringen bei der medikamentösen Behandlung mit Antibiotika im Durchschnitt ca. 14 Tage auf der Intensivstation. Bei ca. 1 % der Patienten auf der Intensivstation wird auch eine Behandlung mit Zytostatika durchgeführt.

Das beklagte Land zahlt dem Kläger seit dem 1. Januar 1991 die Intensivzulage in Höhe von 90,– DM brutto monatlich.

Nach dem Tarifvertrag zur Änderung der Anlage 1 b zum BAT vom 22. März 1991, gültig ab 1. Januar 1991, lauten die Protokollerklärungen zur Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst (Anlage 1 b zur SR 2 a zum BAT) wie folgt:

„Protokollerklärungen:

Nr. 1 (1) Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr. I bis Kr. VII, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei

  1. an schweren Infektionskrankheiten erkrankten Patienten (z.B. Tuberkulose-Patienten), die wegen der Ansteckungsgefahr in besonderen Infektionsabteilungen oder Infektionsstationen untergebracht sind,
  2. Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Open-door-system) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen,
  3. Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen,
  4. gelähmten oder an multipler Sklerose erkrankten Patienten,
  5. Patienten nach Transplantationen innerer Organe oder von Knochenmark,
  6. an AIDS (Vollbild.) erkrankten Patienten,
  7. Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt oder die mit Strahlen oder mit inkorporierten radioaktiven Stoffen behandelt werden,

ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,– DM.

(1 a) Pflegepersonen der Vergütungsgruppe Kr. I bis Kr. VII, die zeitlich überwiegend in Einheiten für Intensivmedizin Patienten pflegen, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,– DM [1] .

…”

Mit Schreiben vom 10. Mai 1991 verlangte der Kläger die Zahlung einer weiteren monatlichen Zulage von 90,– DM brutto für seine Tätigkeit im Rahmen der Verabreichung von Antibiotika an Patienten rückwirkend gemäß § 70 BAT. Der Kläger macht geltend, daß er neben seiner Tätigkeit in einer Einheit der Intensivmedizin auch zeitlich überwiegend die Grund- und Behandlungspflege bei Patienten ausübt, bei denen Chemotherapien durchgeführt werden.

Die Verwaltung der Justus-Liebig-Universität Gießen hat die Zahlung mit Schreiben vom 16. September 1991 abgelehnt.

Der Kläger ist der Ansicht, der Begriff „Chemotherapie” umfasse in der Fachsprache auch die Behandlung mit Antibiotika. Er erfülle daher sowohl die Voraussetzungen für die Zahlung der Intensivzulage nach Nr. 1 Abs. 1 a der Protokollerklärungen wie auch für die Zahlung der Zulage nach Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe g der Protokollerklärungen; ein Kumulierungsverbot dahin, daß die Zulage nur einmal zu zahlen sei, bestehe nicht.

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 1.530,– DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 22. Mai 1992 zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger erfülle die Anspruchsvoraussetzungen für die Zulage nach Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe g der Protokollerklärungen nicht, da die Grund- und Behandlungspflege bei Patienten mit Antibiotikabehandlung keine Chemotherapie im tariflichen Sinne sei; eine Chemotherapie in diesem Sinne sei nur die Behandlung mit Zytostatika.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter. Das beklagte Land bittet die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen einen Anspruch des Klägers auf Zahlung der Zulage nach Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe g der Protokollerklärungen zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT für die zeitlich überwiegende Durchführung der Grund- und Behandlungspflege bei Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt werden, verneint.

I. Das Landesarbeitsgericht hat u.a. ausgeführt, „Chemotherapie” im Tarifsinne läge nicht vor, da der Begriff „Chemotherapie” nicht im Sinne seiner allgemeinen fachtechnischen Bedeutung verwendet worden sei. Nach dem tarifvertraglichen Gesamtzusammenhang und dem erkennbar von den Tarifvertragsparteien verfolgten Zweck der Regelung sei die Bedeutung des Begriffes „Chemotherapie” einzuschränken. Aus dem Zusammenhang der Zulagenregelung werde deutlich, daß die Zulage nicht allen Pflegepersonen zugedacht sei, die Medikamente wie Antibiotika, Mittel gegen Parasiten. Sulfonamide, Tuberkulostatika, Fungistatika oder Zytostatika an Patienten verabreichten. Der Begriff „Chemotherapie” sei unter Berücksichtigung der in Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe g der Protokollerklärungen gleichrangig verwendeten weiteren Begriffe „Behandlung von Patienten mit Strahlen oder mit inkorporierten radioaktiven Stoffen” dahin auszulegen, daß er allein die Chemotherapie maligner Tumoren mit Zytostatika erfasse. Dies werde durch die von den Tarifvertragsparteien mit der Zulagenregelung verfolgten Zwecke einer Erschwerniszulage, Gefahrenzulage oder Anreizzulage bestätigt.

Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu folgen.

II. Der Kläger kann vom beklagten Land nicht die Zahlung der Zulage für die Grund- und Behandlungspflege von Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt werden, in Höhe von monatlich 90,– DM brutto zusätzlich zur bereits gewährten Intensivzulage nach Abs. 1 a der Protokollerklärungen verlangen. Er erfüllt die tariflichen Anspruchsvoraussetzungen nicht. Auf die Frage, ob die Zulagenzahlung aufgrund verschiedener Tatbestände in Nr. 1 der Protokollerklärungen nebeneinander möglich wäre, kommt es im vorliegenden Fall daher nicht an.

Bei der Behandlung der Patienten mit Antibiotika handelt es sich nicht um eine Chemotherapie im Tarifsinne. Dies folgt aus der Auslegung der tariflichen Bestimmungen in den Protokollerklärungen. Dabei ist – entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung – zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in der tariflichen Regelung ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. BAGE 42, 86, 89 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAGE 60, 219, 223 ff. = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 1 a der Gründe).

Nach diesen Grundsätzen ergibt sich – wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben –, daß die Behandlung der Patienten mit Antibiotika nicht als „Chemotherapie” im Sinne der Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe g der Protokollerklärungen zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT anzusehen ist. Nach dem Wortlaut der Tarifbestimmung in Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe g der Protokollerklärungen ist zunächst im fachmedizinischen Sinne unter „Chemotherapie” die „spezifische Hemmung von Infektionserregern und Tumorzellen im Organismus mittels Chemotherapeutika” zu verstehen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl., S. 269). „Chemotherapeutika” sind auch Antibiotika (Pschyrembel, a.a.O.). Dementsprechend gehen die Vorinstanzen zutreffend davon aus, daß die Verabreichung von Antibiotika im medizinischen Sinne eine „chemotherapeutische Behandlung” darstellt.

Aus dem Gesamtzusammenhang der Tarifvorschrift ergibt sich jedoch, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff „Chemotherapie” nicht im allgemeinen Sinne des medizinischen Fachbegriffs verwendet haben. Aus dem Buchstaben g in Nr. 1 Abs. 1 der Protokollerklärungen, in dem neben Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt werden, Patienten, die mit Strahlen oder mit inkorporierten radioaktiven Stoffen behandelt werden, aufgezählt sind, folgt vielmehr, daß die Tarifvertragsparteien die Zulagenzahlung von der Behandlung besonderer Patientengruppen abhängig gemacht haben. Die Tarifvertragsparteien haben darauf abgestellt, daß die Grund- und Behandlungspflege bei bestimmten Patienten durchgeführt wird, nämlich bei Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt werden oder die mit inkorporierten radioaktiven Stoffen behandelt werden. Anknüpfungspunkt für die Zulagengewährung ist daher, daß Patienten gepflegt und behandelt werden, die aufgrund einer bestimmten Erkrankung einer besonderen Behandlung bedürfen. Das sind zum einen Patienten die mit Strahlen oder mit inkorporierten radioaktiven Stoffen behandelt werden. Aus diesen Merkmalen folgt, daß auch für solche Patienten, bei denen Chemotherapien durchgeführt werden, vergleichbare Voraussetzungen zugrunde zu legen sind. Die Vorinstanzen haben daher zu Recht angenommen, daß die Zulagenzahlung nach Buchstabe g der Nr. 1 Abs. 1 der Protokollerkärungen die Behandlung von onkologischen Patienten bzw. die Chemotherapie maligner Tumoren mit Zytostatika voraussetzt. Dies wird durch den allgemeinen Sprachgebrauch bestätigt, der eine Behandlung mit Chemotherapie vor allem bei krebskranken Patienten annimmt.

Da diese Voraussetzungen bei den vom Kläger mit Antibiotika behandelten Patienten nicht vorliegen, steht ihm die Zulage nach Nr. 1 Abs. 1 Buchstabe g der Protokollerklärungen nicht zu. Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Kähler, Staedtler

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1087141

[1] Fassung gem. ÄndTV vom 22.3.1991 mit Wirkung vom 1.1.1991

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