
Der europaweit beabsichtigte Hinweisgeberschutz führt bereits heute zu konkreten Pflichten für Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Arbeitgeber trifft die Pflicht zur Einrichtung interner Meldestellen, bestimmte öffentliche Stellen müssen auch externe Meldestellen betreiben. Das in Teilen angepasste Hinweisgeberschutzgesetz wurde nach langem Hin und Her und nach Nachverhandlungen im Vermittlungsausschuss am 11. Mai 2023 vom Bundestag verabschiedet, der Bundesrat stimmte dem Gesetz am 12. Mai 2023 zu. Am 2. Juli 2023 wird das Gesetz zu weit überwiegenden Teilen in Kraft treten und verpflichtet öffentliche Beschäftigungsgeber zu verschiedenen Maßnahmen.
Bis zum 17. Dezember 2021 sollten die EU-Mitgliedstaaten die EU‑Hinweisgeberschutzrichtlinie („HinSchRL“) vom 23. Oktober 2019 in ein nationales Gesetz umgesetzt haben. Deutschland hat – ebenso wie verschiedene andere EU-Mitgliedsstaaten – diese Frist verpasst.
Bereits im Dezember 2022 hatte der Bundestag das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) erstmalig beschlossen. Da es sich bei dem Hinweisgeberschutzgesetz um ein Zustimmungsgesetz handelt, musste ihm der Bundesrat zustimmen. Dieser stoppte das Gesetzgebungsverfahren im Februar 2023 jedoch, indem er seine Zustimmung verweigerte. Dies wurde damit begründet, dass der damalige Entwurf Regelungen enthalten habe, die von der EU-Whistleblower-Richtlinie nicht verlangt und zu hohe Belastungen für kleine und mittlere Unternehmen bedeuten würden.
Nachdem daraufhin der Vermittlungsausschuss angerufen wurde, hat dieser sich im Rahmen seiner Nachverhandlungen am 9. Mai 2023 auf einen Kompromiss in Gestalt eines in Teilen angepassten Gesetzes geeinigt. Durch dieses Gesetz werden die europäischen Vorgaben nun endlich – ca. 1,5 Jahre zu spät – in das deutsche Recht umgesetzt. Änderungen im Vergleich zu der Vorversion des Gesetzes sind insbesondere im Hinblick auf den Schutzbereich, die Priorisierung der internen Meldestellen, anonyme Meldungen, immaterielle Schäden, Beweislast, die Sanktionen, die Löschfrist sowie den Zeitpunkt des Inkrafttretens erfolgt.
Das Gesetz wird – zu weit überwiegenden Teilen – am 2. Juli 2023 in Kraft treten. Die nach dem HinSchG verpflichteten öffentlichen Beschäftigungsgeber mit 50 oder mehr Beschäftigten haben nur noch bis zu diesem Zeitpunkt Zeit, die entsprechenden gesetzlichen Pflichten zu erfüllen
Bereits zuvor: Verpflichtung für öffentliche Stellen nach der Hinweisgeberschutzrichtlinie
Nach der herrschenden Auffassung bestehen bzw. bestanden einige der Verpflichtungen der HinSchRL für öffentliche Stellen (alle juristischen Personen des öffentlichen Sektors, einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen) nicht erst ab Inkrafttreten des HinSchG, sondern bereits seit dem 18. Dezember 2021.
Zwar haben EU-Richtlinien grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Allerdings kann Richtlinienbestimmungen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dann eine unmittelbare Wirkung zukommen, wenn ein Mitgliedstaat die Richtlinie – wie vorliegend – nicht fristgerecht oder ordnungsgemäß umgesetzt hat. Dabei kommt diese unmittelbare Wirkung nicht einer Richtlinie im Ganzen zu, sondern nur einzelnen Richtlinienbestimmungen. Es bedarf jeweils einer Prüfung im Einzelfall, ob eine bestimmte Richtlinienbestimmung geeignet ist, unmittelbare Wirkung in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Individualpersonen zu begründen.
Interne Hinweisgeberstellen
- Nach überwiegend vertretener Auffassung gilt die in der HinSchRL formulierte Pflicht zur Einrichtung einer internen Meldestelle für öffentliche Beschäftigungsgeber unmittelbar.
- Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben somit ein Recht auf die Inanspruchnahme einer internen Meldestelle bei ihrem öffentlichen Beschäftigungsgeber. Dies gilt auch, wenn der Staat privatrechtlich, beispielsweise als Arbeitgeber, handelt, soweit er öffentliche Aufgaben erfüllt.
Externe Meldestellen
- Abweichend davon erkennt die herrschende Auffassung bis zum Inkrafttreten des HinSchG noch keine Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb von externen Meldestellen.
- Im Hinblick auf diese externen behördlichen Hinweisgeberstellen sind, so die herrschende Ansicht, die Bestimmungen der HinSchRL aufgrund des den Mitgliedsstaaten gewährten Ausgestaltungsspielraumes nicht hinreichend bestimmt, sodass ihnen keine unmittelbare Wirkung zukommt.
- Externe Meldungen von Verstößen an staatliche Stellen sind seit dem 18. Dezember 2021 jedoch im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung beispielsweise in arbeitsgerichtlichen und zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen zu berücksichtigen.
Umfassende gesetzliche Verpflichtung für öffentliche Stellen nach dem HinSchG
Ab dem 2. Juli 2023, einen Monat nach der Verkündung des Hinweisgeberschutzgesetzes, sind die Hinweisgeberschutzpflichten für den öffentlichen Dienst auch ausdrücklich gesetzlich normiert. Das HinSchG verpflichtet beziehungsweise schützt ab dessen Inkrafttreten neben privaten Beschäftigungsgebern ausdrücklich auch öffentliche Beschäftigungsgeber sowie deren Beschäftigte.
Verpflichtete Beschäftigungsgeber nach dem HinSchG sind auch natürliche Personen sowie juristische Person des öffentlichen Rechts und solche Beschäftigungsgeber, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stehen. Dies sind neben Behörden und Verwaltungsstellen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene beispielsweise öffentliche Verbände, Gemeinden, kommunale Verwaltungsgesellschaften, Anstalten (bspw. Landesrundfunkanstalten) und öffentliche-rechtliche Stiftungen, die evangelische und katholische Kirche mit ihren Kirchengemeinden sowie Gerichte und sonstige Körperschaften. Voraussetzung für die Verpflichtung nach dem HinSchG ist, dass diese öffentlichen Beschäftigungsgeber mindestens 50 Beschäftigte beschäftigen.
Das HinSchG regelt neben dem Schutz hinweisgebender Angestellter und Auszubildender im öffentlichen Dienst auch den Schutz hinweisgebender Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richtern, Soldatinnen und Soldaten, arbeitnehmerähnlicher Personen sowie Menschen mit Behinderung, die bei einem Leistungsanbieter nach § 60 SGB IX beschäftigt sind.
Nicht alle Hinweisgebermeldungen sind von der Schutzwirkung des HinSchG erfasst, sondern nur Hinweise auf bestimmte Verstöße. Der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG erfasst neben den von der HinSch-RL vorgesehenen Rechtsbereichen (EU-Recht) unter anderem auch Teile des mit diesem korrespondierenden nationalen Rechts sowie das deutsche Strafrecht und bestimmte Ordnungswidrigkeiten. Ebenfalls erfasst werden Verstöße gegen bundesrechtlich einheitlich geltende Regelungen für Auftraggeber zum Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Verstöße gegen für Körperschaften und Personenhandelsgesellschaften geltende steuerliche Rechtsnormen oder die Verschaffung von steuerlichen Vorteilen in missbräuchlicher Art und Weise. Zudem erfasst die Schutzwirkung aufgrund der Ergänzungen des Rechtsausschusses zum HinSchG nunmehr auch Hinweise auf Äußerungen von Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen. Weitere Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs des Gesetzes ist nach dem nun verabschiedeten Gesetz auch, dass sich die Hinweisgebermeldung auf den Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle, mit der die hinweisgebende Person beruflich im Kontakt stand, bezieht.
Im Hinblick auf die Pflicht zur Einrichtung von Meldestellen sieht das HinSchG Folgendes vor:
Interne Hinweisgeberstellen
Das HinSchG verpflichtet auch öffentliche Beschäftigungsgeber im genannten Sinne zur Einrichtung oder Betreibung einer internen Meldestelle, an die sich hinweisgebende Personen mit Informationen über Verstöße oder Missstände im öffentlichen Dienst wenden können.
Achtung: Alle Pflichten des HinSchG greifen für den öffentlichen Dienst bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes! Die im HinSchG im Hinblick auf interne Meldestellen normierte Übergangsfrist für private Beschäftigungsgeber mit in der Regel 50 bis zu 249 Beschäftigten, die ihre internen Meldestellen erst ab dem 17. Dezember 2023 einrichten müssen, gilt ausdrücklich nicht für öffentliche Beschäftigungsgeber. Öffentliche Beschäftigungsgeber mit 50 oder mehr Beschäftigten sind somit bereits mit Inkrafttreten ab dem 2. Juli 2023 (einen Monat nach Verkündung des Gesetzes) zur Vorhaltung einer internen Meldestelle verpflichtet.
Spezielle Regelungen für die Betreibung interner Meldestellen durch öffentliche Beschäftigungsgeber sieht das HinSchG für den Bund oder die Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände als Beschäftigungsgeber sowie Beschäftigungsgeber, die im Eigentum oder unter der Kontrolle von Gemeinden und Gemeindeverbänden stehen, vor.
Die interne Meldestelle muss nach dem durch den Bundestag verabschiedeten und vom Bundesrat abgesegneten Gesetz – nach langer Diskussion – keine anonymen Meldekanäle vorhalten. Es besteht auch keine Pflicht, sondern nur eine Empfehlung, zur Entgegennahme anonymer Meldungen.
Auch öffentliche Beschäftigungsgeber können externe Dritte mit der Einrichtung und dem Betrieb der internen Meldestelle beauftragen. Insbesondere die Beauftragung externer Rechtsanwältinnen und Anwälte als Ombudspersonen ist möglich. Die Beauftragung eines Dritten entlässt die öffentlichen Beschäftigungsgeber allerdings nicht aus der Pflicht, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um einen etwaigen Verstoß abzustellen. Auch für etwaig erforderliche für Folgemaßnahmen bedarf es einer Kooperation zwischen dem beauftragten Dritten und dem öffentlichen Beschäftigungsgeber oder der jeweiligen Organisationseinheit.
Externe Meldestellen
Da hinweisgebenden Personen nach dem HinSchG ein Wahlrecht zwischen einer (Organisationseinheits-) internen und einer externen Meldung zusteht, verpflichtet das HinSchG bestimmte öffentliche Stellen (u.A. Meldestellen des Bundes und der Länder sowie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und des Bundeskartellamtes, aber auch auf EU-Ebene) zur Einrichtung und zum Betrieb von externen Meldestellen, an die sich alle hinweisgebenden Personen anstelle an eine interne Meldestelle wenden können.
Das Hinweisgeberschutzgesetz sieht allerdings ausdrücklich vor, dass Beschäftigungsgeber Anreize dafür schaffen sollen, dass sich hinweisgebende Personen vor einer Meldung an eine externe Stelle zunächst an die jeweils interne Meldestelle wenden.
Zudem sieht das Gesetz eine Priorisierung interner Meldestellen vor: Hinweisgebende Personen sollen die Meldung an die interne Meldestelle gegenüber der externen Meldestelle bevorzugen, wenn intern wirksam gegen Verstöße vorgegangen werden kann.
Folgen bei Verstoß gegen das HinSchG
Werden die im HinSchG genannten Pflichten – wie das Vorhalten und Betreiben von Meldestellen – nicht befolgt, sollen nach dem HinSchG arbeitsrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen, materiellen Schadensersatz und Bußgelder sowohl gegenüber den verantwortlichen Individualpersonen als auch den jeweiligen Beschäftigungsgebern drohen. Im bald in Kraft tretenden Gesetz wurde allerdings die Möglichkeit immaterieller Schadensersatzforderungen gestrichen, auch wurden die Vorschriften über Ordnungswidrigkeiten gemildert, indem die Bußgelder gesenkt und in einzelnen Fällen die Anwendbarkeit verzögert wird. Unabhängig davon stellt aber auch der nicht zu unterschätzende Reputationsverlust ein erhebliches Risiko dar.
Interne Hinweisgeberstellen einrichten und Änderungen im Blick behalten
Der europaweit beabsichtigte Hinweisgeberschutz führt bereits heute zu konkreten Pflichten nicht nur der Unternehmen der Privatwirtschaft, sondern auch der Beschäftigungsgeber des öffentlichen Dienstes. Entsprechende Verpflichtungen unterschiedlicher Art sieht das HinSchG ab seinem Inkrafttreten am 2. Juli 2023 ausdrücklich vor. Öffentliche Beschäftigungsgeber sind nach der herrschenden Auffassung jedoch schon aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit der Hinweisgeberschutzrichtlinie seit dem 18. Dezember 2021 verpflichtet, interne Hinweisgeberstellen vorzusehen und zu betreiben.
Vollkommen unabhängig von der entsprechenden Verpflichtung und Durchsetzbarkeit ist es aber auch Interesse von öffentlichen Beschäftigungsgebern, Hinweisgebermeldungen zu ermöglichen, um Missstände in ihrer Organisationseinheit frühzeitig aufdecken und abstellen zu können und damit weitere nachteilhafte Folgen sowohl für Individualpersonen als auch die öffentliche Stelle selbst zu vermeiden.
Vor diesem Hintergrund ist auch den nicht gesetzlich verpflichteten öffentlichen Beschäftigungsgebern (mit weniger als 50 Beschäftigten) die Einführung und Betreibung einer – ggf. gemeinsam betriebenen oder ausgelagerten – Hinweisgeberstelle aus den genannten Gründen zu empfehlen.
Öffentliche Beschäftigungsgeber sollten somit, falls noch nicht geschehen, kurzfristig entsprechende Hinweisgebersysteme einrichten und betreiben (lassen) und bereits eingerichtete Hinweisgebersysteme regelmäßig auf ihre Aktualität und Rechtskonformität betreffend HinSchRL und HinSchG hin überprüfen (lassen). Dabei gilt es stets, die schnellen und oftmals kurzfristigen Entwicklungen im Bereich des Hinweisgeberschutzes im Blick zu behalten.