Personalerhalt - Faktoren für Personalbildung

Dass Retention heute einen enormen Stellenwert hat, ist inzwischen in den Personalabteilungen angekommen. Der Druck auf Personaler und Führungskräfte ist hoch, das Personal zu halten. Händeringend wird nach Maßnahmen gesucht, die zum Bleiben motivieren. Gleichzeitig erlebe ich eine große Unsicherheit bei der Frage, wie das gehen soll. Hier einige Vorschläge.

Retention ist wichtiger als Personalgewinnung

Angesichts des Fachkräftemangels schlägt jede Fluktuation eine empfindliche Lücke, die nicht oder nur schwer nachbesetzt werden kann. Wissen geht verloren. Das könnte man noch nachschulen, aber gerade Erfahrung ist ein Wert, der kaum zu ersetzen ist. Die verbleibenden Kollegen können die Aufgaben zwangsweise nur durch Überstunden und mit Überlastung übernehmen. Das wiederum beeinflusst die Stimmung in der Organisation. Nicht selten entsteht eine Fluktuations-Spirale, die sich anschaulich am „Flexit“, dem Exit aus den Pflegeberufen, beobachten lässt. Kurzum: Fluktuation ist ein Problem. Es gilt mit harten und weichen Faktoren die Beschäftigten zum Bleiben zu motivieren.

Kosten der Fluktuation erhöhen

Fluktuation muss man sich individuell leisten können. Gemeint ist nicht die persönliche Komfortzone. Denn natürlich gibt es Bedingungen, die es für den Einzelnen fast unmöglich machen, den Arbeitgeber zu wechseln. Niemand will so richtig darüber sprechen, weil Kulturthemen einfach den besseren Ruf haben. Dennoch gilt es, harte Fakten für die Bindung zu etablieren.

Dazu zählt beispielsweise die Verbeamtung. Diese schützt zwar nicht vor dem Wechsel des Dienstherrn, bindet aber an den öffentlichen Dienst. Dass viele Arbeitgeber - Universitäten, nachgelagerte Behörden aber auch Kommunen - die Verbeamtung in den letzten Jahren massiv zurückgefahren haben, ist diesbezüglich kontraproduktiv. Meine Empfehlung ist, die Verbeamtung als Mittel der Bindung wieder in den Fokus zu nehmen. Die Kosten für die Pensionsrückstellungen sind allemal günstiger als Stellen nicht nachbesetzen zu können.

Gleiches gilt für die Stellenbewertung und Eingruppierung. Es ist nicht nachvollziehbar, wenn für gleiche Tätigkeiten in Gemeinden, Landratsämtern und Ministerien die Spanne der Entgeltgruppen von E9 bis E14 reicht. Es ist Zeit, Stellen nicht mehr mit dem Ziel der Einsparung maximal niedrig, sondern angesichts des Fachkräftemangels am oberen Ende der Möglichkeiten zu bewerten – gerade auch für Bestandspersonal.

Natürlich ist Geld nicht alles, wie einschlägige Studien zur Wechselmotivation zeigen. Aber gerade bei unteren Einkommen sind 200 Euro mehr Gehalt ein Fluktuationsgrund. Zeitgleich erhöhen zinslose Kredite – beispielsweise für Grundstückskauf oder Hausbau – die Bindung massiv. Auch Sabbaticals binden Beschäftigte in der Ansparphase einige Jahre an den Arbeitgeber.

Wohnen, Betreuung und Lebenszeit

In Ballungszentren sind eine bezahlbare Wohnung oder der Kita-Platz wichtige Faktoren. Arbeitgeber, die günstige Werkswohnungen anbieten bzw. einen Zuschuss zahlen, schaffen enorme Bindung. Da muss es kulturell schon sehr schlecht laufen, dass man das aufgibt und sich am freien Wohnungsmarkt zu horrenden Preisen oder bei überfüllten Kitas in die Schlange der Interessierten einreiht. Kein Wunder, dass die Zahl der Kommunen, die beim Wohnungsbau solche Kapazitäten mitdenken, steigt.

Gleiches gilt für den Kita-Platz. Wer hier den Beschäftigten in den eigenen Einrichtungen den Vorzug lässt, steigert seine Attraktivität massiv. Denn die Betreuungssituation ist deutschlandweit katastrophal. Der Krippen- und Kita-Platz sowie der Platz in einer Ganztagesschule oder bei der Hausaufgabenbetreuung ist existentiell für arbeitende Eltern. Beides gehört zusammen: Öffentlich geförderter Wohnraum für Erziehungspersonal ermöglicht Kapazitäten für die Kitaplätze der eigenen Beschäftigten. Kommunen, die sich hier rein auf private Anbieter verlassen, verlieren ein gewichtiges Argument zur Bindung ihrer Beschäftigten und werden in Zeiten des Fachkräftemangels mittelfristig verlieren.

Flexibilität ermöglichen

Die Studienlage deutet es an: Karriere machen hat seine Bedeutung geändert. Es geht nicht mehr nur um den Aufstieg in der Pyramide mit Führung und Macht. Karriere bedeutet den Menschen zunehmend, Arbeit und Privates sinnhaft und erfüllend sowie nachhaltig und gesund miteinander verbinden und finanzieren zu können. Dafür braucht es Flexibilität bei Arbeitsort und Arbeitszeit. Jede Maßnahme, die Menschen an fixen Tagen zurück ins Büro beordert, Kernarbeitszeiten ohne echte Begründung oder ausufernde Arbeitsbelastungen sind Fluktuationsgründe. Viele meiner Recruiting-Kollegen reiben sich die Hände, wenn wieder ein Konkurrent mehr Präsenz erzwingt.

Daher ist es wichtig, Flexibilität als Bindungsinstrument zu sehen. „Arbeitet wo und wann ihr wollt“, ist die Devise - natürlich flankiert von den Arbeitszeit- sowie Arbeitsschutzgesetzen und einem BGM mit dem Fokus auf der Vermeidung eines digitalen Burnouts. Dies bedingt die ausreichende Digitalisierung der Organisation. Ohne gute technische Ausstattung und E-Akte gibt es diese Flexibilität nicht.

Ob in der Stadt oder auf dem Land: Die Anbindung des Büros ist wichtig. Niemand will stundenlang im öffentlichen Nahverkehr oder auf der Suche nach einem Parkplatz Lebenszeit verschwenden. Bürgermeister kleiner Gemeinden berichten mir, dass sie auch von den „Großen“ erfolgreich Personal abwerben, wenn die Pendelzeit dank Bahnhof in direkter Nachbarschaft, gut ausgebauter Rad-Infrastruktur inklusive Ladestation und dem Parkplatz direkt am Amt massiv verkürzt ist. Hier zu investieren, lohnt sich. Nicht zuletzt, um einer Fluktuation aus Gründen des langen Arbeitsweges entgegenzuwirken.

Wir-Gefühl braucht Augenhöhe

Es gibt also eine Vielzahl harter Faktoren, die die Bindung erhöhen. Die im Diskurs beliebteren weichen Faktoren sind nicht minder wichtig. Dazu gehört an erster Stelle gute Führung. Nicht umsonst ist schlechte Führung Fluktuationsgrund Nr. 1. Hochglanzbroschüren sind nicht gemeint, sondern erlebte gute Führung. Was das heißt, habe ich bereits ausführlich beschrieben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Erfahrung, dass Teams gerade in Krisenzeiten oft ein enormes Wir-Gefühl aufweisen – trotz massiver Belastung. Und dieses Wir-Gefühl hat eine enorme Bindungswirkung: Man kann den anderen doch nicht im Stich lassen! Die Menschen verbindet das gemeinsame Bewältigen von Herausforderungen, eine sinnhafte Aufgabe und Wertschätzung. Das funktioniert nur, wenn sich jeder voll einbringen kann, Hierarchien flach gestaltet und Ideen erwünscht sind. Alles Stellschrauben, die Arbeitgeber auch außerhalb von Krisenzeiten drehen könnten.

Dafür müssten die Beschäftigten viel stärker als Menschen auf Augenhöhe und weniger als Mitarbeitende betrachtet werden. Personalmanagement muss sich zum Dienstleister wandeln, das Betonen von Hierarchien durch mehrstufige Freigabeprozesse sollte abgeschafft, Ideen von allen angenommen werden und nicht nur von den Innovationsbeauftragten. Wichtig ist außerdem: Mitarbeitergespräche finden nicht mehr nur entlang einer Checkliste einmal im Jahr statt, Corporate Influencer dürfen alle sein und nicht nur Auserwählte, Arbeitgebermarken werden nicht im „stillen Kämmerlein“ und durch externe Agenturen kreiert, sondern unter Beteiligung aller. Es gibt also viele Möglichkeiten, um ein Wir-Gefühl zu erzeugen und dadurch die Bindung zu erhöhen.