Kind und Karriere in Deutschland

Familie und Beruf unter einen Hut bekommen? Das ist für viele Beschäftigte äußerst schwierig. Eltern, vor allem Mütter, werden nach Auffassung unseres Autors Stefan Döring massiv im Berufsleben diskriminiert. Lesen Sie hier seine kritische Analyse und seinen Appell für ein modernes Führungsverständnis.

Fachkräftemangel gibt es nicht! Eine gewagte These. Weil schon die extrem gestiegene Zahl der Stellenausschreibungen für Recruiter zeigt, dass das Problem Fachkräftemangel längst nicht nur im öffentlichen Dienst besteht. Und weil Arbeitgeber doch schon so viel tun, um ihre Stellen zu besetzen, neue Zielgruppen anzusprechen und ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.

Aber wird wirklich alles getan und werden alle berücksichtigt? Ich sage nein. Wesentliche Belege für diese These habe ich bereits vor einiger Zeit verfasst. Leider hat sich seitdem nicht viel getan. In diesem Beitrag möchte ich aber den Fokus auf die Bevölkerungsgruppe lenken, die nur unzureichend als Zielgruppe berücksichtigt und massiv von einer beruflichen Karriere ausgrenzt wird: Eltern.

Diskriminierung an der Tagesordnung

Wenn ich Eltern schreibe, meine ich vor allem Frauen. Denn es sind nun einmal zumeist Frauen, die in den ersten Monaten den Nachwuchs umsorgen. Insoweit sind es in erster Linie Mütter, die durch Nachwuchs aus dem Erwerbsleben austeigen (müssen). Damit ist die Benachteiligung von Eltern im Job vor allem eine Diskriminierung des Geschlechts.

Aber natürlich übernehmen vermehrt auch Männer bzw. der Partner die Kinderbetreuung. Bezeichnenderweise nennt man das dann „Sabbatical“ statt Elternschaft. Ich gehöre dazu und habe so natürlich auch Kontakt zu anderen Eltern. Was ich da über Reaktionen in Konzernen, Behörden, Mittelstand oder Startups zum Thema Karriere mit Kind erfahre, ist haarsträubend. Deutschland und die Arbeitgeber in unserem Land bekommen es nicht nachhaltig hin, Eltern im Beruf zu fördern. Sie werden stattdessen systematisch diskriminiert, weil sie die Frechheit besitzen, Karriere und Kinderbetreuung kombinieren zu wollen.

Und Tschüss!

Stehen Mutterschutz und längere Elternzeit an, gibt es nur in Ausnahmefällen Überlegungen in den Organisationen, wie es danach mit der Karriere weiter geht. Die Zeit für den Nachwuchs gleicht einer Kündigung: Keine Karrieregespräche vor und während der Auszeit, kein regelmäßiges Informieren über Neuigkeiten aus der Organisation, nicht selten totale Überraschung, wenn die Eltern sich zwecks Wiedereinstieg melden und sogar Empörung, wenn sie ihren Anspruch auf die bisherige Position formulieren. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Man geht in den Personalabteilungen und Führungsebenen gar nicht davon aus, dass Frauen vor einem Jahr zurück in den Beruf wollen. Schon gar nicht Vollzeit und garantiert nicht wieder mit Führungsverantwortung. Anders bei den Männern. Da ist die geplante Elternzeit Anlass, die Werbetrommeln des Personalmarketings zu rühren unter dem Stichwort „familienfreundlicher Arbeitgeber“.

Degradierung

Viel hört man von „Kind als Karriereknick“. In Wahrheit ist es ein Karriereaus in der Organisation. Degradierung unter der Flagge der Führsorge ist an der Tagesordnung:

  • Führung? In Teilzeit? Tut uns leid, aber dafür muss es dann schon Vollzeit sein. Du verstehst sicher, dass dein Team nicht zweitweise alleine agieren kann.
  • Verantwortung? Gerne! Aber was ist, wenn dein Kind krank wird? Dann fällst du aus. Bitte hab Verständnis, dass wir uns das als Organisation nicht leisten können. Dazu ist dein (ehemaliger) Job zu wichtig.
  • Anspruch auf die alte Position? Das geht nicht mehr, weil wir inzwischen den Kollegen weiterentwickelt haben. Aber du hast ja die neue Position, bei der du mehr Zeit für dich und die Kinder hast!
  • Homeoffice? Okay, dann kannst du aber deinen alten Job nicht wieder antreten. Du weißt doch, wie wichtig deine tägliche Anwesenheit ist. Unsere Geschäftsleitung braucht jederzeit eine Ansprechperson vor Ort.

Gerade letzteres Argument ist eine schallende Ohrfeige, wenn Männern in vergleichbaren Positionen, ranghöhere Führungskräfte und die Geschäftsleitung von daheim arbeiten. Sich hartnäckig haltende Rollenmodelle gehen davon aus, dass der Mann - anders als die Frau – im Homeoffice tatsächlich arbeitet und sich nicht wirklich um Kinder und Haushalt kümmert.

Es ist unfassbar, wie fachliches Knowhow, Erfahrung, Leistung und Loyalität zum Arbeitgeber so leichtfertig weggeworfen werden, nur weil die Mitarbeiterin ein Kind bekommt. Selbst das Argument, dass man trotz Schnupfens des Nachwuchses im Homeoffice immer noch ein paar Stunden arbeiten könnte, werden weggewischt. Die Folge der weit verbreiteten unsinnigen Anwesenheitspflicht ist, dass sich Eltern jedes Mal krankmelden müssen, wenn das Kind wegen laufender Nase nicht in die Kita darf. Ein betriebswirtschaftlicher, gesamtgesellschaftlicher und individueller Wahnsinn.

Kinder als direkter Weg zur Abfindung

Eltern, die sich wehren und die Diskriminierung anprangern, landen schnell im Abseits. Nicht immer hat HR Verständnis und oft ist die Personalabteilung Teil des Problems. Ist dann die Geschäftsleitung auch eher männer-, vollzeit- und anwesenheitsorientiert, landet man ganz schnell im Abseits.

Arbeitgeber wissen genau: Kaum jemand hält die Degradierung und die berufliche Sackgasse lange aus. Und wenn doch: ein Kündigungsgrund findet sich immer. Man muss nur etwas warten. Auch der Gang vor Gericht hat kaum Aussicht auf Erfolg. Benachteiligung ist schwer zu beweisen und so wird beinah jede Klage verglichen. Keine Organisation will sich zudem per Urteil vorwerfen lassen, zu diskriminieren. Und wer will sich schon auf dem Arbeitsmarkt als Querulant Chancen auf eine Bewerbung bei der Konkurrenz verbauen? Also Aufgeben, Klappe halten oder die Abfindung nehmen und gehen!

Politisch akzeptierter Betreuungsmangel

Aber nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch der Staat haben den Ernst der Lage nicht erkannt. Kindergeld, Elterngeld, Betreuungsanspruch - klingt alles super. Theoretisch. Aber es gibt zu wenig Kitaplätze – gerade im Westen. Augenwischerei, dass die Politik regelmäßig neue Erzieher-Stellen schafft, wenn niemand da ist, der sie besetzen könnte. Nicht wenige Eltern in meinem Umfeld schreiben darum seitenlange Bewerbungen für die Aufnahme ihres Nachwuchses an die Einrichtungen - inklusive Mal- und Bastelmappe als „Arbeitsprobe“ des Kleinkindes. Geht’s noch?

Die meisten Kitas haben zudem nicht lang genug offen, damit die Eltern Vollzeit in den Beruf wirken könnten. Meist ist am frühen Nachmittag Schluss. Das stellt arbeitende Mamas und Papas gerade dann vor enorme Probleme, wenn sie Wege und Zeiten fürs Pendeln einplanen müssen. Der mangelnde ÖPNV auf dem Land ist da mehr als nur eine Randbemerkung, die eine Kombination von Krippe, Kita, Schule und Job unmöglich machen. Ein Bus pro Stunde ist nicht wirklich ein realistisches Angebot. Sichere Radwege als Alternative fehlen flächendeckend. Das zweite Auto ist also notwendig und dann so teuer, dass viele Familien bei Berufstätigkeit beider Eltern draufzahlen würden. Dann bleibt dank ausgeprägtem Gender Pay Gap in der Regel die Frau doch zu Hause. Deutschland als krasses Entwicklungsland.

Der gesetzliche Betreuungsanspruch gilt zudem erst ab dem ersten Lebensjahr. Es muss attestiert werden, dass offensichtlich politischer Konsens darüber herrscht, dass vor allem die Frauen gefälligst nicht schon nach wenigen Monaten wieder arbeiten sollen. Das manche dies finanziell müssen, wird ignoriert.

Wenn „Geschwisterkind“ mehr zählt, als Berufstätigkeit

Während die Plätze in der Ganztagsschule nach klaren Regeln vergeben werden, bei denen die Berufstätigkeit der Eltern nicht nur hohes Gewicht hat, sondern auch nachgewiesen werden muss, ist die Vergabe der Krippen- und Kitaplätze ein Glückspiel. Jede Einrichtung legt eigene Kriterien bei der Vergabe der Plätze an. Nicht selten bekommt die Familie, in der ein Elternteil nicht berufstätig ist, einen Betreuungsplatz für ein paar Stunden. Dagegen bleibt der Nachwuchs voll berufstätiger Eltern außen vor. Wie kann das sein? Weil der Status „Geschwisterkind“ und andere Kriterien wie Alter des Kindes (je älter, desto besser, weil weniger Aufwand) und Belegungszeiten (je geringer, desto passender angesichts des Fachkräftemangels) höheres Gewicht haben, als die Berufstätigkeit der Eltern. Oft entscheiden die Einrichtungen vollkommen intransparent, wer da einen Platz bekommt. Jetzt machen die oben erwähnte Bewerbungen für den Krippenplatz auch wieder Sinn.

Die Elternportale dieses Landes sind dahingehend ein Armutszeugnis. Gerade Kommunen, die keine eigenen Einrichtungen betreiben, stehlen sich mit ihnen aus der Verantwortung. Die Wartelisten dort und in den Einrichtungen dienen in der Regel nur der Beruhigung der Eltern und haben keinen Einfluss auf die Vergabe zum Start des Betreuungsjahres. Man muss nur lange genug auf einer solchen Liste stehen, um auch ganz sicher den Status „Geschwisterkind“ zu verlieren. Und auch das gibt es: Punktesysteme, die zu einem indiskutablen Krippenplatz am anderen Ende der Stadt führen oder eine Vergabe der Betreuungsplätze vorrangig an Zugezogene. Als ob Einheimische Eltern zweiter Klasse wären. Wer sich mit diesem Thema näher beschäftigt, bekommt den Eindruck einer Bananenrepublik. Ich fordere den Gesetzgeber auf, endlich transparente Vergabekriterien zu erstellen, die der Berufstätigkeit der Eltern ein hohes Gewicht einräumen.

Apropos Ganztagsschule. Sie oder einer der dünn gesäten Hortplätze sind die einzige Chance, dass Eltern spätestens mit Einschulung ihres Nachwuchses nicht in ein Betreuungsloch fallen. Denn plötzlich hat das Kind mittags Schulschluss, wenn es in der Kita bestenfalls noch ein paar Stunden betreut wurde. Dafür gibt es gar keine Lösung! Wir brauchen nicht weniger als eine zweite Elternzeit ab Zuckertüte.

Deutschland hat ein Eltern-Problem

Ich bleibe dabei: So lange wir staatlich systematisch und in den Organisationen individuell Eltern beruflich ausgrenzen und Frauen derart diskriminieren, haben wir in Deutschland keinen Fachkräftemangel. Ausweitung des gesetzlichen Betreuungsanspruches ab Mutterschutz und in der Grundschule, die Berufstätigkeit berücksichtigende Vergabekriterien für Krippe und Kita, Schaffung von mehr Betreuungsangeboten, Ausbau des ÖPNV und der Radinfrastruktur sowie eine bundesweite Meldestelle für berufliche Diskriminierung samt Beweislastumkehr und vereinfachtem gerichtlichen Verfahren sind Forderungen, um die Diskriminierung von berufstätigen Eltern und leider vor allem der Frauen einzudämmen.

Das wird dieser Beitrag kaum schaffen. Aber die Arbeitgeber können mehr tun. Wo sind die Organisationen, die Eltern als potentielle und hochkarätige Zielgruppe gezielt ansprechen, um in der aktuellen Konkurrenzsituation um Fachkräfte die Nase vorn zu haben? Im Fachkräftemangel kann es sich niemand leisten, die große Gruppe der Eltern so zu vernachlässigen. Es braucht dringend eines Umdenkens und einer Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen. Der öffentliche Dienst ist zwar vielfach schon weiter, als die Wirtschaft. Aber dennoch fehlt es auch hier noch deutlich an Digitalisierung und einem modernen Führungsverständnis.

Weitere Beispiele für Diskriminierung im Beruf aufgrund Elternschaft aber natürlich auch Gegenargumente und Best Practices sind herzlich willkommen. Ich freue ich mich auf Ihre Kommentare hier und auf Linkedin.

Schlagworte zum Thema:  Diskriminierung, Öffentlicher Dienst