Was der öffentliche Dienst der Wirtschaft voraushat

Was spricht für das Arbeiten im öffentlichen Dienst? Als erstes wird auf diese Frage oft die Arbeitsplatzsicherheit genannt. Unser Gastautor Dr. Stefan Döring zeigt, dass der öffentliche Dienst noch viel mehr zu bieten hat.

Oft werde ich gefragt: Wie können wir uns als Arbeitgeber des Public Sectors von der Wirtschaft abheben? Die dort oft bessere Bezahlung wird als so bedeutend angesehen, dass man sich schwertut, die eigene Attraktivität zu erkennen. Zu schnell kommt der Faktor „Sicherheit“ ins Spiel, die vielen Menschen heute aber gar nicht mehr so wichtig ist. Eine Hilfestellung, wo der öffentliche Dienst darüber hinaus punkten kann.

Sind die Erfolge der Vergangenheit heute noch „gut“?

Vor über 20 Jahren legte der öffentliche Dienst schon einmal gewaltig vor. Es war die Zeit des Teilzeitbefristungsgesetz, als vielfältige Teilzeitmodelle und auch Führen in Teilzeit in den Behörden eingeführt wurden. Ich erinnere mich gut daran, dass sich Wirtschaftsunternehmen und Verbände die Klinke in die Hand gegeben haben. Alle mit der Frage: „Wie macht ihr das?“

 „Personalmarketing“ war noch unbekannt. Natürlich konnte man damals schon bezüglich der Arbeitgebermarke nicht nicht kommunizieren. Aber der Bedarf war einfach nicht da, um die vielfältigen Möglichkeiten zur Teilzeit nach Außen zu vermarkten. Die Bewerbungen kamen auch so.

Diese Situation ist Vergangenheit. Der Fachkräftemangel ist real: Verwaltung, Gesundheitsdienst, Ingenieure, IT, Erziehungsberufe. Die Liste ist beliebig erweiterbar – auch und gerade im öffentlichen Dienst. Macht es Sinn, diese seit Jahrzehnten existierenden und viel genutzten Teilzeitmöglichkeiten zum Bestandteil des Personalmarketings zu machen? Was ist aus der einstigen Vorreiterrolle des Public Sector geworden? Und welche anderen Bedingungen sprechen für das Arbeiten in der Branche?

Diskriminierung von Frauen

Es ist bewiesen, dass Frauen einem Gender Pay Gap unterliegen. Und schaue ich in mein Umfeld und berufliches Netzwerk, sehe ich, dass Frauen, die mindestens genauso gut qualifiziert und ähnlich erfahren sind wie ihre männlichen Kollegen, in der Wirtschaft 1 bis 2 Karrierestufen hinten dran sind. Warum? Weil sie Frauen sind.

Schlimmer noch: In vielen Unternehmen und selbst in hippen Wir-sind-die-coolsten-mit-Kicker-und-Hoody-Startups, bei denen man mehr Offenheit erwarten würde, werden Frauen im Beruf viel zu oft benachteiligt. Geht dort ein männlicher Kollege in Elternzeit, wird dies als Besonderheit groß im Personalmarketing abgefeiert. Und wenn die männliche Führungskraft dann noch in Teilzeit wiederkommt, schießt die Kommunikationsabteilung aus allen Rohren. Die Stelle der Kollegin wird während der familienbedingten Auszeit aber – dauerhaft und durchaus bewusst rechtswidrig – in aller Stille nachbesetzt. „Die ist erstmal weg.“ Führen in Teilzeit? Frauen sollen sich auf die Fachthemen konzentrieren, denn das bisschen Arbeitszeit ist viel zu wertvoll, als dass man führt. Es ist schon peinlich, dass in Deutschland eine Quote diskutiert werden muss.

Im öffentlichen Sektor ist Elternzeit für Frauen und Männer dagegen schon lange selbstverständlich und im Grunde ein alter Hut. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Public Sector spricht ebenfalls eine deutlich positivere Sprache. Auch in Teilzeit. Familienzeit ist dort in der Regel ganz und gar kein Karriereknick. Und daher lohnt es sich, Elternzeit, Teilzeit und geteilte Führung auch weiterhin zu vermarkten.

Im Büro langweilen, statt zuhause arbeiten

„Die Kollegen müssen im Büro jederzeit ansprechbar sein!“ Sie glauben gar nicht, wie oft ich den Satz höre. Geschäftsleitungen und Personalabteilungen sind der Meinung, dass die Mitarbeiter im Homeoffice alles tun. Nur nicht arbeiten. Darum sollen sie zurück ins Büro. Dabei hat doch die Pandemie bewiesen, dass Motivation, Leistung und Teams trotz monatelangen Homeoffice erhalten geblieben sind. Teilweise sind sie sogar gestiegen.

Aber es ist nun einmal in vielen Organisationen so: Vertrauen tendiert gegen null, Kontrolle ist Führungspraxis, Anwesenheit ist Kultur. Ein eher weniger geeigneter Mitarbeiter, der aber jeden Tag an seinem Schreibtisch die Zeit absitzt, scheint wichtiger zu sein als die kompetente, organisierte, leistungsfähige, von Zuhause aus arbeitende Kollegin. So manches Startup ist dahingehend die viel schlimmere „Beamtenbude“. Wenn überhaupt, dann scheint Homeoffice in der Wirtschaft nur bei Männern zu klappen. Denn die männlichen Kollegen würden eh keine Kinder betreuen und schon gar nicht im Haushalt helfen und daher tatsächlich mehr arbeiten als Frauen. Ich bin jedes Mal wieder schockiert über diese Rollenbilder in Konzernen, Mittelstand und sogar bei unter 30jährigen Gründern.

Bei diesem Thema kann man nicht behaupten, dass der öffentliche Dienst Vorreiter ist. Bis vor 3 Jahren hieß dort Homeoffice noch Telearbeit und hatte nicht zufällig die namentliche Ähnlichkeit mit dem Teletext. Der öffentliche Dienst hat aber in der Pandemie gezeigt, das Homeoffice oder neuerdings auch „mobiles Arbeiten“ funktioniert. Man hat aktuell sogar eine gewisse Vorbildfunktion bei dem Thema eingenommen. Natürlich gibt es hier auch die ein oder andere Führungskraft „alter Schule“. Und natürlich gilt das nicht für alle Tätigkeiten und Organisationen gleichermaßen. Manchmal fehlt es auch an technischer Ausstattung. Im Großen und Ganzen aber hat der Public Sector auch beim Homeoffice die Nase vorn.

Shareholder Value vs. Sinn

Natürlich kann man in jeder Tätigkeit Sinn erfahren. Stellt man die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Aufgaben im Job aber auf einer höheren, gesellschaftlichen Ebene, zerbröseln die CSR-Bemühungen der Wirtschaft zu Staub. Immer, wenn es um Gewinnmaximierung oder Aktienwerte geht, werden Menschen, Umwelt oder gesellschaftliche Verantwortung den Kürzeren ziehen.

Umgekehrt erschließt sich bei so manchem Sachbearbeiter-Job in einer Behörde die Sinnhaftigkeit nicht sofort. Aber der Public Sector zielt nicht auf Wachstum oder Gewinn. Er ist für die Menschen da. Punkt. Wenn also eine Branche Purpose, Sinn oder Verantwortung für unsere Welt selbstbewusst vermarkten kann, dann ist es der öffentliche Dienst. Der Rest ist Augenwischerei.

Old Work – New Work

Die Möglichkeit, Leben und Arbeit dank Familienzeit und Homeoffice in Einklang zu bringen, Gleichberechtigung, Fairness und Sinn. Kommen Ihnen diese Schlagwörter bekannt vor? Richtig, es sind einige wesentliche Eckpfeiler des aktuell viel beschworenen Konzeptes unter dem Stichwort "New Work".

Man kann festhalten, dass der öffentliche Dienst viel näher an New Work dran ist als die Wirtschaft. Und genau das sollte durchaus selbstbewusst Botschaft im Personalmarketing sein.

Im Employer Branding punkten

Stichwort Marketing. Im Personalmarketing werben alle Branchen mit Homeoffice, Familienzeit und Fairness. In vielen Wirtschaftsunternehmen ist es allerdings genau das und nicht mehr: Werbung. Im Öffentlichen Dienst ist es dagegen gelebte Praxis. Es gilt, dafür den Beweis anzutreten. Also diese Punkte nicht in der „Das bieten wir“-Kategorien aufschreiben, sondern Beispiele liefern.

Ich empfehle grundsätzlich, die Beschäftigten und das Team in den Fokus des Employer Brandings zu stellen und viel stärker in den Recruitingprozess zu integrieren. Da passt es gut, authentische Einblicke, Videos, Stimmen und Feedbacks von Kollegen und vor allem Kolleginnen, die Arbeit und Leben durch Familienzeit und Homeoffice in einer Vertrauenskultur optimal und karrierefördernd kombinieren können, zu transportieren. Hier hat der öffentliche Dienst einen echten USP gegenüber der Konkurrenz, den er in der Personalgewinnung nutzen sollte.

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