Serielle Sanierung von Wohnquartieren

Auf dem Pfad der Erleuchtung


Serielle Sanierung von Wohnquartieren

Die Erwartungen an serielle Sanierungen waren hoch. Nun sind die ersten Quartiere fertiggestellt. Die Zwischenbilanz fällt positiv aus. Das heißt aber nicht, dass es keine Probleme gibt.

Da wäre die Sache mit den Loggien. Verschließt man sie mit Fassadenelementen, sind die Mieter verärgert. Sollen die Loggien bleiben, müssen Handwerker ran. Aber das, sagt Tobias Stöhr, Geschäftsführer der Gewobau Erlangen, "ist ein großer Kostenblock und Zeitfresser" – zumal im Rahmen einer seriellen Sanierung. Und nun, Herr Stöhr? "Darüber grübeln wir gerade."

Serielle Sanierung: Kein Allheilmittel

Die Gewobau Erlangen ist eine Vorreiterin der seriellen Quartierssanierung: Rund 600 Wohneinheiten erneuert das kommunale Wohnungsunternehmen mit industriell gefertigten Modulen. 132 Wohnungen in der Siedlung Erlangen-Bruck sind bereits fertig. In Erlangen-Süd läuft der letzte von drei Bauabschnitten, inklusive Aufstockungen. Stöhrs Zwischenbilanz fällt überwiegend positiv aus. Er plant bereits ein Folgeprojekt mit 140 Wohnungen – inklusive Grübelei über die Loggien. Dass etwas funktioniert, heißt eben noch lange nicht, dass es keine Probleme gibt.

Als serielle Sanierung vor einigen Jahren aufkam, waren die Hoffnungen der Wohnungswirtschaft groß. Schneller, einfacher und kostengünstiger sollten problematische Bestände ertüchtigt werden können. Ein Turbo für den Weg zur Klimaneutralität. Heute, mit den Erfahrungen aus dutzenden von Pilotprojekten, fällt die Einschätzung nüchterner aus. "Serielle Sanierung wird ein nennenswerter Pfeiler der Bestandsmodernisierung sein und Kapazitäten frei machen für Gebäude, die nur konventionell saniert werden können", sagt Prof. Torsten Bölting, Geschäftsführer des Instituts für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Raumentwicklung (Inwis). "Ein Allheilmittel ist sie aber nicht."

Phasen der seriellen Sanierung

"Pfad der Erleuchtung" heißt im Lebenszyklus von Innovationen die Phase, die auf die Enttäuschung anfänglich hochfliegender Erwartungen folgt. Durch zunehmende Erfahrung und Schwarmintelligenz verbessert sich die Praxistauglichkeit, Kinderkrankheiten werden ausgemerzt und so die Grundlagen für eine breite Anwendung geschaffen. Es ist wohl diese Phase, in der sich serielle Sanierung derzeit befindet. Prof. Philip Leistner, Leiter des Fraunhofer Instituts für Bauphysik und Projektleiter des neugegründeten S-Tec-Zentrums für Industrialisiertes Bauen und Sanieren in Stuttgart, erkennt bedeutendes Potenzial zur Verbesserung der Produktivität im Bausektor.

Zwischen 20 und 30 Prozent der Mehrfamilienhäuser in Deutschland eignen sich nach Schätzungen grundsätzlich für eine serielle Sanierung, je nach Bestand kann der Anteil bei Wohnungsunternehmen auch höher liegen. Als Voraussetzung dafür, dass Wärmedämmfassaden, Dachteile oder Technikmodule in der Fabrik gefertigt und vor Ort nur noch montiert werden, gelten strukturierte, möglichst gleichförmige Baukörper. Viele ältere Siedlungen mit schlechter Energieeffizienz fallen in diese Kategorie. Mit der Größe eines Quartiers wachsen die Kostenvorteile: Je häufiger ein Modul baugleich produziert werden kann, desto geringer der Aufwand.

"Was uns überzeugt hat, ist die Geschwindigkeit der Montage vor Ort und der schnelle Effekt der Energieeffizienzsteigerung. Die Mieter merken das sofort", sagt Stöhr. Die Vorbereitung sei aufwändig, erfordere intensivste Vorplanung. Sind die Bauteile erstmal produziert, sind Korrekturen schwierig. "Überraschungen sind bei serieller Sanierung schlimmer als bei konventioneller." Asbestfunde in der Fensterlaibung zum Beispiel. "Da kann ich nicht von außen ein fertiges Fassadenteil davorbauen, luftdicht abschließen und die Bestandsfenster der bewohnten Wohnung von innen entfernen." Wer sich für eine serielle Sanierung entscheide, müsse seine Bestände genau kennen und Baurisiken anders werten.

Kosten einer seriellen Sanierung

Für Plattenbauten erscheint die Methode wegen der klaren Struktur besonders geeignet. Wie in Ludwigsfelde, wo die Wohnungsgesellschaft Märkische Heimat (MH) einen fünfgeschossigen Gebäuderiegel mit 82 Wohnungen modernisierte: Durch 228 vorgefertigte Fassadenelemente erhielt der Bau eine neue Gebäudehülle inklusive Wärmedämmung und dreifach verglaster Fenster. Die Voraussetzungen waren günstig, wie Karsten Wassermann, Abteilungsleiter Bauen und Technik bei der MH, berichtet. "Durch die einfache Kubatur brauchten wir nur zwölf verschiedene Elemente." Im Herbst 2024 wurden sie geliefert. Im April 2025 war die Sanierung abgeschlossen.

Seither ist Wassermann ein Fan der seriellen Sanierung. "Es ist so gut gelaufen, dass wir jetzt mit dem baugleichen Nachbarblock weitermachen." Auch in Ludwigsfelde gabe es Überraschungen: Beim Aufschnitt der Wetterschale zeigte sich, dass die dahinterliegende Wand nicht lotgerecht war. Um die Fassadenelemente befestigen zu können, musste mit einem speziellen Werkstoff nachgearbeitet werden. Der Anbieter, die estnische Firma Seeria Renova, habe das aber gut gelöst. Trotz der Komplikationen blieben die Kosten mit 6,3 Millionen Euro innerhalb des Budgets.

Stichwort Kosten: Die Hoffnung, dass die Methode nicht nur schneller, sondern auch günstiger ist als die konventionelle Alternative, erfüllt sich bislang kaum. Selbst mit Fördermitteln liegen die Kosten ungefähr gleichauf. Emanuel Heisenberg, Gründer und CEO des auf serielle energetische Sanierung spezialisierten Berliner Unternehmens Ecoworks, macht dafür zu geringe Stückzahlen verantwortlich: "Wir sind noch nicht bei dem Hochlauf, den wir erreichen wollen." Ecoworks hat derzeit 2.300 Wohneinheiten in Arbeit, die Zielgröße liegt bei rund 10.000. Für möglich hält Heisenberg – "wir müssen initial günstiger sein als die handwerkliche Sanierung" – eine Reduzierung der Kosten um ein Drittel. Doch zu viele Wohnungsunternehmen zögerten, die Methode auszuprobieren, trotz geeigneter Bestände.

Serielle Sanierung: Wettbewerb am Markt nutzen

Nicht immer ist der Grund für die Zurückhaltung allein Skepsis gegenüber der Technik. Die neuen Dienstleister treten gegen gewachsene Strukturen an, auch im zwischenmenschlichen Bereich. "Gerade kleine Wohnungsunternehmen arbeiten oft seit vielen Jahren mit alteingesessenen Betrieben zusammen", sagt Experte Bölting. "Die fragen sich, was wird aus dem Handwerk vor Ort?"

Die Beamten-Wohnungs-Baugenossenschaft (bwb) in Düsseldorf hat einen anderen Blickwinkel. In der Lönssiedlung im Stadtteil Stockum bringt sie 41 Mehrfamilienhäuser aus den 1930er Jahren seriell auf Vordermann, von Energieklasse F auf A. "Wenn wir nichts Neues wagen, kommen wir nicht weiter", so Projektleiter Sebastian Heinrich, bei der bwb zuständig für Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Auch ihn überzeugt das Tempo der Arbeiten: "Wir haben 80 bis 90 Prozent einer ganzen Siedlung innerhalb eines Jahres geschafft. Ein Riesenvorteil, auch angesichts des ökologischen Handlungsbedarfs."

Zugunsten einer abwechslungsreicheren Optik und dem Vergleich unterschiedlicher Lüftungssysteme hatte sich die bwb für zwei Anbieter entschieden, die LEG-Tochter Renowate und Saint-Gobain pre.formance. Auch die Gewobau in Erlangen wählte mit dem Newcomer Ecoworks und der in der Bestandssanierung erfahrenen Niersberger Wohn- und Anlagenbau bewusst zwei Partner mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Beide Wohnungsunternehmen empfehlen diese wettbewerbliche Herangehensweise, auch mit Blick auf Folgeprojekte.

Mieterkommunikation: Das A und O

Optimistisch stimmt die steile Lernkurve von Auftraggebern und Auftragnehmern. In der Lönssiedlung testet Renowate im zweiten Bauabschnitt eine serielle Sanierung von Dächern, die im ersten Bauabschnitt noch konventionell gearbeitet worden waren. Gewobau-Geschäftsführer Stöhr drückt es so aus: "Wir stehen nicht mehr am Anfang, sondern mittendrin." Er setzt darauf, dass sich Planungszeiten verkürzen und im Zusammenspiel von Anbietern und Abnehmern neue Lösungen entstehen. Die für die Loggien übrigens könnte so aussehen, dass sie seriell geschlossen und Balkone davorgesetzt werden – mit dem Plus einer Wohnraumerweiterung.

Auf Fortschritte verweist auch Ecoworks-CEO Heisenberg: "Wir versuchen immer mehr in die Fabrik zu verlagern." Lösungen etwa für Laibungen oder für die TGA gibt es schon. Die Bauabläufe hätten sich verbessert, Mieter würden weniger gestört. Ohnehin gilt serielle Sanierung als vergleichsweise mieterfreundlich, nicht nur wegen der kürzeren Bauzeit: Während der Arbeiten müssen die Bewohner in der Regel nicht ausziehen.  

Die Kommunikation zu vernachlässigen, ist trotzdem keine gute Idee. Schließlich bringt auch eine serielle Sanierung Lärm und Schmutz, Außenanlagen leiden unter dem Platzbedarf von Großgeräten und Modulen. Und selbst kleine Veränderungen können als Zumutung empfunden werden. Experte Bölting erinnert sich an ein Projekt, bei der durch vorgesetzte Module eine Keller-Außentür entfiel. "Für die Mieter war das ein Riesenthema, weil sie ihre Wäsche nicht mehr zum Aufhängen raustragen konnten wie gewohnt."

Interview: "Angebot an spezialisierten Anbietern begrenzt"

Drei Fragen an Prof. Philip Leistner über Potenzial und Perspektiven des seriellen Sanierens in Deutschland. 

Herr Leistner, sind die hohen Erwartungen an die Methode gerechtfertigt?

Prof. Philip Leistner: Weitgehend ja, da sie signifikante Zeitvorteile und eine durchgehende Datennutzung verspricht. Mit einer Produktivitätssteigerung von nur einem Prozent im Bauwesen könnte die Bundesrepublik rechnerisch bis zu 1,6 Milliarden Euro sparen. Dennoch variieren die tatsächlichen Vorteile stark, abhängig von den spezifischen Projekten und Methoden.

Worin sehen Sie die größten Hindernisse für eine breite Anwendung?

Bei der Integration in bestehende Unternehmensstrukturen und Bauabwicklungsprozesse zeigen sich oft größere Herausforderungen als ursprünglich angenommen. Insbesondere die Vielfalt der Anforderungen an jedes Gebäude und die Komplexität von Gebäudestruktur und vorhandenem Planmaterial stellen Hindernisse dar. Zudem hemmt der Mangel an qualifiziertem Personal die Skalierung.

Wie beurteilen Sie Angebot und Nachfrage nach serieller Sanierung?

Nachfrage seitens der Wohnungsunternehmen ist vorhanden, jedoch ist das Angebot an spezialisierten Anbietern begrenzt – und durch Teilleistungen zerklüftet. Der Mangel an Fachkräften und Fachplanenden könnte die Entwicklung weiterer Angebote behindern. Es ist entscheidend, dass mehr Unternehmen in innovative Technologien und Prozesse investieren. Auch sollte ein positives Bild zur seriellen Bauweise unterstützt und gute Beispiele öffentlich diskutiert werden.


0 Kommentare
Das Eingabefeld enthält noch keinen Text oder nicht erlaubte Sonderzeichen. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingabe, um den Kommentar veröffentlichen zu können.
Noch keine Kommentare - teilen Sie Ihre Sicht und starten Sie die Diskussion