Interview: Wohnungswirtschaft im Wettbewerb um Talente

Was sind die Anforderungen an die Mitarbeitenden der Zukunft? Welche Vorteile hat die Wohnungswirtschaft im Wettbewerb um Talente? Fragen, auf die Dr. Nicolas Bogs, Dekan des Studiengangs Human Resources Management an der Hochschule Fresenius, eingeht.

Der Wandel in der Arbeitswelt ist auf allen Ebenen spürbar. Herr Bogs, welche Kompetenzen müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zukunft haben, von denen Sie aktuell vielleicht noch gar nichts ahnen?

Dr. Nicolas Bogs: Mein Blick geht eindeutig auf das Kompetenzfeld der Analytik, das heißt die gezielte Auswertung von Zahlen, Daten und Fakten. Die analytische Sicht auf Dinge wird zukünftig eine viel größere Rolle spielen. Das wird die aktuell dominierende menschliche und objektorientierte Sicht verändern. Leider ist Data Analytics noch längst nicht in allen Ausbildungswegen und -formen verankert. Hinzu kommt, dass die meisten der etablierten Mitarbeitenden in einem Unternehmen oft keinerlei Kenntnisse in diesem Bereich haben. Wenn ich beispielsweise die Leitung der Personalabteilung frage, wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade auf welchen Baustellen im Einsatz sind, dann erhalte ich nur eine grobe Schätzung – wenn überhaupt. Im Idealfall wird das Handy aus der Tasche genommen und eine App zeigt, wer gerade wo unterwegs ist.

Sie übertreiben?

Nein, im Bereich Personal werden in größeren Unternehmen schon bald Algorithmen recht präzise vorhersagen können, wie viele Mitarbeitende das Unternehmen im nächsten halben Jahr verlassen werden. Was heute noch wie Zukunftsmusik klingt, wird bald für Unternehmen bedeutsam, um in Zeiten des Fachkräftemangels rechtzeitig und vor allem passgenau den Personalbedarf zu decken. Ich sehe im Bereich der People Analytics noch viel nachzuholen.

Nicolas Borgs

Wie reagieren Sie auf die von Ihnen skizzierten Anforderungen als Professor und Dozent?

Unser Anspruch ist es, Studierende praxis- und zukunftsfit zu machen. Das sorgt für einen guten Berufseinstieg mit erfolgreicher Karriere. "Employability" heißt das bei Personalern. Deshalb sind unsere immobilienwirtschaftlichen Studiengänge in dieser Hinsicht stark angepasst worden. Data Analytics und Data Science sind spezielle Fächer. Auch in meinen Vorlesungen zu Führung und Management nimmt das Thema immer breiteren Raum ein. Die Markt- und Kundenperspektive wird immer stärker durch eine Menschen-Perspektive ergänzt. Und das ist gut so.

Digitale Kompetenz und Passion sind gefragt

Viele Branchen erleben einen disruptiven Wandel. Die neuen Anforderungen erfordern neue Qualifikationen. Welche Art von Personal suchen die Firmen?

Es geht um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit digitaler Kompetenz und Passion. Eine große Herausforderung für die Immobilienwirtschaft ist es, sich gegenüber anderen Branchen besser zu positionieren. Aktuell sind ja alle Branchen und Sektoren auf der Suche nach diesen Talenten. Oft sind bei den Verantwortlichen Frustration und Verzweiflung zu spüren, wenn alle Recruiting-Anstrengungen ins Leere laufen.

Was beeinflusst derzeit noch stark den Personalmarkt?

Das Thema Mindset: Was ist den Menschen wichtig, worauf fahren sie ab? Früher standen Karriere und Verdienst im Mittelpunkt, heute ist das Ziel, Privatleben und Job miteinander zu vereinbaren. Die Lebensqualität muss stimmen. Wer als Arbeitgeber altmodisch denkt und handelt, hat es schwer. Zweiter Trend ist, dass Firmen bevorzugt werden, die engagiert im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit unterwegs sind. Hier fordern die Talente oft schon im Kennenlerngespräch viel Konkretes ein. Das Thema Nachhaltigkeit auch im Job im Blick zu haben, ist für viele ein Entscheidungsfaktor bei der Auswahl des Arbeitgebers.

Gibt es weitere Faktoren, die auf die Immobilienwirtschaft zukommen?

Ja. Die Zeiten, in denen ein festes Arbeitsverhältnis das oberste Ziel aller Menschen war, sind vorbei. Sehr gutes und erfolgreiches Personal bevorzugt immer mehr die Selbständigkeit und sucht sich die Unternehmen, die bereit sind, die Leistung in einem zeitlich klar festgelegten Umfang einzukaufen. Zudem stellt sich für alle Mitarbeitenden immer mehr die Frage: Wo ist der Ort, an dem ich arbeite? Bereits sehr früh in der Recruiting-Phase wird das mittlerweile immer gezielter nachgefragt. Maximal drei Tage pro Woche Präsenz im Büro sind für viele Top-Talente bereits die Schmerzgrenze, gerne weniger. Die Personalverantwortlichen wissen es: Gute Bewerberinnen und Bewerber sind selbstbewusst und fordernd. Sie unterschreiben keinen Arbeitsvertrag, wenn aus ihrer Sicht nicht alles passt.

Wettbewerb um Talente: Ist die Immobilienwirtschaft auf Kurs?

Worauf wird es für die Immobilienwirtschaft noch ankommen, um Talente für die Branche zu gewinnen?

Der Mix innerhalb der Belegschaft. Es wird immer größeren Wert auf Diversity gelegt. Da geht es nicht nur um Frauen in Führungsrollen, sondern auch um Vielfalt, etwa in der ethnischen Herkunft sowie der geschlechtlichen Identität. Die Young Professionals von heute – auch in der Immobilienwirtschaft – sind hier oft bereits viel weiter, als so manche Führungsetage glaubt. Gelebte Diversity und Inklusion aller Gruppen wird erwartet.

Unternehmen der Immobilienbranche berichten, dass sie zu wenige Bewerbungen erhalten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Ganz einfach: Viele Branchen sind pfiffiger und besser. Sie haben sich bereits seit vielen Jahren darauf eingestellt, dass der Wettbewerb um die guten Köpfe intensiver wird. Die Immobilienwirtschaft hinkt da – vorsichtig ausgedrückt – noch hinterher. Es muss das Ziel sein, sich als Wohnungsunternehmen modern, intelligent, flexibel und gleichzeitig auch als Job und Branche mit langfristiger Sicherheit und Zukunft zu präsentieren. Dabei sollte allen klar sein: Die Vergütung steht für viele Talente nicht mehr im Vordergrund.

Dabei haben die Wohnungsunternehmen ja ein Gut, das gerade für Menschen nach dem Studium wichtig ist: guter und bezahlbarer Wohnraum …

Das wäre schlau. Eine schöne Wohnung – zumindest für das erste Jahr – in das Gesamtpaket für Talente mit aufzunehmen, ist ein großer Wettbewerbsvorteil. Gerade für Wohnungsunternehmen sollte das gar nicht so schwer sein. Gegen eine Wohnung sind Jobticket, Fitness-Club-Mitgliedschaft oder Obstkorb zu vernachlässigen. Ich habe bei einem Unternehmen genau diese Erfahrung gemacht. Sobald angeboten wurde, für die Übergangszeit eine Wohnung im Rahmen einer Gehaltsumwandlung zur Verfügung zu stellen, stieg das Interesse deutlich an.

Up- und Re-skilling: In Kompetenzen investieren

Wie bewerten Sie insgesamt das Image der Immobilienwirtschaft?

Zwei Extreme: Es gibt höchst moderne Unternehmen mit einem Top-Image. Interessanterweise haben diese oft einen internationalen Hintergrund. Auf der anderen Seite sind viele Unternehmen durch konservatives Denken und entsprechend überholtes Verhalten geprägt. Manche verschlafen die Zukunft, ohne es überhaupt zu merken. Durch den zunehmenden Abgang der Baby-Boomer-Jahrgänge fehlt Personal in vielen Bereichen. Es wird immer schwieriger, alles zu erledigen.

Zum Abschluss der Blick auf einen Bereich, der in Deutschland große Bedeutung hat: die Berufsbilder. Haben Sie Vorstellungen, welche sich neu entwickeln werden?

Die Berufsbilder werden nicht nur digitaler, sondern auch integrativer. Sie werden außerdem viele neue Themen umfassen, wie beispielweise die Frage der Nachhaltigkeit. Was noch wichtig ist: Deutschland ist nach wie vor eine "Scheinwelt", in der Zertifikate, Abschlüsse und Zeugnisse einen höheren Stellenwert haben als Begabung, Talent und Erfahrung. Fakt ist: Jeder Abschluss ist ein Nachweis aus der Vergangenheit, der nichts darüber aussagt, ob jemand mit seiner Erfahrung und seinen aktuellen Kompetenzen die Zukunft meistert. "Was kannst du heute, und was musst du morgen können?" – das sind die zwei zentralen Fragen. Up- und Re-skilling sind die entsprechenden Themen. Neue oder andere Kompetenzen erwerben; wer das kontinuierlich kann und tut, hat die Nase vorn.

Was meinen Sie damit?

Unternehmen müssen mit Passion, Konzept und Budget stärker in die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden investieren. Insgesamt sind die Voraussetzungen für die Immobilienwirtschaft gut, denn Jobs im Bereich Projektentwicklung sind nach wie vor gefragt. Chic und international – das ist das Image. Auch Jobs im Asset Managements werden gerne genommen. Diese beiden Bereiche eignen sich deshalb, Talente zu gewinnen, zu binden und dann gezielt auch in andere Unternehmensfelder hinein zu entwickeln.

Zur Person

Dr. Nicolas Bogs lehrt an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Der promovierte Volkswirt war in vielen Managementpositionen tätig. Er hat den Masterstudiengang Human Resources Management mitentwickelt und leitet diesen heute als Studiendekan in Hamburg. Er ist zugleich Geschäftsführer der Tangron Talent & Insight, einer auf Executive und Professional Search spezialisierten Personalberatung mit Sitz in Hamburg.

Das Interview erschien in der Fachzeitschrift "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 08/2022.


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