Interview: "Die einzige Platte beim Modulbau ist die Bodenplatte"

Ist die Modulbauweise die Zukunft des Wohnungsbaus? Welche Chancen das modulare Bauen im Vergleich zur konventionellen Bauweise bietet und wie sie diese sinnvoll ergänzt, erläutern Architekt Axel Koschany und Michael Lauer vom Systemanbieter Alho im Gespräch.

Das Essener Architekturbüro Koschany + Zimmer KZA und der Systemanbieter Alho sehen viele Vorteile, sowohl für die Wohnungswirtschaft als auch für Architekten. 

Herr Lauer, wie schätzen Sie die aktuelle Wohnsituation in Deutschlands Städten ein? Und wie kam es dazu, Wohnungsbau mit Modulen zu realisieren?

Lauer: Durch den erhöhten Zuzug der Menschen vor allem in die Städte müssen in den kommenden zehn Jahren in Deutschland jährlich zwischen 350.000 und 400.000 neue Wohnungen geschaffen werden. Wir brauchen kostengünstigen Wohnraum für Alleinstehende, Familien, Gering- und Normalverdiener – und das schnell und in großer Zahl. Und schnell geht, was vorproduziert ist.

Koschany: Nachverdichtung ist eine wesentliche Möglichkeit, neuen Wohnraum zu schaffen, der sich direkt in ein gewachsenes, urbanes Umfeld einfügt. Viele Wohnungsunternehmen besitzen Grundstücke mit Siedlungsbeständen aus den 1950er und 1960er Jahren, die Raum für Nachverdichtung bieten. Das gilt auch für unseren gemeinsamen Bauherrn Vonovia. Dieser suchte ein Konzept, mit dem bundesweit schnell, kostengünstig und wiederholbar Wohngebäude auf solchen Grundstücken realisiert werden können. Schnell, um die Beeinträchtigung der Anwohner vor Ort so kurz wie möglich zu halten. So kamen wir auf das serielle Bauen.

Konzept: Modulares Baukastensystem für individuelle Wohnungsbauprojekte

Gemeinsam haben Sie ein modulares Baukastensystem entwickelt, mit dem überall in Deutschland individuell auf den Standort und die Aufgabe zugeschnittene Wohnungsbauprojekte entstehen können. Können Sie das Konzept, mit dem Sie beim GdW-Wettbewerb für Serielles Bauen als einer der Sieger hervorgingen, kurz erläutern?

Koschany: Eine Vorgabe lautete: "Entwickelt ein Konzept, das in der Fertigung wie Audi und im Einkauf wie Aldi ist." Serielle, industrielle Produktion sollte die Vorteile Tempo und Qualität in der Herstellung und über die Verwendung vieler gleicher Bauteile – Schalter, Leuchten, Armaturen, Einbaumöbel – im Einkauf bessere Konditionen bringen.

Die zweite Vorgabe lautete, die heute im Wohnungsbau realisierten Flächen zu hinterfragen, denn auch der Flächenzuwachs der vergangenen Jahre hat die Baukosten steigen lassen.

Zu diesem Zeitpunkt standen wir mit der Firma Alho noch nicht in Kontakt – aber gedanklich haben wir bereits Module entwickelt. Als erste Konzeptskizzen vorlagen, kam die Industrie mit an den Tisch und mit ihr der Input der Hersteller in die Entwicklung. Wir haben mit 15 großen Unternehmen aus allen Bereichen des Bauens gesprochen.

"Die Modulbauindustrie war jedoch die einzige, die das bieten konnte, was der Bauherr in puncto Zeit, Geld und Qualität forderte."  Axel Koschany, Architekturbüro Koschany + Zimmer KZA, Essen

Weil man material-unabhängig bleiben wollte, führten wir Gespräche mit Holz-, Beton- und Stahlmodulherstellern. Bei Stahl gilt Alho führend. Stahlkonstruktionen
ermöglichen es uns, die Konzepte für optimal umzusetzen. Als es um die Bewerbung für die Teilnahme am GdW-Wettbewerb ging, war uns daher klar, mit der Stahlkonstruktion ins Rennen gehen zu wollen.

Alho Modulbau

"Architekten müssen manchmal erst lernen, industriell-modular zu denken"

Was bieten Sie, was die anderen Mitbewerber nicht bieten konnten?

Lauer: Das flexibelste System. Das ist vor allem dem Werkstoff Stahl geschuldet, der große Spannweiten bei gleichzeitig schlanken Querschnitten statisch überbrücken kann. Im Innenbereich eines Modulgebäudes sind alle Wände
nichttragend, es gibt hier keine Zwangspunkte, und man ist sehr frei in der Grundrissgestaltung. Indem wir das Bauen in die Industriehalle verlegen, "zerschneiden“ wir das Gebäude in einzelne Module, die wir dann auf die Baustelle bringen und dort zum fertigen Gebäude montieren. Architekten müssen manchmal aber auch erst lernen, so industriell-modular zu denken.

Koschany: Der gesamte Prozess eines Projekts ist völlig anders als beim "klassischen" Bauen. Ein großer Vorteil bei der Vorfertigung auf einer Werkstraße in der Halle sind die gleichbleibenden Bedingungen und die strenge Qualitätskontrolle. Die Ausführung der Module ist sehr präzise, die Toleranzen sind deutlich kleiner als im klassischen Massivbau.

"Vorurteil einer 'Tristesse in Serie' absolut unbegründet"

Wie genau funktioniert kreatives Bauen mit einem modularen Baukastensystem?

Koschany: Die Ausgangsfrage bei der Entwicklung des Baukastens war: "Was ist das kleinste skalierbare Serienelement?" Unsere Antwort: ein Modul mit seinen Inhalten. Dafür gibt es aber einen ganzen Kanon von Modulen, eine Matrix, aus der Wohnungen individuell konfiguriert werden können: zum Beispiel ein Modul mit einem Wohnraum und einer Küche, eines mit einem Schlafzimmer und einem Bad, eines mit Kinderzimmer und Flur.

"Zuerst werden Grundrisse aus diesen Modulen heraus maßgeschneidert und dann in einer Gebäudefigur um die jeweilige Erschließung komponiert. So entstehen aus dem Wohnungsmix heraus die Gebäude."  Axel Koschany,  Architekturbüro Koschany + Zimmer KZA, Essen

Normalerweise arbeiten wir Architekten ja eher umgekehrt: Aus einer städtebaulichen Situation heraus wird das Gebäude in seiner Kubatur konzipiert und mit daraus entwickelten Grundrissen versehen. Beim modularen Bauen, wie wir es betrachten, ist das eher andersherum: Es beginnt mit durchdachten Grundrissen – und die sind am Ende das Wichtigste für die späteren Bewohner. Dabei führen selbst identische Wohnungstypen aufgrund der immer unterschiedlichen Vorgaben so gut wie nie zu ein und derselben Kubatur. Das Vorurteil einer "Tristesse in Serie" oder die Sorge vor der "Platte 2.0" sind aus unserer Sicht absolut unbegründet.

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Aber im Ernst: Das Bauen mit Raummodulen ist eine Bauweise und kein Ausdruck städtebaulicher oder architektonischer Qualität! Es kommt darauf an, was man daraus macht.

Würden Sie sagen, in der Modulbauweise liegt die Zukunft des Wohnungsbaus?

Koschany: Wir sind zuversichtlich, dass die Modulbauweise einen nennenswerten Marktanteil bei den anstehenden Bauaufgaben erreichen wird. Wir brennen für die Idee des modularen Bauens im Kontext des Wohnungsbaus. Er bietet eben ganz andere Ansätze und Möglichkeiten als das konventionelle Bauen. Entscheidend für die Zukunft modularen Wohnungsbaus wird aber sein, dass es nicht mit belangloser, repetitiver Architektur in Verbindung gebracht wird. Darum werben wir auch dafür, dass sich die Architekten dem Thema widmen.

Axel Koschany (links) und Michael Lauer

"Wohnungswirtschaft profitiert von kurzer Bauzeit und Möglichkeiten bei der Nachverdichtung"

Von welchen Vorteilen der Modulbauweise kann die Wohnungswirtschaft denn besonders profitieren?

Lauer: Das sind vor allem die kurze Bauzeit, die guten Möglichkeiten der Nachverdichtung und die sauberen und leisen Baustellen. Gerade in der Nachverdichtung wird in einem oft sehr engen Wohnumfeld gebaut, in dem es wichtig ist, ohne lange Belästigung der Anwohner durch Lärm, Staub und Dreck zu bauen, wie das bei konventionellen Baustellen der Fall ist. Unsere im Werk vorgefertigten Module kommen mit einem Vorfertigungsgrad von 70 bis 80 Prozent auf die Baustelle. Sie werden innerhalb weniger Tage montiert und dann bleibt nur noch eine kurze Ausbauzeit von maximal zwei bis drei Monaten, die im direkten Wohnumfeld stattfindet.

Und wie sieht es mit den Kosten aus?

Lauer: Die Kosten für die Erstellung eines Modulgebäudes sind mit denen eines konventionell errichteten vergleichbar.

"Aufgrund der witterungsunabhängigen Produktion der Module haben wir keine Schlechtwetterperioden, welche die Bauzeit verzögern." Michael Lauer, Architekt bei Alho, Friesenhagen (Hauptsitz)

Wir bauen das ganze Jahr hindurch, und die Gebäude werden bis zu 70 Prozent schneller fertiggestellt. Hierdurch lässt sich zum einen die Finanzierungsperiode entsprechend verkürzen. Immobilien können schneller in Betrieb genommen und vermietet werden und erzielen früher Einnahmen. Im gemeinsamen Dialog mit KZA entwickeln wir das gesamte System ständig weiter. Gerade werden beispielsweise neue Elemente für statisch wie gestalterisch optimierte Balkone entwickelt. Auch die Vorfertigung wird weiter optimiert werden.

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Wir betreiben integrale Planung, bei der alle Fachdisziplinen von Anfang an zusammentreffen und alle Entscheidungen im Vorfeld gebündelt werden. Wenn wir dann die Produktion starten, läuft der getaktete Just-in-time-Prozess, bei dem der Endtermin auf den Tag genau fixiert ist. Änderungen sind ab da kaum mehr möglich.

Koschany: An der Stelle will ich kurz ergänzen, dass wir gemeinsam den gesamten Planungsprozess BIM-tauglich abwickeln, was im Sinne der Qualitäten eines ständig optimierten Prozesses große Vorteile bringt.

Erfahrung soll Bauherren vom Modulbau überzeugen

Mit welchen Argumenten machen Sie potenziellen Bauherren die Qualität der Modulbauweise deutlich?

Lauer: Wir haben den großen Vorteil, dass wir seit 50 Jahren Modulgebäude bauen. Wir haben darin eine große Erfahrung. Unser Portfolio umfasst dabei nicht nur den Wohnungsbau, sondern eine breite Palette des Hochbaus, von Büroimmobilien über Pflegeheime, Schulen und Kindergärten bis zu Krankenhäusern. Das Unternehmen versteht unter seriell in der Tat eine Wiederholung möglichst gleichbleibender Typen. Darin ist auch die Wirtschaftlichkeit des Systems begründet. 

Koschany: Das Wichtigste ist jetzt, zeitnah gute Referenzobjekte zu realisieren, die zeigen: So sieht gelungenes modulares Bauen aus. Denn Vorurteile spielen teilweise sogar bis in die Finanzierung hinein.

"Wenn ein Bauherr modular bauen will, das Gebäude aber über Banken finanziert werden soll, fragen diese manchmal allen Ernstes: Ist das Gebäude denn so beständig wie ein normales? Ist es so viel wert wie ein konventionelles Bauwerk?" Axel Koschany, Architekturbüro Koschany + Zimmer KZA, Essen

Da ist also noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, aber das Interesse und die Neugier der Wohnungswirtschaft sind groß.

Typengenehmigung für serielles Wohnhaus wäre ein Anfang

Was müsste von Seiten der Politik passieren, damit die Vorteile der modularen Bauweise greifen könnten?

Lauer: Laut Ausschreibung sollte beim GdW-Wettbewerb ja ein Referenzgebäude nach sozialen Wohnungsbau-Förderkriterien geplant werden, das dann möglichst bundesweit einsetzbar wäre. Aber das ist unmöglich. Wir haben in Deutschland eine föderalistische Struktur.

"Jedes Bundesland hat seine eigene Bauordnung und Fördergesetze. Es ist schier unmöglich, ein bundesweit einheitliches Referenzgebäude zu erstellen." Michael Lauer, Alho

Via Musterbauordnung könnte man theoretisch – weg von den 16 unterschiedlichen Landesbauordnungen – eine einheitliche Regelung hinbekommen. Eine weitere Möglichkeit wäre, eine Typengenehmigung für ein serielles Wohnhaus zu erstellen, das dann natürlich bezüglich der Optik und der städtebaulichen Einordnung individuell anpassbar sein müsste. Die Genehmigungsverfahren würden dadurch sehr beschleunigt.

Koschany: Wir müssen aber auch die Bauverwaltungen vor Ort in den Städten, Kommunen und Gemeinden für die Idee des seriell-modularen Bauens gewinnen. Gelingt uns das zusammen mit den Herstellern und mit den Bauherren an Beispielen mit guten Wohnungsbauprojekten, dann bin ich zuversichtlich, dass der seriell-modulare Wohnungsbau wichtige und bereichernde Akzente in Deutschland setzen wird.

Das Interview erschien in der Jubiläumsausgabe der "DW Die Wohnungswirtschaft", 10/2018.

Schlagworte zum Thema:  Modulbau, Wohnungsbau, Wohnungswirtschaft