Von Klimaziel bis Kommunikation

Selbstverständnis von Genossenschaften auf die Probe gestellt


Internationaler Tag der Genossenschaften: Zeit für Wandel

Am 5. Juli ist Internationaler Tag der Genossenschaften. Guter Zeitpunkt für einen Blick in die Zukunft. Das Genossenschaftliche muss neu gedacht werden. Wie können Forschung, Praxis und moderne Kooperationsformen dabei helfen? 

Wohnungsgenossenschaften gelten als stabile, sozialverträgliche und demokratisch legitimierte Akteu­re auf angespannten Wohnungs­märkten. Doch was ist das Genossenschaft­liche am genossenschaftlichen Wohnen? Niedrige Nutzungsgebühren? Ein besonders guter Service? Gepflegte Wohnanlagen? All das kann dazugehören – aber all das findet sich, je nach Einzelfall, auch bei anderen Wohnungsunternehmen. Was Wohnungs­genossenschaften unterscheidet, ist nicht (nur) das Was, sondern das Wie.

Wohnungsgenossenschaften folgen einem gesetzlich klar verankerten För­derauftrag. Sie handeln im Interesse ihrer Mitglieder – nicht der Kapitalmärkte oder externer Gesellschafter. Sie sind demokra­tisch organisiert; jedes Mitglied hat eine Stimme. Und sie verbinden ökonomische Verantwortung mit sozialem Zusammenhalt und ge­meinschaftlicher Selbstorganisation. Das ist nicht neu, aber aktueller denn je.

Nachhaltigkeit idealtypisch verkörpert

2025 ist das Internationale Jahr der Genossenschaf­ten – ausgerufen, um weltweit auf den besonde­ren gesellschaftlichen Wert genossenschaftlicher Organisationsformen aufmerksam zu machen. Ein besserer Zeitpunkt, um die Rolle und die Zukunft von Wohnungsgenossenschaften zu diskutieren, kann kaum gewählt werden. Gerade in einer Zeit, in der demokratische Werte in politischen und ge­sellschaftlichen Debatten zunehmend unter Druck geraten, gewinnen Formen gelebter Demokratie an Bedeutung – auch und gerade im Alltag. Während an den politischen Rändern die Polarisierung zunimmt und demokratische Kompromissfähigkeit schwindet, beweisen Genossenschaften: Es kann funktionieren. Seit mehr als 150 Jahren.

Dabei leisten Wohnungsgenossenschaften auch einen bemerkenswerten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. In ihrer Struktur und Praxis verkörpern sie das klassische Nachhaltigkeitsdreieck aus Öko­logie, Ökonomie und sozialer Verantwortung in idealtypischer Weise: Sie bewirtschaften ihre Bestände langfristig und werterhaltend, bieten stabile und faire Wohnverhältnisse und orientieren sich zunehmend an ökologischen Zielsetzungen – ohne die Mitglie­derbelange aus dem Blick zu verlieren.

Das ist kein Selbstläufer. Demokratie muss gelebt, gestaltet und immer wieder neu verteidigt werden – auch im Kleinen, in Aufsichtsräten, Vertre­terversammlungen und Mitgliederdialogen. Einstim­mige Beschlüsse sind keine Selbstverständlichkeit. Aus einzelnen Genossenschaften wird berichtet, dass der Ton rauer wird, Diskussionen kontroverser ver­laufen und Entscheidungen zunehmend unter Druck stehen. In besonders festgefahrenen Situationen wer­den häufiger die Prüfungsverbände als vermittelnde Instanz hinzugezogen – nicht zur Kontrolle, sondern zur Moderation. Es geht um nicht weniger als um den sozialen Kitt, der das genossen­schaftliche Modell zusammenhält.

Transformation: Zwischen Anspruch und Alltag

Die Gründe für diese Spannungen sind vielschichtig. Sicher ist: Die Anforderungen an die Wohnungsge­nossenschaften steigen. Und mit ihnen der Druck, zu handeln.

Einst galt: Regelmäßige Mietanpassungen waren oftmals die Ausnahme, Modernisierungen wurden behutsam und konsensual geplant, Sanierungszy­klen folgten innerbetrieblichen Logiken und nicht externen Zeitvorgaben. Doch das ändert sich gerade grundlegend. Um Klimaziele zu erreichen, müssen Bestände zügig und konsequent energetisch mo­dernisiert werden – auch dort, wo es kurzfristig unpopulär ist. Viele Genossenschaften versenden erstmals massenhaft Mieterhöhungen. Entscheidun­gen müssen häufiger gegen Widerstände getroffen werden. Und auch intern stehen gewachsene Abläufe auf dem Prüfstand: Strategien, Personalstrukturen, Prozesse. Vieles wird hinterfragt, manches muss neu gedacht werden.

Ein großes – bislang oft ungenutztes – Potenzial zur Bewältigung dieser Zukunftsfragen liegt in neuen, modernen Formen der Kooperation. Ob intergenos­senschaftlich, mit kommunalen Akteuren, Sozial­trägern oder Unternehmen der Daseinsvorsorge: Kooperationen ermöglichen Skaleneffekte, Wissen­stransfer und Innovationskraft. Genossenschaften müssen sich dafür aber öffnen – ohne ihre Eigen­ständigkeit aufzugeben. Die Zukunft wird vernetzter gedacht werden müssen, auch im genossenschaftli­chen Kontext.

Bewahrung des Genossenschaftlichen

Doch wie gelingt in dieser Phase der Neuausrich­tung die Bewahrung – oder besser: die Stärkung – des Genossenschaftlichen? Wie lassen sich demokra­tische Strukturen und Mitgliederbindung erhalten, wenn Organisationen gleichzeitig gezwungen sind, wirtschaftlich effizienter, ökologisch ambitionierter und digital agiler zu werden?

Die Antwort: Kommu­nikation, Partizipation, Haltung. Die genossenschaft­liche Idee ist anpassungsfähig. Sie ist kein starres System, sondern ein flexibles Prinzip, das in Werten und nicht in Paragrafen verankert ist. Genau deshalb kann sie auch mit Herausforderungen wachsen. Dazu braucht es vor allem drei Dinge:

  1. Authentische Kommunikation. Mitglieder wollen ernst genommen werden – in der Krise mehr denn je. Entscheidungen müssen erklärt, Zielkonflikte offen benannt und Perspektiven aufgezeigt werden. Wer von anderen Veränderungen verlangt, muss selbst Haltung zeigen.
  2. Ehrliches Engagement. Mitgliedschaft ist mehr als ein Vertragsverhältnis – sie ist Teilhabever­sprechen. Das muss auch in schwierigen Zeiten eingelöst werden: durch transparente Verfahren, belastbare Mitwirkungsangebote und eine Füh­rungskultur, die zuhört, statt zu verkünden.
  3. Neue Formen der Partizipation. Die klassische Vertreter- oder Generalversammlung allein wird den Anforderungen an demokratische Einbindung nicht mehr gerecht. Digitale Beteiligungsformate, lokale Quartiersforen, kooperative Planungspro­zesse oder Mitgliederworkshops sind kein Selbst­zweck – sie sind Voraussetzung für legitime und tragfähige Entscheidungen.

Wissenschaftliche Unterstützung: Das Institut eg21

Um diesen Wandel wissenschaftlich zu begleiten, wurde an der EBZ Business School in Bochum das eg21 Institut für wohnungsgenossenschaftliche Zu­kunftsfragen gegründet, als Plattform für Forschung, Bildung und Dialog im ge­nossenschaftlichen Kontext. Es bietet Raum für Refle­xion, bündelt Praxiswissen und entwickelt Strategien für die Zukunft genossenschaftlichen Wohnens – all das praxisnah und partizipativ.

Zur fundierten Bearbeitung der hier skizzierten Fragen führt das eg21 gemeinsam mit dem Verein Wohnen in Genossenschaften und der InWIS Forschung & Beratung GmbH aktuell die bundesweite Studie "Wohnungsgenossenschaften 2025+: Wahr­nehmungen, Erwartungen, Perspektiven" durch. Im Zentrum stehen qualitative und quantitative Analysen unter anderem zu folgenden Fragestel­lungen:

  • Wie erleben Mitglieder ihre Genossenschaft heute, was erwarten sie für morgen?
  • Welche Herausforderungen belasten Führungskräf­te, Gremien und Mitarbeitende?
  • Welche Erfahrungen werden mit Nachhaltigkeits­strategien, Digitalisierung oder Beteiligung gemacht – und welche neuen Ansätze entstehen daraus?

Die Studie ist dabei nicht nur thematisch am­bitioniert, sondern auch methodisch breit angelegt: Nach aktuellem Stand werden rund 50.000 Fragebö­gen an Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften in ganz Deutschland versendet – damit zählt sie zu den größten empirischen Erhebungen, die im ge­nossenschaftlichen Wohnungswesen seit langem durchgeführt wurden. Die Ergebnisse sollen helfen, Strategien zu entwickeln, die sowohl das wirtschaft­liche Fundament als auch die demokratische Kultur der Genossenschaften stärken – und damit das Ge­nossenschaftliche im besten Sinne erneuern.

Das Genossenschaftliche behaupten – Wandel aus eigener Kraft

Wohnungsgenossenschaften stehen vor fundamen­talen Umbrüchen. Doch sie verfügen über ein trag­fähiges Fundament: ihre Mitglieder, ihre Werte und ihre Geschichte. Genau das unterscheidet sie von anderen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt.

Jetzt ist der Moment, das Genossenschaftliche selbstbewusst weiterzuentwickeln – durch Haltung, durch Dialog, durch Kooperation und durch Innovation. Nicht weil es einfach ist, sondern weil es sich lohnt.

Der Beitrag ist aus der Ausgabe 07/2025 des Fachmagazins "DW Die Wohnungswirtschaft". Das gesamte Heft gibt es auch in der DW-App.


Schlagworte zum Thema:  Wohnungsgenossenschaft
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