Selbstverständnis von Genossenschaften auf die Probe gestellt
Wohnungsgenossenschaften gelten als stabile, sozialverträgliche und demokratisch legitimierte Akteure auf angespannten Wohnungsmärkten. Doch was ist das Genossenschaftliche am genossenschaftlichen Wohnen? Niedrige Nutzungsgebühren? Ein besonders guter Service? Gepflegte Wohnanlagen? All das kann dazugehören – aber all das findet sich, je nach Einzelfall, auch bei anderen Wohnungsunternehmen. Was Wohnungsgenossenschaften unterscheidet, ist nicht (nur) das Was, sondern das Wie.
Wohnungsgenossenschaften folgen einem gesetzlich klar verankerten Förderauftrag. Sie handeln im Interesse ihrer Mitglieder – nicht der Kapitalmärkte oder externer Gesellschafter. Sie sind demokratisch organisiert; jedes Mitglied hat eine Stimme. Und sie verbinden ökonomische Verantwortung mit sozialem Zusammenhalt und gemeinschaftlicher Selbstorganisation. Das ist nicht neu, aber aktueller denn je.
Nachhaltigkeit idealtypisch verkörpert
2025 ist das Internationale Jahr der Genossenschaften – ausgerufen, um weltweit auf den besonderen gesellschaftlichen Wert genossenschaftlicher Organisationsformen aufmerksam zu machen. Ein besserer Zeitpunkt, um die Rolle und die Zukunft von Wohnungsgenossenschaften zu diskutieren, kann kaum gewählt werden. Gerade in einer Zeit, in der demokratische Werte in politischen und gesellschaftlichen Debatten zunehmend unter Druck geraten, gewinnen Formen gelebter Demokratie an Bedeutung – auch und gerade im Alltag. Während an den politischen Rändern die Polarisierung zunimmt und demokratische Kompromissfähigkeit schwindet, beweisen Genossenschaften: Es kann funktionieren. Seit mehr als 150 Jahren.
Dabei leisten Wohnungsgenossenschaften auch einen bemerkenswerten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. In ihrer Struktur und Praxis verkörpern sie das klassische Nachhaltigkeitsdreieck aus Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung in idealtypischer Weise: Sie bewirtschaften ihre Bestände langfristig und werterhaltend, bieten stabile und faire Wohnverhältnisse und orientieren sich zunehmend an ökologischen Zielsetzungen – ohne die Mitgliederbelange aus dem Blick zu verlieren.
Das ist kein Selbstläufer. Demokratie muss gelebt, gestaltet und immer wieder neu verteidigt werden – auch im Kleinen, in Aufsichtsräten, Vertreterversammlungen und Mitgliederdialogen. Einstimmige Beschlüsse sind keine Selbstverständlichkeit. Aus einzelnen Genossenschaften wird berichtet, dass der Ton rauer wird, Diskussionen kontroverser verlaufen und Entscheidungen zunehmend unter Druck stehen. In besonders festgefahrenen Situationen werden häufiger die Prüfungsverbände als vermittelnde Instanz hinzugezogen – nicht zur Kontrolle, sondern zur Moderation. Es geht um nicht weniger als um den sozialen Kitt, der das genossenschaftliche Modell zusammenhält.
Transformation: Zwischen Anspruch und Alltag
Die Gründe für diese Spannungen sind vielschichtig. Sicher ist: Die Anforderungen an die Wohnungsgenossenschaften steigen. Und mit ihnen der Druck, zu handeln.
Einst galt: Regelmäßige Mietanpassungen waren oftmals die Ausnahme, Modernisierungen wurden behutsam und konsensual geplant, Sanierungszyklen folgten innerbetrieblichen Logiken und nicht externen Zeitvorgaben. Doch das ändert sich gerade grundlegend. Um Klimaziele zu erreichen, müssen Bestände zügig und konsequent energetisch modernisiert werden – auch dort, wo es kurzfristig unpopulär ist. Viele Genossenschaften versenden erstmals massenhaft Mieterhöhungen. Entscheidungen müssen häufiger gegen Widerstände getroffen werden. Und auch intern stehen gewachsene Abläufe auf dem Prüfstand: Strategien, Personalstrukturen, Prozesse. Vieles wird hinterfragt, manches muss neu gedacht werden.
Ein großes – bislang oft ungenutztes – Potenzial zur Bewältigung dieser Zukunftsfragen liegt in neuen, modernen Formen der Kooperation. Ob intergenossenschaftlich, mit kommunalen Akteuren, Sozialträgern oder Unternehmen der Daseinsvorsorge: Kooperationen ermöglichen Skaleneffekte, Wissenstransfer und Innovationskraft. Genossenschaften müssen sich dafür aber öffnen – ohne ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Die Zukunft wird vernetzter gedacht werden müssen, auch im genossenschaftlichen Kontext.
Bewahrung des Genossenschaftlichen
Doch wie gelingt in dieser Phase der Neuausrichtung die Bewahrung – oder besser: die Stärkung – des Genossenschaftlichen? Wie lassen sich demokratische Strukturen und Mitgliederbindung erhalten, wenn Organisationen gleichzeitig gezwungen sind, wirtschaftlich effizienter, ökologisch ambitionierter und digital agiler zu werden?
Die Antwort: Kommunikation, Partizipation, Haltung. Die genossenschaftliche Idee ist anpassungsfähig. Sie ist kein starres System, sondern ein flexibles Prinzip, das in Werten und nicht in Paragrafen verankert ist. Genau deshalb kann sie auch mit Herausforderungen wachsen. Dazu braucht es vor allem drei Dinge:
- Authentische Kommunikation. Mitglieder wollen ernst genommen werden – in der Krise mehr denn je. Entscheidungen müssen erklärt, Zielkonflikte offen benannt und Perspektiven aufgezeigt werden. Wer von anderen Veränderungen verlangt, muss selbst Haltung zeigen.
- Ehrliches Engagement. Mitgliedschaft ist mehr als ein Vertragsverhältnis – sie ist Teilhabeversprechen. Das muss auch in schwierigen Zeiten eingelöst werden: durch transparente Verfahren, belastbare Mitwirkungsangebote und eine Führungskultur, die zuhört, statt zu verkünden.
- Neue Formen der Partizipation. Die klassische Vertreter- oder Generalversammlung allein wird den Anforderungen an demokratische Einbindung nicht mehr gerecht. Digitale Beteiligungsformate, lokale Quartiersforen, kooperative Planungsprozesse oder Mitgliederworkshops sind kein Selbstzweck – sie sind Voraussetzung für legitime und tragfähige Entscheidungen.
Wissenschaftliche Unterstützung: Das Institut eg21
Um diesen Wandel wissenschaftlich zu begleiten, wurde an der EBZ Business School in Bochum das eg21 Institut für wohnungsgenossenschaftliche Zukunftsfragen gegründet, als Plattform für Forschung, Bildung und Dialog im genossenschaftlichen Kontext. Es bietet Raum für Reflexion, bündelt Praxiswissen und entwickelt Strategien für die Zukunft genossenschaftlichen Wohnens – all das praxisnah und partizipativ.
Zur fundierten Bearbeitung der hier skizzierten Fragen führt das eg21 gemeinsam mit dem Verein Wohnen in Genossenschaften und der InWIS Forschung & Beratung GmbH aktuell die bundesweite Studie "Wohnungsgenossenschaften 2025+: Wahrnehmungen, Erwartungen, Perspektiven" durch. Im Zentrum stehen qualitative und quantitative Analysen unter anderem zu folgenden Fragestellungen:
- Wie erleben Mitglieder ihre Genossenschaft heute, was erwarten sie für morgen?
- Welche Herausforderungen belasten Führungskräfte, Gremien und Mitarbeitende?
- Welche Erfahrungen werden mit Nachhaltigkeitsstrategien, Digitalisierung oder Beteiligung gemacht – und welche neuen Ansätze entstehen daraus?
Die Studie ist dabei nicht nur thematisch ambitioniert, sondern auch methodisch breit angelegt: Nach aktuellem Stand werden rund 50.000 Fragebögen an Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften in ganz Deutschland versendet – damit zählt sie zu den größten empirischen Erhebungen, die im genossenschaftlichen Wohnungswesen seit langem durchgeführt wurden. Die Ergebnisse sollen helfen, Strategien zu entwickeln, die sowohl das wirtschaftliche Fundament als auch die demokratische Kultur der Genossenschaften stärken – und damit das Genossenschaftliche im besten Sinne erneuern.
Das Genossenschaftliche behaupten – Wandel aus eigener Kraft
Wohnungsgenossenschaften stehen vor fundamentalen Umbrüchen. Doch sie verfügen über ein tragfähiges Fundament: ihre Mitglieder, ihre Werte und ihre Geschichte. Genau das unterscheidet sie von anderen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt.
Jetzt ist der Moment, das Genossenschaftliche selbstbewusst weiterzuentwickeln – durch Haltung, durch Dialog, durch Kooperation und durch Innovation. Nicht weil es einfach ist, sondern weil es sich lohnt.
Der Beitrag ist aus der Ausgabe 07/2025 des Fachmagazins "DW Die Wohnungswirtschaft". Das gesamte Heft gibt es auch in der DW-App.
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