Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Auskunft nach § 84a AMG bei fehlendem Schadensersatzanspruch; Darlegungsanforderungen und Beweismaß im Rahmen der Gefährdungshaftung nach § 84 AMG bei Schädigung eines Risikopatienten - VIOXX®

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die mit einer Schadensersatzklage nach § 84 AMG verbundene Auskunftsklage nach § 84a AMG kann insgesamt abgewiesen werden, wenn nach den medizinischen Gegebenheiten des Einzelfalls der geltend gemachte Schadensersatzanspruch ungeachtet des denkbaren Ergebnisses der Auskunft nicht besteht.

2. Ob die Voraussetzungen der Kausalitätsvermutung nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG vorliegen, kann offen bleiben, wenn andere Umstände als die Einnahme des beanstandeten Medikamentes unstreitig vorliegen oder nachgewiesen werden, die ebenso geeignet sind, den Schaden zu verursachen.

3. Waren Risikofaktoren des Patienten einzeln oder in der Gesamtschau geeignet, einen Schlaganfall auszulösen (hier: Fettstoffwechselstörung, Diabetes Mellitus, polymyalgia rheumatica, Adipositas, Alkoholabusus eines bei Behandlungsbeginn 70-jährigen Mannes), können damit die Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Satz 3 AMG bewiesen sein. Die Kausalitätsvermutung nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AMG greift dann nicht. Für den Nachweis einer Mitursächlichkeit i.S.d. § 84 Abs. 1 Satz 1 AMG gilt kein geringeres Beweismaß. Der pharmazeutische Unternehmer muss nicht den Vollbeweis für die Alleinverursachung durch die sonstigen Risikofaktoren erbringen.

 

Normenkette

AMG §§ 84, 84a; BGB §§ 276, 280, 823; ZPO §§ 254, 286-287

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 16.02.2011; Aktenzeichen 10 O 340/07)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 26.03.2013; Aktenzeichen VI ZR 109/12)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Koblenz vom 16.02.2011 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreites.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt im Wege der Stufenklage Auskunft über die Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie Verdachtsfälle eines von der Beklagten vertriebenen Medikamentes und auf dieser Grundlage materiellen und immateriellen Schadensersatz, die Feststellung der künftigen materiellen und immateriellen Schadensersatzpflicht sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

Dem am 27.12.1932 geborenen Kläger wurde ab dem 19.03.2003 von seinem behandelnden Arzt das von der Beklagten vertriebene und in Deutschland zugelassene Medikament "VIOXX®" aufgrund einer Polymyalgie rheumatica mit bestehendem Verdacht auf chronische Polyarthritis verschrieben. Darüber hinaus litt der Kläger u.a. an Diabetes mellitus und an einer kombinierten Hyperlipidämie, infolge derer seine Blutfettwerte zumindest zeitweise erhöht waren.

Am Morgen des 16.1.2004 war dem Kläger schwindelig, seine linke Körperseite taub; Arme und Beine kribbelten. Sein Hausarzt wies ihn ins Krankenhaus ein, wo ein apoplektischer Insult diagnostiziert wurde; die Richtigkeit der Diagnose ist zwischen den Parteien streitig. Unter der Diagnose eines stattgehabten Schlaganfalles wurde der Kläger zunächst stationär, sodann über längere Zeit ambulant behandelt. Er erholte sich nach seinen Angaben nur langsam und leidet heute unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Das Medikament VIOXX® wurde aufgrund einer im Zulassungsverfahren vorgelegten Studie, der sog. VIGOR-Studie, am 19.11.1999 für den deutschen Markt zugelassen. Im Februar 2000 begann eine weitere, die sog. APPROVe-Studie, die als Langzeitstudie konzipiert war. Sie wurde am 30.9.2004, etwa zwei Monate vor dem geplanten Studienende, abgebrochen, weil Erkenntnisse aus der Studie die Frage unerwünschter Nebenwirkungen des Medikamentes aufwarfen. Am gleichen Tag nahm die Beklagte das Medikament vom deutschen Markt, ohne dass dem eine dahin gehende Anordnung der zuständigen Behörden vorausgegangen wäre.

Der Kläger macht geltend, der Wirkstoff Rofecoxib des Medikamentes VIOXX® steigere bei bestimmungsgemäßer Einnahme des Medikamentes das Risiko, einen Schlaganfall, Herzinfarkt oder sonstige kardivaskuläre Ereignisse zu erleiden in einem Maße, das im Vergleich zum therapeutischen Nutzen nicht vertretbar sei. Das Ziel einer Schmerzlinderung bei größtmöglicher Schonung des Magen-Darm-Bereiches könne durch eine Kombination anderer Medikamente risikoärmer erreicht werden. Auf die Gefahren der Einnahme von VIOXX® sei weder in der Fach- noch in der Gebrauchsinformation des Medikamentes ausreichend hingewiesen worden. Er habe das Medikament entsprechend dem von der Beklagten vorgegebenen Anwendungsgebiet und in der empfohlenen Dosierung eingesetzt. Er habe am 16.1.2004 einen Schlaganfall erlitten, wenngleich dieser - was unstreitig ist - sich in der bildgebenden Diagnostik nicht darstellen ließ. Der Schlaganfall sei auf die Einnahme von VIOXX® zurückzuführ...

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