Entscheidungsstichwort (Thema)

Beurteilung einer Anlageempfehlung. Risikotragung des Kunden

 

Leitsatz (amtlich)

Die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjekts durch ein Kreditinstitut muss ex ante betrachtet vertretbar sein. Das Risiko, dass sich eine aufgrund anleger- und objektgerechter Beratung getroffene Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde.

 

Normenkette

BGB § 276

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.01.2005; Aktenzeichen 12 U 11/04)

LG Darmstadt (Urteil vom 09.12.2003; Aktenzeichen 4 O 179/03)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt/M. vom 20.1.2005 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Darmstadt vom 9.12.2003 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die beklagte Sparkasse aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Ehemannes, eines Elektrotechnikers, auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.

Die Klägerin erbte von ihren Eltern ein Vermögen i.H.v. ca. 4 Mio. DM. 1,2 bis 1,3 Mio. DM wollte sie für drei bis fünf Jahre anlegen. Sie und der Zedent eröffneten 1998 zu gleichen Teilen ein Wertpapierdepot bei der Beklagten und erwarben zu 50 % des Anlagebetrages Aktienfonds- und zu 30 % Immobilienfondsanteile, die sämtlich von einer Fondsgesellschaft des D.-verbandes emittiert worden waren. Der Rest wurde bei niedriger Verzinsung liquide angelegt. Zunächst stiegen die Kurse und führten zu erheblichen Gewinnen. Im Frühjahr 2000 setzte ein Kursverfall ein. Deshalb erkundigte sich der Zedent am 30.5.2000, als die Anlage insgesamt noch in der Gewinnzone lag, bei der Beklagten, ob ein Verkauf ratsam sei. Der Leiter der Wertpapierabteilung der Beklagten äußerte die Erwartung, dass die Börse sich wieder nach oben entwickeln werde, und riet von einem Verkauf ab. Da der Kursverfall sich fortsetzte, fanden am 17.8.2000, 23.10.2000, 9.1.2001 und 8.2.2001 Gespräche mit ähnlichem Inhalt statt. Am 21.3.2001 verkauften die Klägerin und der Zedent alle Fondsanteile.

Die Klägerin meint, die Empfehlung der Beklagten, die Fondsanteile nicht zu verkaufen, sei eine Beratungspflichtverletzung gewesen, und verlangt den Ersatz der Differenz zwischen dem Wert der Papiere am 30.5.2000 und dem am 21.3.2001. Das LG hat die Klage auf Zahlung von 164.734 EUR nebst Zinsen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klägerin habe gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch die fehlerhafte Beratung am 30.5.2000 entstanden sei. Die Parteien hätten einen Anlageberatungsvertrag geschlossen, der nicht mit der Einrichtung des Depots geendet habe. Der Rat, die Papiere nicht zu verkaufen, sei objektiv falsch und aus damaliger Sicht nicht vertretbar gewesen. Da nach dem Vortrag der Beklagten am 30.5.2000 nicht absehbar gewesen sei, ob das Sinken der Kurse eine Regulierung aufgeblähter Kurse oder eine beginnende Talfahrt gewesen sei, sei es allein richtig gewesen, zum Verkauf zu raten. Die Papiere zu halten, wäre nur dann vertretbar gewesen, wenn zu erwarten gewesen wäre, dass die Kurse innerhalb des geplanten Anlagezeitraums von noch höchstens drei Jahren zumindest das Niveau vom 30.5.2000 überschreiten würden. Da aber nach dem Vortrag der Beklagten nicht absehbar gewesen sei, ob die Talfahrt beendet gewesen sei, habe die Gefahr weiterer Verluste bestanden. Dass auch ein Fachmann die Börsenentwicklung nicht mit Sicherheit voraussagen könne, verstehe sich von selbst. Er müsse den Anleger aber über Risiken aufklären und darauf hinweisen, dass nicht absehbar sei, ob die Talfahrt beendet sei. Außerdem habe es damals ernst zu nehmende Stimmen gegeben, die vor einem Kurseinbruch gewarnt hätten. Selbst wenn es auch andere Auffassungen gegeben haben sollte, hätte die Beklagte die Klägerin über diese unterschiedlichen Meinungen informieren müssen.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im Wesentlichen Punkt nicht stand. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung, der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, zu.

1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen.

Dabei kommt es nicht auf den vor dem Erwerb der Fondsanteile geschlossenen Beratungsvertrag an. Daraus ergaben sich über die Anlageentscheidung der Klägerin hinaus keine fortdauernden Überwachungs- und Beratungspflichten der Beklagten hinsichtlich der erworbenen Wertpapiere (OLG Karlsruhe v. 28.1.1992 - 18a U 149/91, MDR 1992, 384 = WM 1992, 577; OLG Düsseldorf v. 8.7.1994 - 17 U 14/94, OLGReport Düsseldorf 1994, 245 = WM 1994, 1468 [1469]; v. 10.10.2002 - 6 U 9/02, OLGReport Düsseldorf 2003, 221 = ZIP 2003, 471 [473]; Balzer in Welter/Lang, Handbuch der Informationspflichten im Bankverkehr, Rz. 7.80; Horn in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Rz. 7/1278). Derartige Pflichten resultierten auch nicht aus dem Depotvertrag (BGH, Urt. v. 23.11.2004 - XI ZR 137/03, BGHReport 2005, 579 = MDR 2005, 522 = WM 2005, 270 [271], m.w.N.).

Zwischen den Parteien ist aber ein neuer Beratungsvertrag geschlossen worden, als der Zedent sich am 30.5.2000 bei der Beklagten erkundigte, ob ein Verkauf der Anteile ratsam sei, und die Beklagte ihm riet, die Papiere zu halten. Tritt ein Anleger an eine Bank heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (BGH v. 6.7.1993 - XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 [128] = MDR 1993, 861; Urt. v. 9.5.2000 - XI ZR 159/99, MDR 2000, 1021 = WM 2000, 1441 [1442]; Urt. v. 25.6.2002 - XI ZR 218/01, MDR 2002, 1201 = WM 2002, 1683 [1686]). Dasselbe gilt, wenn ein Kunde sich - wie hier - nach getroffener Anlageentscheidung bei der Bank erkundigt, wie er sich angesichts fallender Kurse verhalten soll (LG Essen, Urt. v. 15.7.1993 - 18 O 3/93, NJW-RR 1993, 1392 [1394]; Balzer in Welter/Lang, Handbuch der Informationspflichten im Bankverkehr, Rz. 7.80).

2. Rechtlich nicht haltbar ist hingegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe ihre Pflichten aufgrund des Beratungsvertrages verletzt.

a) Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Beratung muss anleger- und objektgerecht sein (BGH v. 6.7.1993 - XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 [128] = MDR 1993, 861). Maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarkts, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben. Während die Aufklärung des Kunden über diese Umstände richtig und vollständig zu sein hat (BGH, Urt. v. 9.5.2000 - XI ZR 159/99, MDR 2000, 1021 = WM 2000, 1441 [1442]), muss die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjektes unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein (Nobbe in Horn/Schimansky, Bankrecht 1998, S. 235, 248). Das Risiko, dass sich eine Anlageentscheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde (BGH, Urt. v. 4.2.1987 - IVa ZR 134/85, WM 1987, 531 [532]). Auch Börsentipps liegen nicht im Rahmen der vertraglichen Haftung einer Bank für Rat und Auskunft (BGH, Urt. v. 18.6.1971 - I ZR 83/70, WM 1971, 987 [989]).

b) Gemessen hieran hat die Beklagte ihre Beratungspflichten nicht verletzt.

Sie hat der Klägerin keine unrichtigen oder unvollständigen Informationen über die Anlageobjekte erteilt. Da die Klägerin ihre Anlageentscheidung bereits getroffen und in bestimmte Fondsanteile investiert hatte, war eine erneute Aufklärung über die damit verbundenen, von der Klägerin zu tragenden Risiken nicht erforderlich. Die Klägerin erwartete eine solche Aufklärung auch nicht, sondern wollte von der Beklagten wissen, ob angesichts der von ihr erkannten sinkenden Kurse ein Verkauf der Anteile ratsam sei.

Die auf diese Frage erteilte Empfehlung der Beklagten, die Anteile nicht zu verkaufen, war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ex ante betrachtet nicht unvertretbar. Das Berufungsgericht geht rechtsfehlerfrei davon aus, dass im Zeitpunkt der Raterteilung am 30.5.2000 objektiv nicht vorhersehbar war, ob die Kurse weiter fallen oder innerhalb des Anlagezeitraums von noch höchstens drei Jahren das Niveau vom 30.5.2000 überschreiten würden. In dieser Situation handelte die Beklagte nicht pflichtwidrig, indem sie aufgrund ihrer Erfahrung und langjährigen Beobachtung der Kursentwicklung von einem entsprechenden Wiederanstieg der Kurse innerhalb der nächsten drei Jahre ausging und diese Entwicklung ihrer Empfehlung ggü. der Klägerin zugrunde legte. Den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Sachvortrag der Parteien sind keine Umstände zu entnehmen, die diese Erwartung grundsätzlich oder jedenfalls angesichts der vom Berufungsgericht angenommenen Aufblähung oder Überhitzung der Börse ex ante betrachtet als unvertretbar erscheinen lassen könnten.

Die Beklagte musste der Klägerin, anders als das Berufungsgericht meint, auch nicht mitteilen, dass nicht absehbar sei, ob der Kursverfall beendet sei. Das Berufungsgericht geht selbst - rechtsfehlerfrei - davon aus, es verstehe sich von selbst, dass auch ein Fachmann die Börsenentwicklung nicht mit Sicherheit voraussehen könne. Auf eine Selbstverständlichkeit muss eine beratende Bank aber nicht ausdrücklich hinweisen.

Es bestand auch keine Pflicht der Beklagten, die Klägerin auf unterschiedliche Meinungen über die künftige Kursentwicklung, insb. auf ernst zu nehmende Stimmen, die vor einem Kurseinbruch warnten, hinzuweisen. Aus der Unsicherheit der künftigen Kursentwicklung folgt zwangsläufig, dass hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können. Auch dies musste die Beklagte deshalb nicht besonders erwähnen. Dass eine Bank, die für eine Anlageempfehlung das Vertrauen ihres Kunden in Anspruch nimmt, diesen über kritische Stimmen in der Wirtschaftspresse unterrichten muss (BGH, Urt. v. 6.7.1993 - XI ZR 12/93, MDR 1993, 861 = WM 1993, 1455 [1457], insoweit in BGHZ 123, 126 ff. nicht abgedruckt), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Beklagte hat der Klägerin zwar empfohlen, bestimmte Fondsanteile nicht zu verkaufen. Bei dieser Empfehlung ging es aber, ebenso wie bei der zugrunde liegenden Anfrage der Klägerin, nicht um die Einschätzung der Fondsanteile als solcher, sondern allein um eine ersichtlich unsichere Prognose der künftigen Kursentwicklung.

III.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und das landgerichtliche Urteil wieder herstellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1503254

DStZ 2006, 387

NJW 2006, 2041

NWB 2006, 1910

BGHR 2006, 862

EBE/BGH 2006, 148

EWiR 2006, 391

WM 2006, 851

WuB 2006, 699

ZIP 2006, 891

ZfIR 2006, 486

JuS 2006, 848

MDR 2006, 902

MDR 2006, 938

VersR 2006, 982

VuR 2006, 495

BKR 2006, 256

NWB direkt 2006, 11

ZBB 2006, 210

ZGS 2006, 206

Kreditwesen 2006, 719

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