Leitsatz (amtlich)

a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben.

b) Bei der Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht ergänzenden Vortrag der Parteien zu diesem Wert in Erwägung zu ziehen (Bestätigung des Senatsbeschlusses v. 26.10.2010 - VI ZB 74/08, VersR 2011, 646).

 

Normenkette

ZPO §§ 576, 547 Nr. 6, § 511 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Offenburg (Beschluss vom 24.07.2012; Aktenzeichen 1 S 21/12)

AG Gengenbach (Urteil vom 21.12.2011; Aktenzeichen 2 C 122/11)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Offenburg vom 24.7.2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Beschwerdewert: 603,77 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Das LG hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des AG Gengenbach vom 21.12.2011 als unzulässig verworfen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteige 600 EUR nicht und das Gericht des ersten Rechtszuges habe die Berufung nicht zugelassen. Der Streitwert für den Berufungsantrag Ziff. 1 betrage 353,77 EUR, der Streitwert für den Berufungsantrag Ziff. 2 (Feststellungsantrag) lediglich 155,49 EUR. Ausweislich der Klagebegründung sei der Feststellungsantrag mit möglichen Ersatzansprüchen bezüglich der Mehrwertsteuer auf Reparaturkosten und wegen Nutzungsausfalls begründet worden, was unter Berücksichtigung der nach ständiger Rechtsprechung der Berufungskammer anzuwendenden Tabelle, des Feststellungsabschlags von 20 Prozent und Berücksichtigung der Tatsache, dass lediglich 50 Prozent dieser Beträge eingeklagt seien, zu einem Streitwert von 155,49 EUR für den Feststellungsantrag führe. Eine höhere Beschwer aufgrund des Umstands, dass der Kläger möglicherweise auf einen Mietwagen angewiesen sei, könne nicht berücksichtigt werden, da mögliche Mietwagenkosten bis zum Schriftsatz vom 24.5.2012 kein Thema gewesen seien. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).

Rz. 3

1. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil er nicht ausreichend mit Gründen versehen ist.

Rz. 4

a) Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen nach gefestigter Rechtsprechung des BGH den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen; anderenfalls sind sie nicht mit den nach dem Gesetz (§§ 576 Abs. 3, 547 Nr. 6 ZPO) erforderlichen Gründen versehen und bereits deshalb aufzuheben (vgl. nur BGH, Beschlüsse v. 19.3.2013 - VI ZB 68/12, zur Veröffentlichung bestimmt; v. 6.11.2012 - VI ZB 33/12, juris Rz. 4; v. 8.5.2012 - VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, VersR 2012, 1272 Rz. 3; v. 12.4.2011 - VI ZB 31/10, VersR 2011, 1199 Rz. 8; v. 17.11.2009 - VI ZB 58/08, VersR 2010, 687 Rz. 4; jeweils m.w.N.). Das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Berufungsgericht festgestellt hat (§§ 577 Abs. 2 Satz 4, 559 ZPO). Enthält der angefochtene Beschluss keine tatsächlichen Feststellungen, ist das Rechtsbeschwerdegericht nicht zu einer rechtlichen Prüfung in der Lage. Dies gilt gerade auch dann, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verwirft, weil die Berufungssumme nicht erreicht sei. Denn eine Wertfestsetzung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur darauf hin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die angekündigten Anträge zur Kenntnis genommen und zutreffend bewertet und die Grenzen eines ihm ggf. durch § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse v. 19.3.2013 - VI ZB 68/12, z.V.b.; v. 12.4.2011 - VI ZB 31/10, a.a.O.; BGH, Beschl. v. 14.6.2010 - II ZB 20/09, NJW-RR 2010, 1582 Rz. 5; v. 28.4.2008 - II ZB 27/07, NJW-RR 2008, 1455 Rz. 4). Wird diesen Anforderungen nicht genügt, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts nach sich zieht (vgl. BGH, Urt. v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216, 220; Senatsbeschluss v. 6.11.2012 - VI ZB 33/12, juris; BGH, Beschl. v. 7.4.2011 - V ZB 301/10, WuM 2011, 377 Rz. 3; v. 31.3.2011 - V ZB 160/10, Grundeigentum 2011, 686 Rz. 3; v. 16.9.2010 - V ZB 95/10, juris Rz. 3; v. 11.5.2006 - V ZB 70/05, FamRZ 2006, 1030; v. 9.3.2006 - IX ZB 17/05, NZI 2006, 481; v. 7.4.2005 - IX ZB 63/03, NJW-RR 2005, 916; v. 5.2.2004 - IX ZB 29/03, VersR 2005, 288).

Rz. 5

b) Eine Sachdarstellung ist lediglich dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel noch mit hinreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen ergeben (BGH, Beschlüsse v. 19.3.2013 - VI ZB 68/12, z.V.b.; v. 8.5.2012 - VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, a.a.O.; v. 22.1.2008 - VI ZB 46/07, a.a.O.; v. 8.5.2007 - VI ZB 74/06, a.a.O.; v. 25.4.2007 - VI ZB 66/06, a.a.O.).

Rz. 6

c) Diesen Maßstäben wird die Verwerfungsentscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. In diesem Beschluss wird der maßgebliche Sachverhalt, über den entschieden werden soll, nicht wiedergegeben. Gleiches gilt für die Anträge beider Instanzen. Der Beschluss enthält auch keine Bezugnahmen, etwa auf das erstinstanzliche Urteil. Alleine die Rechtsausführungen enthalten keine ausreichenden Informationen über den festgestellten Sachverhalt und das Begehren der Parteien in den beiden Tatsacheninstanzen. Der Verwerfungsbeschluss enthält mithin nicht die für eine Sachprüfung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlichen Feststellungen.

Rz. 7

2. Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO), welches über die Wertfestsetzung erneut zu befinden haben wird.

Rz. 8

Im Hinblick auf das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Rz. 9

Ein Feststellungsantrag erfasst den gesamten dem Kläger entstandenen Schaden, auch solche Positionen, die - aus welchem Grund auch immer - nicht mit der Leistungsklage geltend gemacht und auch nicht zur Begründung des Feststellungsantrags konkretisiert werden. Selbst wenn der Kläger nach Abschluss der ersten Instanz erst im Berufungsverfahren vorträgt, dass Schäden in weiterem Umfang entstanden seien bzw. entstehen könnten, als sie in erster Instanz vorgetragen wurden, darf dieser Vortrag bei der Wertfestsetzung durch das Berufungsgericht nach § 3 ZPO nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil ein entsprechender Vortrag in erster Instanz oder bis zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung nicht erfolgte. Der Wert der Beschwer ist vielmehr nach dem Umfang des gesamten Schadens zu bemessen, wie er sich dem Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags darstellt (vgl. BGH, Beschl. v. 26.10.2010 - VI ZB 74/08, VersR 2011, 646 Rz. 8). Anderes folgt auch nicht aus § 4 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO, wonach für die Wertberechnung der Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels entscheidend ist. Hierdurch wird nur der für die Wertverhältnisse maßgebliche Zeitpunkt geregelt. Neue Tatsachen zur Wertbestimmung können indes in der Berufungsinstanz vorgetragen werden (vgl. Wöstmann in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 4 Rz. 9; Rimmelspacher in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 511 Rz. 55 f.; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 4 Rz. 9). Bei der Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht daher ergänzenden Vortrag der Parteien zu diesem Wert in Erwägung zu ziehen. Hat das Erstgericht die auf Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall gerichtete Klage - wie hier auch - hinsichtlich eines Feststellungsantrags abgewiesen, kann der Wert des Beschwerdegegenstandes auch durch ausreichend konkret dargelegte Schadenspositionen bestimmt sein, die erstinstanzlich nicht in Ansatz gebracht wurden oder im Raum standen, sofern im Fall einer Verurteilung die Haftung der Beklagten auch für diese Positionen festgestellt würde (BGH v. 26.10.2010 - VI ZB 74/08, a.a.O.).

III.

Rz. 10

Die Entscheidung über die Nichterhebung der Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Fundstellen

EBE/BGH 2013

FamRZ 2013, 1125

NJW-RR 2013, 1077

DAR 2013, 464

JZ 2013, 416

MDR 2013, 1243

NZV 2013, 4

NZV 2013, 533

VRA 2013, 113

PAK 2013, 163

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