Leitsatz (amtlich)

Strafbare Handlungen, die beim Versuch, aus einer Vollzugsanstalt der DDR auszubrechen, begangen wurden - hier Gefangenenmeuterei und versuchter Mord -, können auch dann nicht zur Rehabilitierung nach dem StrRehaG führen, wenn festgestellt ist, dass die Vollstreckung nur aufgrund rechtsstaatswidriger Urteile - hier wegen versuchten unerlaubten Grenzübertritts - erfolgte.

 

Normenkette

StrRehaG § 1

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Entscheidung vom 24.03.2009; Aktenzeichen Reha 116/08)

 

Tenor

1. Die Beschwerde wird verworfen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

3. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.

 

Gründe

I. Der Antragsteller befand sich vom 1.2.1978 an in Haft im Jugendhaus I wegen versuchten unerlaubten Grenzübertritts nach § 213 StGB/DDR. Insoweit wurde er mit Beschluss vom 4.9.2008 rehabilitiert und das zugrundeliegende Urteil des Amtsgerichts Pößneck aufgehoben.

Während dieser Haft versuchte er mit einem Mitgefangenen am 5.8.1978 auszubrechen, wobei ein Vollzugsbediensteter massiv misshandelt wurde. Da das Bezirksgericht Erfurt zu der Überzeugung gelangte, beide hätten billigend in Kauf genommen, den Vollzugsbediensteten zu töten, wurde der Antragsteller am 19.4.1979 wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes nach § 112 Abs. 1 in Tateinheit mit Gefangenenmeuterei nach § 236 StGB/DDR zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Vom 1.8.1980 bis zum 18.12.1989 verbüßte er diese Strafe, im Anschluss an die Strafe wegen versuchten unerlaubten Grenzübertritts. Der Strafrest wurde dann zur Bewährung ausgesetzt.

Bezüglich der Verurteilung durch das Bezirksgericht Erfurt beantragte der Antragsteller am 25.1.2008 seine Rehabilitierung.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 24.3.2009 erklärte das Landgericht Erfurt das Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 19.4.1979 insoweit für rechtsstaatswidrig, als der Antragsteller zu mehr als 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Im Übrigen wies es den Rehabilitierungsantrag zurück.

Dem Antragsteller wurde der Beschluss am 8.4.2009 zugestellt. Am 28.4.2009 ging seine Beschwerde dagegen beim Landgericht Erfurt ein. Er erklärt, keinen Tötungsvorsatz gehabt zu haben. Das sei ihm nur in den Vernehmungen durch das MfS unterstellt worden.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 27.8.2009, die Beschwerde zu verwerfen.

II. Die Beschwerde ist zwar zulässig, aber nicht begründet.

Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet (strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG - vom 29.10.1992) ist die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 02.10.1990 für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist.

Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung der politischen Verfolgung gedient hat oder wenn die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zur Tat stehen.

Es ist nicht zu beanstanden, dass durch das Landgericht Erfurt nur eine teilweise Rehabilitierung erfolgte, indem es den Tenor des Urteils vom 19.4.1979 bestehen ließ und lediglich das Strafmaß herabsetzte.

1. Eine vollständige Aufhebung des Urteils vom 19.4.1979 kommt nicht in Betracht, weil nicht festgestellt werden kann, dass die Entscheidung der politischen Verfolgung i.S.d. § 1 Abs. 1 Ziff. 1 StrRehaG gedient hat. Bei den abgeurteilten Straftaten - versuchter Mord, Gefangenenmeuterei - handelt es sich nicht um Regeltatbestände nach § 1 Abs. 1 Ziff. 1 StrRehaG. Eine gesetzliche Vermutung, dass die Verurteilung des Betroffenen politischer Verfolgung diente, besteht somit nicht. Auch hat politische Verfolgung durch DDR-Gerichte nicht schon dann vorgelegen, wenn in einem Strafverfahren ein politischer Bezug erkennbar war, sondern politische Verfolgung heißt, dass das Gericht durch politisch motiviertes hoheitliches Handeln Rechte von Gewaltunterworfenen in verwerflicher, die Menschenwürde und Grundfreiheiten missachtender Weise verletzt hat (vgl. StrRehaG, Potsdamer Kommentar, 2. Auflage, Rdnr. 27 zu § 1).

a) Die vom Beschwerdeführer begangene Straftat, wie sie im Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 19.4.1979 festgestellt wird, ist auch in rechtsstaatlich geprägten Ordnungen mit Strafe bewehrt, insbesondere auch heute in der Bundesrepublik Deutschland. Lediglich die Definitionen von Mord und Totschlag waren im StGB der DDR andere als im StGB, wie es in der DDR vor 1968 und in der Bundesrepublik weiterhin galt. Nach heutigem Recht wäre der gerichtlich festgestellte Sachverhalt als versuchter Totschlag in Tateinheit mit Gefangenenmeuterei zu würdigen.

b) Dabei wirkt sich letztlich nicht aus, dass der Antragsteller sich in Haft befand aufgrund einer Verurteilung, die ihrerseits als rechtsstaatswidrig aufgehoben worden ist und zur Reha...

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