Leitsatz (amtlich)

1. Wird erst durch neue Umstände nach Mitteilung der Auswahlkriterien und deren Gewichtung (§ 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG) erkennbar, dass sich bei einer wie angekündigt zu treffenden Auswahlentscheidung eine Rechtsverletzung ergäbe, so ist § 47 Abs. 2 Satz 2 EnWG allenfalls entsprechend dahin anzuwenden, dass die (künftige) Rechtsverletzung innerhalb von 15 Tagen ab dem Zeitpunkt zu rügen wäre, zu dem sie erkennbar geworden ist.

2. Ein Rechtsverstoß, der sich nur gemessen an einem künftig möglicherweise geltenden Recht ergäbe, ist nicht im Sinn von § 47 Abs. 2 Satz 2 EnWG erkennbar, solange das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Auch eine nach allgemeinen Grundsätzen zur Präklusion führende Nachlässigkeit besteht vorher nicht.

3. Die Ergänzung um das Merkmal "treibhausgasneutrale" in § 1 Abs. 1 EnWG in der seit dem 29. Juli 2022 geltenden Fassung (des Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung vom 19. Juli 2022, BGBl. I S. 1214) ist in der Sache keine Änderung gegenüber der vorherigen Fassung.

 

Tenor

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12. Oktober 2022, Az. 14 O 127/22 Kart, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung fallen der Verfügungsklägerin zur Last.

 

Gründe

I. Die verfügungsbeklagte Stadt (fortan: Beklagte) führt ein Verfahren zur Neuvergabe der Wegenutzungsrechte für die Stromversorgung im Sinn von § 46 Abs. 2 EnWG (Stromkonzession) in fünf ihrer Ortsteile ([OT1], [OT2], [OT3], [OT4] und [OT5]) durch, an dem sich die Verfügungsklägerin (fortan: Klägerin) beteiligt. Dem vorliegenden, auf Unterlassung einer bestimmten Fortsetzung des Konzessionsvergabeverfahrens gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung liegt eine Beanstandung der durch die Beklagte mitgeteilten Auswahlkriterien und deren Gewichtung zugrunde.

Die Beklagte teilte mit einem 1. Verfahrensbrief vom 17. Mai 2021 zum Konzessionsvergabeverfahren (Anlage ASt 23) Auswahlkriterien (Anlage 1 zum 1. Verfahrensbrief, Anlage ASt 3) sowie einen Musterkonzessionsvertrag (Anlage 2 zum 1. Verfahrensbrief, Anlage ASt 4) mit und forderte zur Abgabe indikativer Angebote auf. Das Landgericht Mannheim untersagte der Beklagten auf Antrag der Klägerin (unter Zurückweisung weitergehender Anträge der Klägerin) im Weg einstweiliger Verfügung, das Konzessionsvergabeverfahren auf dieser Grundlage fortzusetzen, ohne zuvor über die Abhilfe hinsichtlich einer dagegen gerichteten Rüge der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden zu haben. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Beklagten wies der Senat (Urteil vom 27. April 2022 - 6 U 318/21 Kart, juris = Anlage ASt 5) zurück.

Die Beklagte übermittelte daraufhin am 1. Juni 2022 einen 2. Verfahrensbrief vom 31. Mai 2022 (Anlage ASt 7). Darin nahm sie Änderungen der Auswahlkriterien und deren Gewichtung vor, um zwei gegen den 1. Verfahrensbrief gerichteten Rügen (darunter die mit Erfolg vor Gericht durchgesetzte Rüge) abzuhelfen. Zugleich bat sie um Abgabe eines indikativen Angebots binnen einer auf den 29. September 2022 gesetzten, anschließend (mit Schreiben der Beklagten vom 27. Juli 2022, Anlage ASt 8) bis zum 28. Oktober 2022 verlängerten Frist.

Mit Schreiben vom 1. August 2022 (Anlage ASt 9) rügte die Klägerin gegenüber der Beklagten, die Auswahlkriterien berücksichtigten entgegen § 46 Abs. 4 Satz 1 EnWG nicht das Ziel der Treibhausgasneutralität gemäß § 1 Abs. 1 EnWG in der seit dem 29. Juli 2022 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung vom 19. Juli 2022 (BGBl. I S. 1214; nachfolgend EnWG-Änderungsgesetz (KSSP)). Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 16. August 2022 (Anlage ASt 10), das der Klägerin am 22. August 2022 zuging, der Rüge werde nicht abgeholfen.

Die Klägerin hat in erster Instanz geltend gemacht, die Gesetzesänderung in § 1 Abs. 1 EnWG sei im laufenden Konzessionierungsverfahren bei der anstehenden Auswahlentscheidung zu beachten. Danach müssten Gemeinden bei der Auswahl des Unternehmens gemäß § 46 Abs. 4 Satz 1 EnWG das übergeordnete Ziel der Treibhausgasneutralität angemessen berücksichtigen. Die Beklagte müsse deswegen die Rolle des Netzbetreibers bei der Umsetzung der Energiewende in seinem Netzgebiet und die Aktivitäten des Netzbetreibers zu dessen eigener Treibhausgasneutralität berücksichtigen und bewerten. Der Kriterienkatalog der beklagten Gemeinde berücksichtige dieses Ziel nicht, was deren Spielraum überschreite.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,

1. der Antragsgegnerin zu untersagen, das durch Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger am 26. Januar 2021 eingeleitete Verfahren zur Vergabe der Konzession für das Stromversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in den Ortsteilen [OT1], [OT2], ...

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