Leitsatz (amtlich)

Die Rechtswegzuständigkeit für eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung ist, auch wenn es sich um eine Primäraufrechnung handelt, für die Zuweisung des Rechtsstreits nach § 13 GVG jedenfalls so lange unbeachtlich, als nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob die für die Hauptforderung zuständige Gerichtsbarkeit auch über rechtswegfremde Gegenforderungen mit zu entscheiden hat. Dies gilt insb. für den Fall, dass auch die als solche ebenfalls unstreitige Gegenforderung in die Rechtswegzuständigkeit des Gerichts zur Hauptforderung fällt (hier: Aufrechnung des Sozialversicherungsträgers mit rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen gegen vom Insolvenzverwalter geltend gemachte Ansprüche nach § 85 SGB XI) und lediglich die bei isolierter Betrachtung in die Zuständigkeit einer anderen (hier: der ordentlichen) Gerichtsbarkeit fallende (Vor-)Frage streitig ist, ob nämlich die vom Sozialversicherungsträger erklärte Aufrechnung wegen Anfechtbarkeit nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 InsO unzulässig ist (Abgrenzung zu LSG Rheinland-Pfalz, ZinsO-RR 2003, 195).

 

Normenkette

GVG §§ 13, 17a; InsO § 96 Abs. 1; SGG § 51 Abs. 1, § 2; SGB I §§ 51-52; SGB XI § 85

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Aktenzeichen 303 O 278/02)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des LG Hamburg, Zivilkammer 3, vom 20.2.2003 abgeändert:

Der beschrittene ordentliche Rechtsweg wird für unzulässig erklärt.

Der Rechtsstreit wird an das zuständige Sozialgericht Köln verwiesen.

Die als Rechtsbeschwerde ausgestaltete weitere Beschwerde zum BGH wird zugelassen.

 

Gründe

Die gem. § 17a Abs. 4 S. 2 GVG zulässige, insb. form- und fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der vom Kläger beschrittene ordentliche Rechtsweg ist unzulässig, weil es sich bei der Streitigkeit zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit i.S.v. § 13 GVG handelt und auch keine besondere gesetzliche Zuweisung an die ordentliche Gericht eingreift. Der Rechtsstreit gehört vielmehr gem. § 51 Abs. 2 S. 2 SGG vor die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.

Der Kläger beansprucht als Insolvenzverwalter nach seinem den Streitgegenstand bestimmenden Sachvortrag von der Beklagten rückständige Heimunterbringungskosten für den Monat Juli 2001 i.H.v. 51.400 DM = 26.280,40 Euro. Dieser Betrag, der für die Unterbringung von bei der Beklagten Versicherten in den Heimen der R. GmbH angefallen ist, entspricht den Pflegekosten, die für diesen Zeitraum von der Beklagten zu übernehmen sind. Dieser streitgegenständliche Anspruch, der seine Rechtsgrundlage in § 85 SGB XI hat, unterfällt § 51 Abs. 2 S. 2 SGG, wo es heißt, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch entscheiden über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch entstehen. Diese Rechtswegzuweisung bezieht sich auf den gesamten Bereich des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts des SGB XI (vgl. Meyer/Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, § 51 Rz. 37a m.w.N.) und erfasst damit auch den anhängigen Rechtsstreit. Für die Bestimmung des Streitgegenstandes ist es unbeachtlich, ob über die Berechtigung des Anspruchs zwischen den Parteien Streit besteht.

Diese Rechtswegzuweisung entfällt auch nicht wegen des von der Beklagten dem Zahlungsverlangen des Klägers entgegengesetzten Ansprüche auf Zahlung von Krankenkassenbeiträgen, die die R. GmbH rückständig geblieben ist. Unabhängig davon, ob hierin eine Aufrechnung i.S.v. § 51 SGB I oder eine Verrechnung i.S.v. § 52 SGB I zu sehen ist, ändert dies an der für die Hauptforderung gegebenen Rechtswegzuweisung nichts.

Die Entscheidung über diese Gegenforderung als solche ist gem. § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG ebenfalls den Sozialgerichten zugewiesen. Lediglich der Streit darüber, ob die von der Beklagten abgegebene Aufrechnungs- bzw. Verrechnungserklärung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 InsO unzulässig ist, könnte bei isolierter Betrachtung als eine Angelegenheit angesehen werden, die in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fällt (vgl. für den Anspruch aus Konkursanfechtung BGH v. 7.5.1991 – IX ZR 30/90, MDR 1991, 860 = NJW 1991, 2147 [2148]). Aber auch dieser Gesichtspunkt steht der Zuweisung des Rechtsstreits an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht entgegen.

Das versteht sich von selbst, wenn man aufgrund der Neufassung des § 17 Abs. 2 GVG den für die Hauptforderung zuständigen Gerichten auch das Recht einräumt, über rechtswegfremde Gegenforderungen mit zu entscheiden (vgl. zum Streitstand etwa Kissel, GVG, 3. Aufl. 2001, § 17 Rz. 52; Zöller/Gummer, 23. Aufl. 2002, § 17 GVG Rz. 10 jew. m.w.N.). Aber auch wenn man dies ablehnt, wozu der Senat tendiert, muss die Entscheidung darüber gleichwohl dem für die Hauptforderung zuständigen Rechtszug überlassen bleiben. Das gilt umso mehr, wenn, wie hier, die Gegenforderung als solche auch in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fällt, und es lediglich darum geht, ob die Aufrechnungserklärung der Beklagten unzulässig ist, weil sie entweder ihre Forderu...

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