Leitsatz (amtlich)

1. Ergibt die Auslegung, dass der Erblasser praktisch die Verteilung seines gesamten zur Zeit der Testamentserrichtung vorhandenen Vermögens unter den bedachten Personen verfügt hat, so liegt - entgegen der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB - eine Erbeinsetzung vor.

2. Die Zuwendung eines einzelnen Vermögensgegenstandes ist als Erbeinsetzung (zum Alleinerben) anzusehen, wenn dieser nach den Vorstellungen des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung die anderen Vermögensgegenstände an Wert so sehr übersteigt, dass anzunehmen ist, der Erblasser habe darin im Wesentlichen seinen Nachlass gesehen (naheliegend insbesondere dann, wenn - so hier - ein Grundstück seinem Wert nach den wesentlichen Teil des Vermögens bildet).

3. Dass das Grundstück nach dem Wortlaut des Testaments erst nach dem Tod des Nutzungsberechtigten übergehen sollte, stützt die Auslegung, dass der Zuwendungsempfänger das Eigentum an dem Hausgrundstück nach dem Willen des Erblassers unmittelbar und nicht erst nach dem Tod des Nutzungsberechtigten, allerdings unter Beachtung seines Wohnrechts, erhalten sollte.

4. Dass der Erblasser nach Testamentserrichtung seinerseits eine nennenswerte Summe geerbt hat und das Hausgrundstück deshalb nun nicht mehr den weitaus größten Vermögensgegenstand im Nachlass des Erblassers darstellt, gibt Anlass, im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung zu ermitteln, welchen Willen der Erblasser vermutlich gehabt haben würde, wenn er bei Errichtung des Testaments die künftige Entwicklung vorausschauend in Betracht gezogen hätte, wobei der mutmaßliche Wille in irgendeiner Art in der auszulegenden Urkunde angedeutet sein muss (hier deutet das Testament darauf hin, dass der Erblasser lediglich das Hausgrundstück zuwenden, dem Zuwendungsadressaten aber keine Erbenstellung verleihen wollte, was mit Blick auf den nachträglichen Vermögenserwerb des Erblassers die Auslegung als Teilerbeinsetzung rechtfertigt).

5. Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil vorliegend im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.3.1972 (FamRZ 1972, 561) klärungsbedürftig ist, ob im Falle eines nachträglichen Vermögenserwerbs eine ergänzende Testamentsauslegung dazu führen kann, dass eine durch Einzelzuwendung getroffene Einsetzung zum Alleinerben nunmehr als Teilerbeinsetzung anzusehen ist.

 

Normenkette

BGB §§ 1937, 2084, 2087 Abs. 2, § 2088 Abs. 1; FamFG § 70 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

AG Rheinberg (Beschluss vom 31.01.2016; Aktenzeichen 23 VI 569/15)

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird geändert.

Der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 vom 20.11.2015 - notarielle Urkunde UR-Nr. 1227 für 2015 des Notars Dr. L. -P. in Leverkusen-Opladen - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Erblasserin war verheiratet mit P. E. K.. Dieser war der Bruder der Großmutter der im Jahre 1976 geborenen Beteiligten zu 3. Das einzige Kind der Eheleute, R. K., verstarb am 2.9.1966, dem Tag seiner Geburt. Nachdem ihr Ehemann im Jahre 1971 bei einem Unfall verstorben war, lebte die Erblasserin lange Jahre mit H. G. zusammen, der die Patenschaft für die Beteiligte zu 3 übernahm. Nach dem Tod von H. G. wurde der Beteiligte zu 2 Lebensgefährte der Erblasserin. Mit ihm lebte sie in den letzten 15 Jahren bis zu ihrem Tod zusammen.

Der Beteiligte zu 1 ist der Bruder der Erblasserin; die Beteiligte zu 4 ist dessen Ehefrau.

Am 3.9.2007 errichtete die Erblasserin ein handschriftliches Testament, das wie folgt lautet:

"Mein letzter Wille

Für den Fall meines Todes verfüge ich:

1) Haus- und Grundbesitz in Xanten, ..., incl. der gesamten Einrichtung sollen Herrn J. L., geb. am 11.01.1945 bis an sein Lebensende zur eigenen Nutzung zur Verfügung stehen. Er ist verpflichtet den gesamten Besitz zu pflegen, ausreichend zu versichern und erforderliche Reparaturen zu veranlassen.

2) Nach dem Ableben von Herrn L. geht das gesamte Objekt an Fr. T. Ö., geb. am 03.03.1976 über.

3) Eventuell noch vorhandenes Bar- oder Anlagevermögen sollen für meine Beerdigung und die Grabpflege der Gruft und des Einzelgrabes meiner Mutter eingesetzt werden.

4) Meinen Schmuck soll meine Schwägerin E. B. erhalten. Hier hat jedoch Herr L. das Recht des Einbehaltes."

Am 4.6.2015 verstarb ein ehemaliger Kriegskamerad des Vaters der Erblasserin, H. K. M., zu dem sie bis zu seinem Tod Kontakt gehalten und den sie zeitweise gepflegt hatte. Er hatte die Erblasserin durch handschriftliches Testament vom 19.3.2015, das am 27.8.2015 in ihrer Anwesenheit eröffnet wurde, zu seiner Alleinerbin eingesetzt und Testamentsvollstreckung angeordnet. Der Wert des Erbes ist bislang nicht bekannt. Der Beteiligte zu 1 schätzt ihn unter Berufung auf Angaben, die der Beteiligte zu 2 ihm gegenüber gemacht habe, auf ca. 400.000,00 EUR.

Der Beteiligte zu 1 hat einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein beantragt. Er hat die Auffassung vertreten, es sei die gesetzliche Erbfolge eingetreten; die Verfügungen im Testament seien lediglich als Vermächtnisse anzusehen.

Die...

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