Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertraulichkeit des Wortes. Strafrecht. Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes bei Äußerungen von Polizeibeamten in belebter Umgebung

 

Leitsatz (amtlich)

Wendet sich ein Polizeibeamter oder eine Polizeibeamtin bei einer Versammlung unter freiem Himmel an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis, sind seine bzw. ihre hierbei gesprochenen Worte öffentlich, weil nach den objektiv gegebenen Umständen nicht sichergestellt werden kann, dass die Äußerung nicht durch umstehende Teilnehmer oder Passanten wahrgenommen wird.

 

Normenkette

StGB § 201 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Stade (Aktenzeichen 900 Ns 60/22)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Cuxhaven hat den Angeklagten am 1. November 2022 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tatmehrheit mit Beleidigung in zwei Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Auf die Berufung des Angeklagten hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Urteil das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und neu gefasst; sie hat gegen den Angeklagten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes und wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen jeweils Freiheitsstrafen von drei Monaten verhängt und daraus unter Einbeziehung von Geldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Cuxhaven vom 9. Juni 2022 und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Cuxhaven vom 30. Dezember 2021 eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten gebildet, deren Vollstreckung sie zur Bewährung ausgesetzt hat. Darüber hinaus hat das Landgericht ihn wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Cuxhaven vom 21. April 2022 zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 10 € verurteilt und ihm diesbezüglich Ratenzahlung nachgelassen.

Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

Am 18. April 2021 lief der Angeklagte mit aktivierter Videofunktion an seinem Handy durch die Innenstadt von C. Dabei traf er auf KHK H.; da dieser zwar im Dienst, jedoch zivil gekleidet war, hielt der Angeklagte ihn für einen Journalisten. Der Angeklagte suchte das Gespräch mit KHK H., wobei er dessen Frage, ob der Angeklagte das Gespräch aufzeichne, wahrheitswidrig verneinte. Tatsächlich filmte der Angeklagte den Boden und nahm den Ton auf. Später überspielte er die Datei von dem Handy auf sein Notebook, wo sie im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung entdeckt wurde. KHK H. hat Strafantrag gestellt.

Am 14. Dezember 2021 begab sich der Angeklagte zu einer familiengerichtlichen Anhörung betreffend seinen Sohn zum Amtsgericht Cuxhaven. Aufgrund der dort geltenden 3-G-Regelung - welche er nicht erfüllte - wurde ihm jedoch der Zugang verwehrt. Auf den Vorschlag des Wachtmeisters S., noch einen Test zu absolvieren, ging er nicht ein, sondern echauffierte sich und rief u.a. "Schweine! Kackdemokratie!" Dann machte er in Richtung der Sicherheitsscheibe und der dort anwesenden Wachtmeister den Hitlergruß und rief laut "Heil Hitler!", bevor er das Gebäude verließ.

Am 16. Februar 2022 fand in der Wohnung des Angeklagten eine polizeiliche Durchsuchung zur Vollstreckung eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Göttingen (Az. 35 Gs 801 Js 2843/22) statt. Diese wurde von PKin S., KOK G., POKin G. und KHK H. durchgeführt. Unmittelbar nach dem Öffnen der Tür betitelte der Angeklagte diese als "Arschlöcher". KHK Hoppmann nannte er im weiteren Verlauf zudem "Wichser", um diesen in seiner Ehre herabzuwürdigen. Zudem sagte er zu diesem in bedrohlicher Art und Weise: "Bei Dir gehen bald die Lichter aus!", um ihn mit der Begehung eines Tötungsdelikts zu bedrohen. Alle Polizeibeamten haben Strafantrag gestellt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der ausgeführten Sachrüge.

II.

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache - jedenfalls vorläufig - Erfolg.

1. Im Hinblick auf das Tatgeschehen am 18. April 2021 wird die Annahme, der Angeklagte habe sich durch das festgestellte Verhalten wegen Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB strafbar gemacht, von den dazu getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Nichtöffentlich im Sinne der Vorschrift ist das gesprochene Wort, wenn es weder für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten noch für einen bestimmten, aber innerlich nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis ohne weiteres wahrnehmbar ist (vgl. Graf/Jäger/Wittig/Valerius, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 201 StGB Rn. 7; NK...

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