Entscheidungsstichwort (Thema)

Umdeutung einer "Rechtsbeschwerde" in Berufung oder Revision

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird die Anklage unter dem Gesichtspunkt einer Straftat unverändert zugelassen, behält das Verfahren seinen Charakter als Strafverfahren auch dann bei, wenn sich im Laufe des weiteren Verfahrens herausstellt, dass bei prozessualer Tatidentität 'nur' eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (Anschluss an BGHSt 35, 290 ff. = DAR 1988, 314 ff. = NStZ 1988, 465 f.).

2. Eine gegen eine solche Verurteilung erhobene "Rechtsbeschwerde" ist demgemäß nach § 300 StPO regelmäßig als Berufung umzudeuten und die Entscheidung über das strafprozessuale Rechtsmittel gegebenenfalls an das hierfür zuständige Gericht abzugeben.

3. Wird die "Rechtsbeschwerde" in einem solchen Fall ausschließlich damit begründet, dass einer Ahndung der Ordnungswidrigkeit das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegen stehe, kommt ausnahmsweise eine Umdeutung des Rechtsmittels als (Sprung-) Revision in Betracht.

 

Normenkette

StPO §§ 300, 313 Abs. 3, § 348

 

Tatbestand

Nach Anklageerhebung wegen einer im Straßenverkehr begangenen Nötigung hat das AG das Hauptverfahren antragsgemäß eröffnet, den Angekl. aber nur wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 23 Abs. 1a, 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO, 24 StVG ("Handyverstoß") zu einer Geldbuße von 80 € verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Angekl. binnen Wochenfrist "Rechtsbeschwerde" ein, die er innerhalb der Frist des § 345 I StPO formgerecht wie folgt begründete:

"Ich rüge die Verletzung materiellen Rechts. Das AG hat den Angekl. wegen vorsätzlichen Aufnehmens eines Mobiltelefons verurteilt; angeklagt war er wegen Nötigung. [...] Zu Unrecht meint das AG, dass die ursprünglich nicht in Betracht gezogene Ordnungswidrigkeit nicht der Verjährung unterliege. Die Tat sei am 10.08.2011 begangen worden. Die Verjährung sei durch die spätestens am 09.09.2012 erfolgte Anhörung des Beschuldigten unterbrochen worden. Die nächste Unterbrechung der Verjährung sei durch die Anklageschrift vom 28.10.2011, die die gleiche prozessuale Tat betreffe, bewirkt worden. Weitere Unterbrechungen seien durch Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen erfolgt. Da zwischen den einzelnen Unterbrechungshandlungen weniger als 3 Monate bzw. 6 Monate lägen, sei Verjährung nicht eingetreten. Zwar umfasst der Begriff der Tat i.S.v. § 264 StPO innerhalb eines einheitlichen Geschehens auch die Vorgänge, die den Tatbestand einer OWi erfüllen können, jedoch setzt dies voraus, dass das tatsächliche Geschehen in der Anklage dargestellt ist und damit eine rechtliche Wertung erlaubt. Es darf nicht das der Anklage zugrunde liegende Geschehen vollständig verlassen und durch ein anderes ersetzt werden. Vorliegend geht es um zwei voneinander trennbare Geschehensabläufe, nämlich mehrfaches Abbremsen in Nötigungsabsicht des Hintermanns und Entgegennahme eines Telefonats. Zum Zeitpunkt des Geständnisses war die OWi bereits verjährt. In jedem Fall hätte der Angekl. freigesprochen werden müssen."

Das Rechtsmittel führte zur Abgabe des Verfahrens durch den befassten Rechtsbeschwerdesenat an das zur Entscheidung über die tatsächlich gegebene Revision berufene OLG.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel des Angekl. ist als Revision anzusehen und durchzuführen.

1.

Gegen das Urteil des AG ist nicht das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79, 80 OWiG gegeben, seine Anfechtung bestimmt sich vielmehr ausschließlich nach strafprozessualen Vorschriften. Nach allgemeiner Meinung ist als Rechtsmittel gegen das Urteil im Strafverfahren die Berufung oder (Sprung-) Revision auch dann zulässig, wenn gegen den Angekl. lediglich wegen einer Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße verhängt worden ist. Hiervon geht auch § 313 III StPO aus (KK/Wache OWiG 3. Aufl. § 82 Rn. 21; Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 82 Rn. 25 m.w.N.). Wird die Anklage unter dem Gesichtspunkt einer Straftat unverändert zugelassen, behält das Verfahren seinen Charakter als Strafverfahren auch dann bei, wenn sich im Laufe des weiteren Verfahrens herausstellt, dass bei prozessualer Tatidentität 'nur' eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt (BGHSt 35, 290 ff. = DAR 1988, 314 ff. = NStZ 1988, 465 f.).

2.

Dass das Rechtsmittel als "Rechtsbeschwerde" bezeichnet worden ist, macht es nicht unzulässig; vielmehr ist es gemäß § 300 StPO in das zulässige Rechtsmittel umzudeuten und zwar in der Weise, dass der erstrebte Zweck möglichst erreichbar ist; im Zweifel gilt das Rechtsmittel als eingelegt, das die umfassendere Nachprüfung erlaubt (Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 300 Rn. 3). Danach ist ein als "Rechtsbeschwerde" bezeichnetes Rechtsmittel in aller Regel als Berufung zu behandeln. Trifft der Angekl. nämlich unter den zulässigen Rechtsmitteln der Berufung und der Revision keine Wahl, so sieht das Gesetz in erster Linie das Rechtsmittel der Berufung vor; ein nicht näher bezeichnetes Rechtsmittel ist damit als Berufung zu behandeln (Meyer-Goßner § 33...

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