Entscheidungsstichwort (Thema)

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Rahmenbeschluss 2002/584/JI. Europäischer Haftbefehl und Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Grundsatz der Spezialität. Ersuchen um Ausweitung des Europäischen Haftbefehls, der der Übergabe zugrunde lag, oder Beantragung einer weiteren Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat. Zustimmende Entscheidung des Gerichts des Vollstreckungsmitgliedstaats. Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung. Zulässigkeit

 

Beteiligte

Jeremy F

Premier ministre

 

Tenor

Art. 27 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, einen Rechtsbehelf vorzusehen, mit dem der Vollzug der Entscheidung der Justizbehörde ausgesetzt wird, die binnen 30 Tagen nach Eingang des Ersuchens ergeht, um ihre Zustimmung dazu zu erteilen, dass eine Person wegen einer anderen vor der Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls begangenen strafbaren Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung in Haft gehalten wird, oder dazu, dass eine Person einem anderen Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, dem eine vor der genannten Übergabe begangene strafbare Handlung zugrunde liegt, übergeben wird, soweit die endgültige Entscheidung unter Einhaltung der nach Art. 17 des Rahmenbeschlusses vorgesehenen Fristen erlassen wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil constitutionnel (Frankreich) mit Entscheidung vom 4. April 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 9. April 2013, in dem Verfahren

Jeremy F.

gegen

Premier ministre

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und J. L. da Cruz Vilaça,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn F., vertreten durch C. Waquet, avocate,
  • der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, B. Beaupère-Manokha und G. de Bergues als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Kemper und T. Henze als Bevollmächtigte,
  • der irischen Regierung, vertreten durch E. Regan als Bevollmächtigten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Schillemans als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Bogensberger und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 27 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190, S. 1) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer von der Cour de cassation (Frankreich) aufgeworfenen vorrangigen Frage der Verfassungsmäßigkeit anlässlich eines von Herrn F. eingelegten Rechtsbehelfs gegen das Urteil der Chambre de l'instruction der Cour d'appel de Bordeaux (Frankreich) vom 15. Januar 2013, mit dem einem Ersuchen eines Gerichts des Vereinigten Königreichs zugestimmt wurde, die Übergabe auf eine andere vor der Übergabe begangene Straftat auszuweiten als die, die dem ursprünglichen, vom Crown Court Maidstone (Strafgericht in Maidstone, Vereinigtes Königreich) gegen Herrn F. ausgestellten Europäischen Haftbefehl zugrunde lag.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Art. 5 („Recht auf Freiheit und Sicherheit”) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) bestimmt:

„(1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

f) rechtmäßige Festnahme oder rechtmäßige Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist.

(2) Jeder festgenommenen Person muss unverzüglich in einer ihr verständlichen Sprache mitgeteilt werden, welches die Gründe für ihre Festnahme sind und welche Beschuldigungen gegen sie erhoben werden.

(4) Jede Person, die festgenommen oder der die...

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