Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eigentumsrecht. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten. Einfrieren und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union. Nationale Regelung, die die Einziehung des zur Begehung von Zollschmuggel genutzten Vermögensgegenstands zugunsten des Staates vorsieht. Vermögensgegenstand, der einem gutgläubigen Dritten gehört

 

Normenkette

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 17; Richtlinie 2014/42/EU; Rahmenbeschluss 2005/212/JI; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47

 

Beteiligte

Okrazhna prokuratura – Haskovo und Apelativna prokuratura – Plovdiv

OM

 

Tenor

1. Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten ist im Licht von Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein für die Begehung eines schweren Schmuggels verwendetes Tatwerkzeug eingezogen werden kann, auch wenn es im Eigentum eines gutgläubigen Dritten steht.

2. Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2005/212 ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der im Rahmen eines Strafverfahrens ein Vermögensgegenstand, der einer anderen Person als derjenigen gehört, die die Straftat begangen hat, eingezogen werden kann, ohne dass die erstgenannte Person über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Apelativen sad – Plovdiv (Berufungsgericht Plovdiv, Bulgarien) mit Entscheidung vom 16. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Mai 2019, im Strafverfahren gegen

OM,

Beteiligte:

Okrazhna prokuratura – Haskovo,

Apelativna prokuratura – Plovdiv,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Okrazhna prokuratura – Haskovo, vertreten durch V. Radeva-Rancheva als Bevollmächtigte,
  • der Apelativna prokuratura – Plovdiv, vertreten durch I. Perpelov als Bevollmächtigten,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, S. Charitaki und A. Magrippi als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch Y. Marinova und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht in einem Strafverfahren gegen OM wegen der nach dessen Verurteilung wegen schweren Zollschmuggels erfolgten Einziehung eines einem gutgläubigen Dritten gehörenden Vermögensgegenstands, der zur Begehung dieser Straftat genutzt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rahmenbeschluss 2005/212/JI

Rz. 3

Der dritte Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (ABl. 2005, L 68, S. 49) lautet:

„Nach Nummer 50 Buchstabe b) des Wiener Aktionsplans soll spätestens fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags eine Verbesserung und erforderlichenfalls Annäherung der einzelstaatlichen Vorschriften über Beschlagnahmen und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten unter Berücksichtigung der Rechte Dritter, die gutgläubig gehandelt haben, erfolgen.”

Rz. 4

Art. 1 („Begriffsbestimmungen”) dritter und vierter Gedankenstrich des Rahmenbeschlusses lautet:

„Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck

  • ‚Tatwerkzeuge’ alle Gegenstände, die in irgendeiner Weise ganz oder teilweise zur Begehung einer oder mehrerer Straftaten verwendet werden oder verwendet werden sollen;
  • ‚Einziehung’ eine Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht im Anschluss an ein eine Straftat oder mehrere Straftaten betreffendes Verfahren angeordnet wurde und die zur endgültigen Einziehung von Vermögensgegenständen führt”.

Rz. 5

Art. 2 („Einziehung”) dieses Rahmenbeschlusses bestimmt:

„(1) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, ganz oder teilweise eingezogen werden können.

(2) In Verbindung mit Steuerstraftaten können die Mitgliedstaaten andere Verfahren als Strafverfahren anwenden, um den Tätern die Erträge aus der Straftat zu entziehen.”

Rz....

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt VerwalterPraxis Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge