Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Mehrwertsteuer. Recht auf Vorsteuerabzug. Steuerhinterziehung. Beweis. Sorgfaltspflicht des Steuerpflichtigen. Berücksichtigung der Verletzung nationaler Vorschriften über die Erbringung der fraglichen Dienstleistungen

 

Normenkette

Verfahrensordnung Art. 99; Richtlinie 2006/112/EG Art. 167-168, 178

 

Beteiligte

A.T.S. 2003

A.T.S. 2003 Vagyonvédelmi és Szolgáltató Zrt., „f.a.”

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága

 

Tenor

1. Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

ist dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Praxis entgegensteht, die darin besteht, die Entscheidung eines Steuerpflichtigen, eine wirtschaftliche Tätigkeit in der Form auszuüben, die ihm eine Senkung seiner wirtschaftlichen Kosten ermöglicht, als „bestimmungswidrige Rechtspraxis” zu werten und ihm aus diesem Grund das Recht auf Vorsteuerabzug zu versagen, wenn nicht feststeht, dass eine rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung vorliegt, die allein oder zumindest im Wesentlichen zu dem Zweck erfolgt, einen Steuervorteil zu erlangen, dessen Gewährung den Zielen der Richtlinie zuwiderliefe.

2. Die Richtlinie 2006/112

ist dahin auszulegen, dass

es mit ihr vereinbar ist, wenn die Steuerverwaltung einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der auf eine Dienstleistung entfallenden Mehrwertsteuer aufgrund von Feststellungen versagt, die sich auf Zeugenaussagen stützen, in Anbetracht deren die Steuerverwaltung das tatsächliche Erbringen der Dienstleistung in Frage gestellt hat oder der Auffassung war, dass sie in einen Mehrwertsteuerbetrug einbezogen war, wenn im ersten Fall der Steuerpflichtige nicht nachgewiesen hat, dass die Dienstleistung tatsächlich erbracht wurde, oder im zweiten Fall die Steuerverwaltung gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts nachgewiesen hat, dass der Steuerpflichtige einen Mehrwertsteuerbetrug begangen hat oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Abzugsrechts geltend gemachte Umsatz in einen solchen Betrug einbezogen war.

3. Die Richtlinie 2006/112

ist dahin auszulegen, dass

  • es mit ihr nicht vereinbar ist, wenn die Steuerverwaltung einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt, weil sie den Umstand, dass der Steuerpflichtige oder andere in der Dienstleistungskette vorgelagerte Akteure gegen nationale Vorschriften über die fraglichen Dienstleistungen verstoßen haben, als ausreichenden Beweis für das Vorliegen eines Mehrwertsteuerbetrugs ansieht, ohne dass ein Zusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Recht auf Vorsteuerabzug nachgewiesen ist;
  • ein solcher Verstoß aber, je nach den Umständen des Einzelfalls, neben anderen ein Indiz für das Vorliegen eines Mehrwertsteuerbetrugs sein und einen Beweis darstellen kann, der im Rahmen der umfassenden Beurteilung all dieser Umstände herangezogen werden kann, um nachzuweisen, dass der Steuerpflichtige der Urheber des Mehrwertsteuerbetrugs ist oder an ihm aktiv beteiligt war, oder um nachzuweisen, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Abzugsrechts geltend gemachte Umsatz in einen solchen Betrug einbezogen war;
  • es der Steuerbehörde obliegt, die Tatbestandsmerkmale des Mehrwertsteuerbetrugs zu bestimmen, den Nachweis betrügerischer Handlungen zu führen und nachzuweisen, dass der Steuerpflichtige Urheber des Betrugs ist oder aktiv an ihm beteiligt war oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Abzugsrechts geltend gemachte Umsatz in diesen Betrug einbezogen war;
  • diese Anforderung nicht notwendigerweise bedeutet, dass alle am Betrug beteiligten Akteure sowie deren jeweilige Handlungen anzugeben wären.

4. Die Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

ist dahin auszulegen, dass

es dem Steuerpflichtigen, der sein Recht auf Vorsteuerabzug ausüben möchte, grundsätzlich nicht obliegt, zu überprüfen, ob der Lieferer bzw. Leistende und die anderen vorgeschalteten Mitglieder der Dienstleistungskette die nationalen Vorschriften über die fraglichen Dienstleistungen sowie die anderen nationalen Vorschriften, die für ihre Tätigkeit gelten, eingehalten haben. Bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die auf einem Verstoß gegen diese Vorschriften beruhen und geeignet sind, beim Steuerpflichtigen zu dem Zeitpunkt, an dem er die Dienstleistung in Anspruch nimmt, den Verdacht aufkommen zu lassen, dass Unregelmäßigkeiten oder eine Steuerhinterziehung vorliegen, kann jedoch von dem Steuerpflichtigen verlangt werden, dass er eine erhöhte Sorgfalt an den Tag legt und die Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sicherzustellen, dass er sich mit seiner Inanspruchnahme nicht an einem Umsatz beteiligt, der in einen Mehrwertsteuerbetrug einbezogen ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvénysz...

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