Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 18.12.2001; Aktenzeichen VI ZR 401/00)

OLG Hamm (Urteil vom 20.09.2000; Aktenzeichen 3 U 211/99)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerden werden verbunden und nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Gründe

1. Gegenstand der Verfassungsbeschwerden sind zivilgerichtliche Entscheidungen, durch die Klagen auf Unterlassung und Entschädigung wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführer durch die Veröffentlichung des autobiographischen Romans „Pestalozzis Erben” abgewiesen wurden. Die Beschwerdeführer, die Lehrer sind oder waren, sehen sich durch die Darstellung bestimmter Lehrer in dem umstrittenen Roman, die Ähnlichkeiten zu ihnen aufwiesen, in ihrer Ehre verletzt.

2. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie haben in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die von dem Oberlandesgericht angestellte und von dem Bundesgerichtshof bestätigte Abwägung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführer mit der durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleisteten Kunstfreiheit des Autors des Romans ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Geraten Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit in Konflikt, so ist dem durch eine umfassende Abwägung Rechnung zu tragen, die alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hängt dabei sowohl davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, wie von der Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der Leser diesen Bezug herstellt.

Zu den Spezifika erzählender Kunstformen wie dem Roman gehört, dass sie zwar häufig an reales Geschehen anknüpfen, der Künstler dabei aber eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Das erfordert eine kunstspezifische Betrachtung zur Bestimmung des durch den Roman im jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser nahegelegten Wirklichkeitsbezugs. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das „Abbild” gegenüber dem „Urbild” durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der „Figur” objektiviert ist. Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, ist zunächst als Fiktion anzusehen, die keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Diese Vermutung der Fiktionalität gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind. Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht dabei eine Wechselbeziehung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2007 – 1 BvR 1783/05 –, Rn. 81 ff., www.bundesverfassungsgericht.de).

b) Nach diesen Maßstäben bestehen gegen die angegriffenen Entscheidungen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, die Passagen des Romans, in denen die Beschwerdeführer sich wiedererkennen, seien nicht als persönliche Abrechnungen gerade mit den Beschwerdeführern zu lesen. Die porträtierten Lehrer würden als Beispiele bestimmter Lehrertypen beschrieben, um Missstände und Merkwürdigkeiten des gymnasialen Schulbetriebs aufzuzeigen.

Mit dieser Interpretation der umstrittenen Romanteile hat das Oberlandesgericht der aus der Kunstfreiheit folgenden Vermutung der Fiktionalität eines literarischen Textes in nicht zu beanstandender Weise Rechnung getragen. In der Folge konnten die Gerichte den Konflikt von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht im vorliegenden Fall ohne Verfassungsverstoß zugunsten der Kunstfreiheit entscheiden.

Demgegenüber dringen die Beschwerdeführer nicht mit dem Argument durch, sie würden in dem Roman verzerrt und einseitig negativ dargestellt. Auf diese Weise machen sie dem Autor des Romans gerade die Fiktionalität seines Werks zum Vorwurf. Damit, dass die Beschwerdeführer erkennbar Vorbilder der Romanfiguren Zuche und Albers sind, ist noch nicht gesagt, dass der Roman seinem Leser nahelegt, alle Handlungen und Eigenschaften dieser Figuren den Beschwerdeführern zuzuschreiben (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 94). Für ein literarisches Werk, das an reale Geschehnisse anknüpft, ist vielmehr typischerweise kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt. Unter diesen Umständen verfehlte es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den negativen Zügen einer Romanfigur andererseits sähe (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 99).

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

 

Unterschriften

Papier, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem

 

Fundstellen

Haufe-Index 1979242

AfP 2008, 155

ZUM-RD 2008, 113

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