Hass-Posts gegen Renate Künast waren Beleidigung

Das BVerfG hat einer Verfassungsbeschwerde der Grünen-Politikerin Renate Künast stattgegeben. Die 2019 bei Facebook veröffentlichten Hasskommentare über Künast muss das KG Berlin neu bewerten. Im Ergebnis dürfte Facebook berechtigt und verpflichtet sein, die Namen der Urheber der Hasskommentare an Künast herauszugeben.

Sowohl das LG als auch das KG Berlin hatten sich mit der Bewertung der im Netz veröffentlichen Hasskommentare über die Politikerin Künast äußerst schwergetan. Erstinstanzlich hatte das LG Berlin die Bezeichnung Künast‘s als „Schlampe“, als „Stück Scheisse“, „Drecksau“ und „Pädophilen-Trulla“ als für eine in der Öffentlichkeit stehende Politikerin hinnehmbar bewertet.

Hasskommentare mit politischem Sachbezug?

Die Politikerin Künast hatte beim LG Berlin eine Bewilligung dafür beantragt, dass Facebook die personenbezogenen Daten der Urheber dieser Kommentare an sie herausgibt. Das LG Berlin gab der Klage nur in sechs Fällen statt und wies die Klage der Politikerin hinsichtlich weiterer 16 Postings ab. Das Gericht befand, der Großteil der beanstandeten Kommentare sei nicht als Formalbeleidigungen zu bewerten. Es bestehe ein erkennbarer sachlicher Zusammenhang mit einem missverständlichen Zwischenruf Künast‘s im Rahmen einer im Jahr 2015 im Bundestag aufkommenden Debatte über die Haltung der Grünen zur Pädophilie. 

Politiker müssen Respektlosigkeiten aushalten können

Im Berufungsverfahren vor dem KG erzielte die Politikerin dann einen weiteren Teilerfolg. Das KG verpflichtete Facebook in weiteren sechs Fällen zur Herausgabe der Urheberdaten. Auch nach Auffassung des KG muss eine in der Öffentlichkeit sehr präsente Politikerin Äußerungen wie „Gehirnamputiert“ und ähnliches aushalten können, auch wenn diese Äußerungen ethisch als respektlos und ungehörig zu bewerten seien.

BVerfG: Auch gegenüber Politikern ist nicht alles erlaubt

Auf die beim BVerfG gegen die Entscheidung des KG eingereichte Verfassungsbeschwerde der Politikerin belehrte das höchste deutsche Gericht die Instanzgerichte, dass auch bei einem feststellbaren sachlichen Bezug zu einer öffentlich geführten Debatte nicht alles erlaubt ist. Entgegen der Auffassung des KG müssten Politiker auch nicht alles aushalten, was über sie geäußert werde. 

Gerichte haben die Persönlichkeitsrechte Politikern zu schützen

Nach der Entscheidung des BVerfG besteht eine wesentliche Aufgabe der Justiz darin, die Persönlichkeitsrechte aller Bürger und damit auch die der Politiker zu schützen. Deshalb kämen die Instanzgerichte nicht umhin, in Fällen von Hasskommentaren 
•    jede einzelne Äußerung auf ihren Sinngehalt zu überprüfen und 
•    mit den Persönlichkeitsrechten des Äußerungsadressaten abzuwägen
Diese verfassungsmäßig gebotene Abwägung hätten die Instanzgerichte unterlassen.

Nur bei reiner Schmähkritik ist Abwägung entbehrlich

Im Fall reiner Schmähkritik, also einer Formalbeleidigung oder eines direkten Angriffs auf die Menschenwürde sei eine solche Abwägung ausnahmsweise entbehrlich, weil in diesen Fällen der Straftatbestand des § 185 StGB immer erfüllt sei. Liege eine solche Ausnahmekonstellation nicht vor, habe das Gericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls die gemäß Art. 5 GG geschützte Meinungsfreiheit des Urhebers der Äußerung gegen das gemäß Art. 1, 2 GG geschützte Persönlichkeitsrecht des Betroffenen sorgfältig abzuwägen.

Politiker müssen gegen übermäßigen „Hate Speech“ geschützt werden

Nach der Entscheidung des Senats ist bei der Gewichtung der Meinungsfreiheit das besondere Schutzbedürfnis der „Machtkritik zu berücksichtigen. Aus diesem Schutzbedürfnis heraus seien auch ins Persönliche gehende kritische und überspitzte Äußerungen gegenüber Politikern grundsätzlich erlaubt. Umgekehrt setze die Bereitschaft von Politikern zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft insbesondere unter den Verbreitungsbedingungen von Informationen in sozialen Netzwerken einen wirksamen Schutz der Persönlichkeitsrechte gegen unverhältnismäßigen „Hate-Speech“ voraus, der ausschließlich der öffentlichen Verächtlichmachung oder der Hetze diene. 

Persönlichkeitsrecht bisher nicht ausreichend berücksichtigt

Diesen Abwägungserfordernissen genügten die Entscheidungen der Fachgerichte im Fall Künast nach Auffassung des BVerfG nicht, insbesondere nicht die vom KG begründungslos aufgestellte These, Politiker müssten nahezu jeden Angriff im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, wenn nur ein irgendwie gearteter sachlicher Zusammenhang zu Äußerung des Politikers hergestellt werden könne.

Entscheidungen der Instanzgerichte aufgehoben

Im Ergebnis hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde der Grünen Politikerin mit diesen Erwägungen in vollem Umfang stattgegeben und die Entscheidungen der Instanzgerichte aufgehoben. Das KG wird sich nun erneut unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben des BVerfG mit der Klage auf Gestattung der Herausgabe der Urheberdaten befassen müssen. Im Ergebnis wird Facebook wohl gestattet werden, die noch fehlenden Daten der Urheber an die Grünen Politikerin herauszugeben.

(BVerfG, Beschluss v. 19.12.2021, 1 BvR 1073/20)

Hintergrund:

Im Fall Künast hatten die Instanzgerichte sich auch auf die bisherige Rechtsprechung des BVerfG berufen, das in der Vergangenheit den zulässigen Rahmen erlaubter persönlicher Kritik ziemlich weit gesteckt hat. Unzulässige Schmähkritik liegt nach einem älteren Beschluss des BVerfG nur dann vor, wenn die reine Diffamierung einer Person ohne jeden Sachbezug im Vordergrund der Äußerung steht (BVerfG, Beschluss v. 7.12.2011, 1 BvR 2678). 

Rahmen erlaubter Kritik war bisher sehr weit gezogen

So hat das BVerfG einen Post über den Grünen Politiker Volker Beck als „Obergauleiter der SA-Horden“ als eine zwar überspitzte, aber noch sachbezogene Kritik bewertet, die ein Politiker hinzunehmen habe (BVerfG Beschluss v. 8.2.2017, 1 BvR 2973/14). Gestützt auf diese Rechtsprechung hat das LG Hamburg die Bezeichnung der AfD-Politikerin Alice Weidel als „Nazischlampe“ in einer Satire-Sendung der ARD als zulässige satirische Überspitzung im Rahmen der Meinungs- und Kunstfreiheit bewertet (LG Hamburg, Beschluss v. 11.5.2017, 324 O 217/17). Auch die Äußerung einer Prozesspartei, die Verhandlungsführung einer Richterin erinnere an „nationalsozialistische Sondergerichte“ und an „mittelalterliche Hexenprozesse“ bewertete das BVGerfG als hinreichend sachbezogen und von der Meinungsfreiheit geschützten Kommentar (BVerfG, Beschluss v. 14.6.2019, 1 BvR 2433/17).

Rechtsgrundlage für Auskunftsersuchen

Rechtliche Grundlage eines Ersuchens gegenüber einem sozialen Netzwerk auf Auskunft der personenbezogenen Daten des Urhebers eines Postings ist § 21 Abs. 2, Abs. 3 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG). Diese Vorschrift hat die zum Zeitpunkt des Herausgabeverlangens von Renate Künast noch einschlägige gesetzliche Vorschrift des § 14 Abs. 3 des Telemediengesetzes (TMG a.F.) abgelöst. 

Auskunft nur aufgrund gerichtlicher Gestattung

Nach beiden Gesetzen dürfen die Anbieter von Telemedien den von „Hate Speech“ Betroffenen Auskunft über vorhandene personenbezogene Bestandsdaten erteilen, soweit dies zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist. Voraussetzung ist ein gerichtlicher Antrag des Verletzten zur Einwirkung einer gerichtlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Auskunft.
 

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