Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zwecke der Vollstreckung der durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts in Krosno Oddrzanskie, IV. Außenstelle der Strafabteilung in Gubin, vom 10. September 2019 (Az. IV K 232/18) wegen einer Straftat gegen die Rechtspflege (Art. 233 § 1 des polnischen StGB) erkannten Freiheitsstrafe von acht Monaten wird für unzulässig erklärt.

 

Gründe

I.

Die polnischen Behörden ersuchen auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in Zielonka Gora vom 25. April 2023 (Az. II Kop 39/23) um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von acht Monaten aus dem im Beschlusstenor genannten Urteil wegen einer Straftat gegen die (polnische) Rechtspflege. Nach der Darstellung in dem Europäischen Haftbefehl und der ergänzenden Auskunft der polnischen Behörden liegt dem Urteil folgender Sachverhalt zugrunde:

"Der Verfolgte sagte am 12. Juni 2017 in der Polizeidienststelle in Gubin als Zeuge aus. Seine Aussage sollte dem Beweis in der von der Staatsanwaltschaft in Krosno Odrzanskie geführten Strafsache PR 2 Ds. 407.2017 dienen. Obwohl er auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit für eine Falschaussage hingewiesen wurde, sagte er falsch aus, dass er am 22. Mai 2017 ein Telefongespräch mit E... J... S... geführt und dabei seine Genehmigung sowohl für das Betreten der Wohnung von E... J... S... durch G... S... als auch für die Wegnahme der sich dort befindlichen Gegenstände erhalten habe."

Nach Art. 233 § 1 und § 2 des polnischen Strafgesetzbuches macht sich ein Zeuge wegen "Falschaussage" oder "Unterdrückung der Wahrheit" strafbar, wenn er in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegenüber einem Polizeibeamten falsch aussagt und dieser ihn zuvor auf die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen (falschen) Aussage hingewiesen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass die Auslieferung des Verfolgten nicht zulässig sei, denn es fehle an dem in § 3 Abs. 1 IRG normierten Grundsatz der "beiderseitigen Strafbarkeit". Sie beantragt daher, die Auslieferung des Verfolgten wegen der Vollstreckung der in Rede stehenden Freiheitsstrafe von acht Monaten für unzulässig zu erklären und ihre beabsichtigte Entschließung, die Bewilligung der Auslieferung zu versagen, gerichtlich zu bestätigen.

II.

Der Senat entscheidet antragsgemäß.

1. Die Überstellung des Verfolgten an die polnischen Behörden ist gemäß § 81 IRG i. V. m. § 3 Abs. 1 IRG unzulässig, denn der in diesen Regelungen im Auslieferungsverkehr mit Polen als einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß §§ 1 Abs. 4, 78 IRG Anwendung findende Grundsatz der "beiderseitigen Strafbarkeit" als Voraussetzung für eine Auslieferung ist nicht erfüllt.

"Beiderseitige Strafbarkeit" im Sinne des § 3 Abs. 1 IRG bedeutet, dass das in den Auslieferungsunterlagen mitgeteilte Verhalten des Verfolgten auch nach deutschem Recht eine rechtswidrige Tat wäre, die den Tatbestand eines deutschen Strafgesetzes verwirklichte. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine Strafbarkeit gemäß § 153 StGB (falsche uneidliche Aussage) scheidet aus, weil die deutsche Polizei gemäß § 161a Abs. 1 Satz 3 StPO keine zur eidlichen Vernehmung zuständige Stelle ist. Mithin erfüllt eine Falschaussage eines Zeugen vor der ihn vernehmenden Polizei in Deutschland als dem ersuchten Staat nicht den Tatbestand des § 153 StGB

Auch bei der nach § 3 Abs. 1 IRG vorzunehmenden Prüfung der dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Tat "bei sinngemäßer Umstellung" des Sachverhalts ist die an die Zulässigkeit der Auslieferung geknüpfte Voraussetzung der "beiderseitigen Strafbarkeit" nicht erfüllt. Der im Ausland verwirklichte Sachverhalt muss dazu so gedacht werden, als habe sich die Tat in Deutschland ereignet, als sei der Täter deutscher Staatsangehöriger und als seien an dem Vorgang deutsche Institutionen beteiligt (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 5. April 2018 - 1 Ausl (A) 18/18 (20/18), BeckRS 2018, 4762, Rn. 21; Schierholt in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 3 IRG Rn. 7 und 8; Kubiciel in Ambros/König/Rackow, Rechtshilfe in Strafsachen, 2. Aufl., § 3 IRG Rn. 26). Da Prüfungsmaßstab in diesem Zusammenhang insoweit das deutsche Strafrecht ist und die in Rede stehende Tat auch bei "sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts" den objektiven und subjektiven Tatbestand einer deutschen Strafvorschrift erfüllen muss (vgl. Schierholt, a. a. O., Rn. 5 und Rn. 7; Kubriciel, a. a. O.), kommt es mit Blick auf den Tatbestand der falschen uneidlichen Aussage gemäß § 153 StGB darauf an, ob diejenige Stelle, vor der die Aussage unmittelbar geleistet worden ist (vgl. Fischer, StGB, 70. Aufl., § 153 Rn. 8) zur "eidlichen Vernehmung" zuständig war, mithin die (gesetzliche) Befugnis zur Vereidigung von Zeugen besaß (vgl. OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 13. November 1985 und 27. Dezember 1985 - 1 AK 40/85, MDR 1986, 520 f.). Eben diese Befugnis besitzt die Polizei in Polen nicht, denn Art. 187 § 1 ...

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