Entscheidungsstichwort (Thema)

Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht. pflichtgemäße Ermessensausübung. Antrag auf Aufhebung oder Zurückverweisung einer Partei erforderlich. Verjährung. Würdigung des Sachverhalts Tatrichter vorbehalten

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der vor einer Zurückverweisung der Sache durch das Berufungsgericht an das Gericht des ersten Rechtszuges nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO erforderlichen Ermessensausübung sind der Umstand, dass die Sache bereits einmal an das LG zurückverwiesen worden war, und die damit einhergehende Verzögerung des Rechtsstreits gebührend zu berücksichtigen.

 

Normenkette

ZPO § 538 Abs. 2; BGB §§ 199 ff.

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 05.05.2009; Aktenzeichen 5 U 4547/08)

LG München I (Urteil vom 10.06.2008; Aktenzeichen 20 O 25582/05)

 

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten und die Anschlussrevisionen der Kläger zu 2), 3), 5) bis 7), 10), 11), 13) und 14) wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG München vom 5.5.2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Kläger machen gegen die beklagte Aktiengesellschaft und ihre beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder Schadensersatzansprüche wegen unrichtiger Ad-hoc-Mitteilungen geltend. Das LG hatte die Klage wegen Verjährung abgewiesen und dazu ausgeführt, die am 31.12.2005 eingereichte Klage sei nicht demnächst i.S.d. § 167 ZPO zugestellt worden und habe daher die an diesem Tag ablaufende Verjährungsfrist nicht gehemmt. Mit Urteil vom 4.12.2007 (OLG München ZIP 2008, 1479) hat das Berufungsgericht das Urteil des LG aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Zustellung demnächst erfolgt. Die Entscheidung erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Insbesondere könne für den Beginn der Verjährung nicht auf die Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und 3) im Oktober 2001 abgestellt werden. Die Verjährung habe vielmehr erst mit der Eröffnung des Hauptverfahrens im Jahr 2002 begonnen und sei daher durch die Klageeinreichung am 31.12.2005 gehemmt worden.

Rz. 2

Das LG hat die Klage erneut wegen Verjährung abgewiesen und dabei angenommen, dass die Verjährungsfrist mit der Anklageerhebung im Oktober 2001 begonnen habe und damit Ende 2004 abgelaufen sei. Das Berufungsgericht (BeckRS 2009, 19407) hat das landgerichtliche Urteil nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen Missachtung seiner Rechtsauffassung (§ 563 Abs. 2 ZPO analog) nochmals aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Hiergegen richten sich die vom Senat zugelassenen Revisionen der Beklagten und die Anschlussrevisionen der Kläger zu 2), 3), 5) bis 7), 10), 11), 13) und 14).

 

Entscheidungsgründe

Rz. 3

Die Rechtsmittel haben Erfolg und führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Rz. 4

I. Die Revisionen und die Anschlussrevisionen sind zulässig. Da die Parteien eine abschließende Sachentscheidung des Berufungsgerichts begehrt hatten, sind sie durch die Zurückverweisung der Sache an das LG beschwert und können das Berufungsurteil deshalb mit ihren Rechtsmitteln zur Überprüfung stellen (vgl. BGH, Urt. v. 22.6.2004 - XI ZR 90/03, ZIP 2004, 1742 [1745]; Urt. v. 1.2.2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rz. 10).

Rz. 5

II. Die Revisionen und die Anschlussrevisionen haben Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Sache verfahrensfehlerhaft gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das LG zurückverwiesen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt. Schon wegen dieses Verfahrensfehlers ist das angefochtene Urteil aufzuheben (vgl. BGH, Urt. v. 21.3.1968 - VII ZR 84/67, BGHZ 50, 25 [26]).

Rz. 6

1. Das Berufungsgericht war nicht nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO berechtigt, von einer eigenen Entscheidung in der Sache abzusehen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 5.5.2009 haben die Parteien ihre schriftsätzlich angekündigten Sachanträge gestellt. Keine der Parteien hat - auch nicht hilfsweise - eine aufhebende und zurückverweisende Entscheidung des Berufungsgerichts beantragt. Ein solcher Antrag ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 538 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO aber erforderlich (BGH, Urt. v. 22.6.2004 - XI ZR 90/03, ZIP 2004, 1742 [1745 m.w.N.]).

Rz. 7

2. Unabhängig davon hat das Berufungsgericht die bei der Anwendung des § 538 Abs. 2 ZPO notwendige Ermessensausübung nicht dargelegt, was ebenfalls zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt. Verweist das Berufungsgericht den Rechtsstreit wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers zurück, müssen seine Ausführungen erkennen lassen, dass es das ihm in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO eingeräumte Ermessen, eine eigene Sachentscheidung zu treffen oder ausnahmsweise den Rechtsstreit an das Erstgericht zurückzuverweisen, pflichtgemäß ausgeübt hat (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 10.3.2005 - VII ZR 220/03, NJW-RR 2005, 928; Urt. v. 1.2.2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rz. 16). Das Berufungsgericht hat weder in Erwägung gezogen, dass eine Zurückverweisung der Sache in aller Regel zu einer Verteuerung und Verzögerung des Rechtsstreits führt, was den schützenswerten Interessen der Parteien entgegenstehen kann, noch hat es nachprüfbar dargelegt, dass eine aus seiner Sicht durchzuführende Beweisaufnahme so aufwendig und umfangreich ist, dass eine Zurückverweisung an das LG ausnahmsweise gerechtfertigt erscheint (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.2010 - II ZR 209/08, ZIP 2010, 776 Rz. 16; Urt. v. 22.9.2006 - V ZR 239/05, NJW-RR 2006, 1677 Rz. 14). Gerade der Umstand, dass die Sache bereits einmal an das LG zurückverwiesen worden war, hätte im Rahmen der erforderlichen Abwägung berücksichtigt werden müssen. Das Berufungsgericht ist demgegenüber erkennbar von einem Automatismus ausgegangen.

Rz. 8

III. Dem Senat ist eine eigene Sachentscheidung verwehrt. Die Frage, ob die Klageansprüche verjährt sind, hängt nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB davon ab, ob die Kläger schon zum Zeitpunkt der Anklageerhebung im Oktober 2001 oder erst zum Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Beklagten zu 2) und 3) im Mai 2002 Kenntnis von den die Ansprüche begründenden Umständen und den Personen der Schuldner erlangten hatten oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen. Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine Würdigung des Sachverhalts, die dem Tatrichter vorbehalten ist und vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden kann (BGH, Urt. v. 23.6.2009 - XI ZR 171/08, BKR 2009, 372 Rz. 13; Urt. v. 23.9.2008 - XI ZR 262/07, ZIP 2008, 2164 Rz. 17). Die dafür erforderlichen Feststellungen und diese Würdigung wird das Berufungsgericht in der wiedereröffneten mündlichen Verhandlung nachzuholen haben. Es ist dabei nicht entsprechend § 563 Abs. 2 ZPO an seine Ansicht gebunden, die Verjährungsfrist habe erst mit der Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Beklagten zu 2) und 3) im Jahr 2002 begonnen. Denn dabei handelt es sich nicht um eine Rechtsansicht, sondern um die wertende Beurteilung tatsächlicher Feststellungen. Jedenfalls wäre eine Bindungswirkung des Berufungsgerichts an seine Ansicht, für den Beginn des Laufs der Verjährung könne nicht auf die Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und 3) im Oktober 2001 und die damit einhergehende umfangreiche Presseberichterstattung abgestellt werden, durch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 22.9.2008 (II ZR 235/07, DStR 2008, 2228) entfallen (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 6.2.1973 - GmS-OGB 1/72, BGHZ 60, 392 [397 f.]).

 

Fundstellen

BB 2011, 2049

NJW 2011, 8

EBE/BGH 2011

NJW-RR 2011, 1365

JurBüro 2011, 670

NZG 2011, 996

WM 2011, 1631

ZAP 2011, 1189

ZIP 2011, 2176

BtPrax 2011, 274

MDR 2011, 1251

PA 2011, 184

Mitt. 2012, 46

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