Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf Streitpatent. Rechtsbeschwerdegrund § 100 Abs. 3 PatG. Widerrechtliche Entnahme. Unterlassene Entscheidung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Bereits die unterlassene Entscheidung über den geltend gemachten Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme begründet die Beschwer des Rechtsbeschwerdeführers.

b) Die Prüfung der sachlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung wird durch den Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG nicht eröffnet.

 

Normenkette

PatG § 100 Abs. 3 Nr. 3, § 101 Abs. 2

 

Verfahrensgang

BPatG (Beschluss vom 12.05.2005; Aktenzeichen 8 W (pat) 332/02)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 11.02.2008; Aktenzeichen 1 BvR 2702/07)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des BPatG vom 12.5.2005 wird auf Kosten des Rechtsbeschwerdeführers zurückgewiesen.

Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf 75.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

[1] I. Gegen das am 6.11.1998 angemeldete deutsche Patent 198 51 320 (Streitpatent), das eine "Angussvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge" betrifft und acht Patentansprüche umfasst, haben die beiden Einsprechenden getrennte Einsprüche eingelegt. Der Einsprechende zu 1 und jetzige Rechtsbeschwerdeführer hat sich dabei auch auf den Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme gestützt, während die Einsprechende zu 2 nur andere Widerrufsgründe geltend gemacht hat. In dem vor dem BPatG geführten Einspruchsverfahren (§ 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30.6.1996 geltenden Fassung) hat der Einsprechende zu 1 zuletzt beantragt, das Patent aufgrund widerrechtlicher Entnahme auf ihn zu übertragen.

[2] Das BPatG hat das Streitpatent widerrufen. Dieses ist im weiteren Verlauf infolge der Nichtzahlung einer fälligen Jahresgebühr erloschen.

[3] Mit seiner vom BPatG nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde macht der Einsprechende zu 1 geltend, dass der angefochtene Beschluss seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletze und nicht mit Gründen versehen sei.

[4] II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, da mit ihr die Rechtsbeschwerdegründe des § 100 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 6 PatG geltend gemacht werden (§ 147 Abs. 3 Satz 5 PatG in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung) und auch im Übrigen zulässig. Das Erlöschen des Streitpatents hat daran nichts geändert und insb. nicht zu der von der Einsprechenden zu 2 angenommenen Erledigung der Hauptsache geführt (vgl. BPatG v. 31.8.1983 - 10 W (pat) 20/81, BPatGE 26, 15). Der Rechtsbeschwerdeführer ist jedenfalls auch im Sinn einer formellen Beschwer durch die angefochtene Entscheidung beschwert, weil er erreichen wollte, dass ihm das Nachanmelderecht nach § 7 Abs. 2 zur Seite steht. Dieses ist ihm dadurch genommen worden, dass der Widerruf des Streitpatents nicht auf den Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme gestützt worden ist. Dabei ist es ohne Belang, dass dem Begehren des Rechtsbeschwerdeführers in der zur Entscheidung gestellten Form nicht hätte entsprochen werden können, weil im Einspruchsverfahren nur über Widerruf oder Aufrechterhaltung des Patents zu entscheiden ist (§ 61 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung). Bereits die unterlassene Entscheidung über den geltend gemachten Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme begründet die Beschwer (vgl. BPatGE 9, 196, 199; Benkard/Schäfers, PatG, 10. Aufl. 2006, § 61 PatG Rz. 12; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl. 2003, § 73 PatG Rz. 63, 71; Schulte, PatG, 5. Aufl. 2005, § 61 PatG Rz. 40).

[5] 2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet, weil die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht vorliegen.

[6] (1) Verletzung des rechtlichen Gehörs:

[7] Das BPatG hat ausgeführt, Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung stelle eine unzulässige Erweiterung ggü. der ursprünglichen Offenbarung dar. Der Gegenstand des deshalb insoweit mit einem Disclaimer zu versehenden Patentanspruchs beruhe ggü. dem Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag sei unzulässig, denn die Ersetzung eines (engeren) unzulässigen Begriffs durch einen weiteren erweitere den Schutzbereich des Patents. Auf die geltend gemachte widerrechtliche Entnahme komme es bei dieser Sachlage nicht mehr an.

[8] Der Rechtsbeschwerdeführer sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das BPatG über das von ihm zuletzt allein noch verfolgte Rechtsschutzziel nicht befunden habe.

[9] Damit kann er keinen Erfolg haben.

[10] Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten nicht äußern konnten (Senat, Beschl. v. 11.6.2002 - X ZB 27/01, BGH v. 11.6.2002 - X ZB 27/01, GRUR 2002, 957 - Zahnstruktur m.w.N.).

[11] Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn im Einzelfall deutlich wird, dass Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG v. 22.11.1983 - 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293, 295; 70, 288, 293; 86, 133, 145; st.Rspr.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, ohne dass es verpflichtet wäre, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Geht das Gericht indessen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von besonderer Bedeutung ist, nicht ein, so lässt dies auf eine Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 146; 96, 205, 216; Senat, Beschl. v. 27.6.2007 - X ZB 6/05 - Informationsübermittlungsverfahren II, für BGHZ vorgesehen).

[12] Hiernach kann die Rechtsbeschwerde ihre Rüge nicht mit Erfolg darauf stützen, dass das Patentgericht den Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme nicht beschieden hat. Da im Einspruchsverfahren nur darüber zu entscheiden ist, ob und ggf. in welchem Umfang das Patent zu widerrufen ist, reichte es für die Entscheidung des BPatG aus, sich auf einen der nach der gesetzlichen Regelung nicht in einem besonderen Rangverhältnis stehenden Widerrufsgründe zu stützen. Das Patentgericht hat sich auch mit der widerrechtlichen Entnahme insoweit befasst, als es diese als nicht mehr entscheidungserheblich angesehen hat. Schutzunfähiges könne nämlich nicht entnommen werden. Die Verneinung der Patentfähigkeit nach §§ 1 ff. PatG rechtfertigte aus seiner Sicht bereits den Widerruf des Streitpatents als die im Einspruchsverfahren vorgesehene Rechtsfolge des erfolgreichen Einspruchs. Damit hat sich das Patentgericht mit der geltend gemachten widerrechtlichen Entnahme in willkürfreier Weise befasst (vgl. BGH, Beschl. v. 22.3.2003 - I ZB 21/02, im Druck nicht veröffentlicht). Dass es diese im Ergebnis als nicht erheblich angesehen hat, betrifft allein die sachliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Deren Prüfung wird jedoch auch durch den Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG nicht eröffnet (so schon Senat, Beschl. v. 14.3.2006 - X ZB 28/04, Umdr. S. 9 f., im Druck nicht veröffentlicht).

[13] Ob eine widerrechtliche Entnahme die Schutzfähigkeit des Entnahmegegenstands voraussetzt, wie dies die ältere Rechtsprechung des BGH angenommen hat (soweit ersichtlich zuletzt im Urt. v. 13.7.1965 - Ia ZR 45/64, unveröffentlicht) oder ob es - wie dies in der Literatur inzwischen ganz überwiegend vertreten wird (vgl. Benkard/Rogge, a.a.O., § 21 PatG Rz. 23; Busse/Schwendy, a.a.O., § 21 PatG Rz. 76; Schulte, a.a.O., § 21 PatG Rz. 47; a.A. für den Einspruchsgrund Mes, PatG, 2. Aufl. 2005, § 12 PatG Rz. 34; BPatG, Beschl. v. 28.11.2000 - 8 W (pat) 135/97, Mitt. 2001, 389 Ls. und die angefochtene Entscheidung) und der Senat bereits wiederholt für den Abtretungsanspruch nach § 8 PatG entschieden hat (vgl. Senat, Urt. v. 15.5.2001 - X ZR 227/99, BGH v. 15.5.2001 - X ZR 227/99, BGHReport 2001, 649 = GRUR 2001, 823, 825 - Schleppfahrzeug, m.w.N.) - hierauf nicht ankommt, bedarf deshalb im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, wird als nicht liquide Rechtsfrage für das Patentgericht aber aufgrund der kontroversen Beurteilung bei sich bietender Gelegenheit schon unter dem Gesichtspunkt, dass § 100 Abs. 2 PatG den Grundsatz des gesetzlichen Richters verwirklicht (vgl. Kraßer, Patentrecht, 4. Aufl. 2004, S. 459; Benkard/Rogge, a.a.O., § 100 PatG Rz. 14; Busse/Keukenschrijver, a.a.O., § 100 PatG Rz. 12; zur Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften BVerfG v. 31.5.1990 - 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159, 192 = CR 1991, 44; BGH, Beschl. v. 2.10.2002 - I ZB 27/00, BGHReport 2003, 517 = GRUR 2003, 546 - TURBO-TABS), Grundlage für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sein müssen, wenn sich die Frage in entscheidungserheblicher Weise in einem der Rechtsbeschwerde zugänglichen Verfahren stellt.

[14] Ob darüber hinaus eine Verpflichtung besteht, eine geltend gemachte widerrechtliche Entnahme zu bescheiden, hat der Senat bisher nicht entschieden und lässt er weiter offen, denn auch dies betrifft die materielle Ausgestaltung der Regelungen über die widerrechtliche Entnahme und das Nachanmelderecht und damit keine Fragen, die im Verfahren über die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde geklärt werden können. Für eine solche Verpflichtung könnte zwar sprechen, dass dem Verletzten mit dem Widerruf aufgrund widerrechtlicher Entnahme das zeitrangbegünstigte Nachanmelderecht des § 7 Abs. 2 PatG und damit möglicherweise eine subjektive Rechtsposition zusteht; es wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass dies nur einen Rechtsreflex darstelle (Busse/Keukenschrijver, a.a.O., § 7 PatG Rz. 9; vgl. Schulte/Kühnen, a.a.O., § 7 PatG Rz. 11). Auch zu dieser Frage wird eine Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das BPatG bei sich bietendem Anlass zu erwägen sein.

[15] (2) Auch die Rüge, das BPatG habe seine Entscheidung nicht hinreichend mit Gründen versehen, ist unbegründet.

[16] Das Patentgericht hat den geltend gemachten Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme aus seiner Sicht als nicht entscheidungserheblich angesehen. Damit hat es sich mit diesem Angriffsmittel ausreichend auseinandergesetzt und ihn nicht etwa übergangen. Die sachliche Richtigkeit der gegebenen Begründung steht im Verfahren über die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde nicht zur Überprüfung (st.Rspr. seit BGHZ 39, 333, 338 - Warmpressen).

[17] Zu Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag hat das BPatG ausgeführt, dieser sei unzulässig erweitert. Dies ist eine ausreichende Begründung dafür, warum das Patent aus der Sicht des BPatG auch mit diesem Patentanspruch keinen Bestand haben konnte. Die Schaffung eines neuen Widerrufs- oder Nichtigkeitsgrunds im Einspruchsverfahren, nämlich des der unzulässigen Erweiterung, war ohne Weiteres unzulässig (vgl. nur BGH v. 23.1.1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 125 f. = MDR 1990, 622 - Spleißkammer; st.Rspr.). Im Übrigen ist nicht zu erkennen, dass der Rechtsbeschwerdeführer insoweit durch die Entscheidung des BPatG beschwert ist. Das nach Auffassung des Patentgerichts unzulässig eingefügte Merkmal ist nicht Gegenstand des mit dem Einspruch des Rechtsbeschwerdeführers angegriffenen Patents, für das von diesem die Entnahme geltend gemacht wird. In die Rechtssphäre des Rechtsbeschwerdeführers greift die angefochtene Entscheidung insoweit nicht ein.

[18] III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.

[19] Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1807410

BGHR 2008, 28

BlPMZ 2008, 16

EBE/BGH 2007

GRUR 2007, 996

BPatGE 2007, 294

CIPReport 2007, 86

Mitt. 2007, 501

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