Der Grundsatz, dass die Verkehrssicherungspflicht nur gegenüber befugten Personen besteht, wird allerdings in Ausnahmefällen durchbrochen, insbesondere wenn es um den Schutz von Kindern geht.[1] Der Sicherungspflichtige muss damit rechnen, dass Kinder aufgrund ihrer Unerfahrenheit und ihres Spieltriebs in Gefahrenbereiche gelangen, die ihnen gegenüber durch bloße Hinweisschilder ("Zutritt verboten!") oder leicht überwindbare Hindernisse nicht hinreichend gesichert sind.[2]

Ist dem Eigentümer bekannt, dass Kinder trotz solcher Verbote auf seinem Grundstück spielen, muss er für zusätzliche Sicherungen sorgen. Dies gilt insbesondere, wenn die Gefahr besteht, dass Kinder sich an dort befindlichen gefährlichen Gegenständen zu schaffen machen und dabei Schaden erleiden. Je größer der Reiz ist, den solche gefährlichen Gegenstände auf Kinder ausüben, desto wirksamer müssen die Schutzmaßnahmen sein.[3]

 
Praxis-Beispiel

Besonderer Schutz der Kinder

Eine Baustelle in einer geschlossenen Wohnanlage, zu der ein Kinderspielplatz gehört, muss mit einem Bauzaun gesichert werden.[4]

Wegen der Verletzungsgefahr dürfen an der Oberkante eines Metallzauns neben einem von Kindern genutzten "Bolzplatz" nicht bis zu 5 cm lange Metallstreben überragen.[5]

Die gesteigerte Verkehrssicherungspflicht besteht auch, wenn der Anreiz, das Grundstück zu betreten, nicht unmittelbar von gefährlichen Gegenständen ausgeht, sondern von an sich gefahrlosen, z. B. einem "Kletterbaum", die Kinder aber auf dem Grundstück gefährliche Sachen vorfinden, mit denen sie dann – wie zu erwarten – spielen.[6]

Allerdings müssen diese Schutzmaßnahmen dem Sicherungspflichtigen im Hinblick auf Zeit- und Kostenaufwand zumutbar sein. Jedenfalls hat er für eine hinreichende hohe Umzäunung zu sorgen oder aber die Gefahrenquelle zu beseitigen.

Im Übrigen dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden.

 
Praxis-Beispiel

Haftungseinschränkungen bei Kindern

Auch wenn bei einer Verkehrssicherungspflicht zugunsten von Kindern ein strengerer Sicherheitsmaßstab anzulegen ist, gilt andererseits aber auch, dass ein vollständiges Maß an Sicherheit nicht erreichbar ist. So müssen Kinder im Alter von 7 bis 8 Jahren schon ein gewisses Maß an Selbständigkeit haben und nicht "auf Schritt und Tritt" überwacht werden.[7]

Auch im Umgang mit Kindern im Kindergartenalter reicht es aus, wenn der Verkehrssicherungspflichtige mit einem für das praktische Leben tauglichen, aber eben gesteigerten Maß an Vorsicht verfährt und auf die erkennbaren Gefahren achtgibt. Eine Pflicht, jedwedem theoretisch denkbaren Schadenseintritt vorzubeugen, besteht hingegen auch gegenüber Kindern nicht.[8]

Sind die Zugänge eines leer stehenden Hauses fest verschlossen oder gar zugemauert, muss der Eigentümer keine Maßnahmen dagegen ergreifen, dass Kinder sich mit Gewalt, insbesondere durch Zerstörung des Mauerwerks, Zugang verschaffen.[9]

Auch kann sich der Hauseigentümer im Allgemeinen darauf verlassen, dass die Kinder seiner Mieter von ihren Eltern über bestimmte Gefahren aufgeklärt sind und zur Vorsicht angehalten werden.[10]

Muss ein Grundstückseigentümer nicht damit rechnen, dass sich an seinem Grundstück unbeaufsichtigte Kinder aufhalten, so ist er nicht verpflichtet, den Grundstückszaun gegen eine offensichtliche Zweckentfremdung abzusichern.[11]

[1] Ausführlich Czernik, VersR 2010, S. 1416.
[2]

Zu den etwaigen Nachteilen in einem Schadensersatzprozess gegen schädigende Kinder s. Kap. 2.4.2 Regress des Sicherungspflichtigen.

[3] BGH, Urteil v. 12.11.1996, VI ZR 270/95, NJW 1997 S. 582 m. w. N..
[4] OLG Hamm, Urteil v. 15.6.1999, 9 U 31/99, MDR 1999 S. 1446 (lockere Abdeckplatte auf Grundstücksmauer).
[6] BGH, Urteil v. 22.10.1974, VI ZR 149/73, NJW 1975 S. 108, 109.
[7] OLG München, Endurteil v. 29.7.2019, 21 U 2981/18, NJW 2020 S. 485 (Kinderfreizeit).
[8] OLG Stuttgart, Urteil v. 18.6.2015, 2 U 140/14, NJW-RR 2015 S. 1506 (heißer Kinderpunsch auf Weihnachtsmarkt).
[9] OLG Stuttgart, Urteil v. 8.10.1965, 2 U 58/65, VersR 1966 S. 1086, 1087.
[10] OLG Köln, Urteil v. 20.10.1963, 2 U 73/63, VersR 1964 S. 832.
[11] LG Coburg, Urteil v. 6.4.2011, 21 O 609/10, BeckRS 2012, 09997.

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