Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechtigung eines Stromkunden zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung gem. § 17 StromGVV

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV berechtigen Einwände, die der Kunde gegen Rechnungen des Grundversorgers erhebt, ihn nur dann zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung, wenn die "ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers" besteht. Daneben eröffnet § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StromGVV dem Kunden die Möglichkeit eines Zahlungsaufschubs, wenn der in einer Rechnung angegebene Verbrauch ohne ersichtlichen Grund mehr als doppelt so hoch ist wie der vergleichbare Verbrauch im vorherigen Abrechnungszeitraum.

2. Aufgrund des beachtlichen Bestreitens des Beklagten oblag es der Klägerin - wie im Bestreitensfall grundsätzlich jedem Verkäufer, der nach § 433 Abs. 2 BGB den vereinbarten Kaufpreis geltend macht - die tatsächlichen Grundlagen der von ihr beanspruchten Forderung - hier: die Richtigkeit der in ihrer Rechnung zugrunde gelegten Verbrauchsmenge - zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 07. Februar 2018 - VIII ZR 148/17, juris Rn. 13).

3. Der Beweis ist nicht durch die Berufung der Klägerin auf den Prüfschein der staatlich anerkannten Prüfstelle für Messgeräte für Elektrizität EHB 11 bei der w.-GmbH (Anlage K1) erbracht, die Messungen des geeichten Zählers und die Prüfung des Gerätes durchgeführt hat. Denn, wie sich aus der Systematik der StromGVV ergibt, begründet die Nachprüfung der Messeinrichtung in Fällen der Unplausibilität nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StromGVV gerade keinen Anscheinsbeweis zugunsten des Stromanbieters; vielmehr trägt dieser, sollte die von dem geeichten Messgerät ermittelte Verbrauchsmenge unplausibel sein, im Rückforderungsprozess des Kunden die volle Darlegungs- und Beweislast für den von ihm behaupteten Verbrauch (OLG Brandenburg, Urteil vom 29. Oktober 2019 - 6 U 151/18, juris Rn. 12).

4. Durch den in § 17 Abs. 1 Satz 2 StromGVV vorgesehenen Einwendungsausschluss wird lediglich die Beweisaufnahme über die Einwendungen in den Rückforderungsprozess des Kunden verlagert. Die Darlegungs- und Beweislast des Versorgungsunternehmens für die Richtigkeit seiner Abrechnung, insbesondere für den tatsächlichen Verbrauch der berechneten Strommenge, ändert sich hingegen dadurch nicht (BGH, Urteil vom 07. Februar 2018 - VIII ZR 148/17, juris Rn. 19).

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 28. Juli 2020, Az. 10 O 155/19, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch den Beklagten mittels Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Vergütung für Stromlieferungen. Die Klägerin ist die örtliche Stromversorgerin in X.. Der Beklagte ist Eigentümer eines Lagergebäudes in X. mit einer Lagerfläche von ca. 69 m2. Die Klägerin belieferte den Beklagten unter der Verbrauchsstelle ... mit Strom im Rahmen der Grundversorgung.

Für das Kalenderjahr 2018 rechnete die Klägerin auf der Grundlage eines Zählerstandes von 51.397 am 31.12.2018 einen Verbrauch von 122 kWh ab.

Am 8. Juli 2019 tauschte die Klägerin den Zähler aus mit einem Zählerstand von 16.291,7. Die Klägerin berechnete dem Beklagten daraufhin für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 7. Juli 2019 einen Stromverbrauch von 64.895 kWh auf der Grundlage einer Zählerdifferenz von 64.894,7. Die Rechnung vom 26. Juli 2019 endete mit einem Nachzahlungsbetrag zulasten des Klägers in Höhe von 20.950,61 EUR. Die Nachprüfung des ausgebauten Zählers durch eine staatlich anerkannte Messstelle ergab keine Auffälligkeiten. Ausweislich des Prüfscheins weist der Zähler das Baujahr 1979 aus. Für den Zeitraum vom 8. Juli 2019 bis 30. Dezember 2019 rechnete die Klägerin einen Verbrauch von 847 kWh ab.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe den Zähler zuletzt am 18. November 2010 mit einem Stand von 35.051 abgelesen. Der Beklagte habe die Zählerstände in der Folgezeit bewusst falsch mitgeteilt, um Nachzahlungen zu vermeiden. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr der geltend gemachte Vergütungsanspruch zustehe und zudem der Beklagte ihr deliktisch zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil er sich durch die Angabe falscher Zählerstände des Betruges schuldig gemacht habe.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 20.950, 61 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.08.2019 zu zahlen,

2. festzustellen, dass es sich bei der Klageforderung um eine deliktische Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung handelt.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat bestritten, die in Rechnung ge...

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