Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlende Feststellungen zum Mindestschuldumfang in Betäubungsmittelverfahren [Marihuana]

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Neben der Menge des Betäubungsmittels, auf die sich die Tat bezieht, spielt insbesondere dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Für den Schuldumfang ist entscheidend, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich jeweils im verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelgemisch befunden haben.

2. Der Tatrichter hat deshalb entweder konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Auch wenn eine Wirkstoffbestimmung nicht (mehr) möglich ist, darf der Tatrichter die Frage nach dem Wirkstoffgehalt nicht offen lassen. Er muss vielmehr unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung des Betäubungsmittels durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes “im Zweifel für den Angeklagten„ feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels auszugehen ist.

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Urteil vom 28.06.2007)

AG Lindau (Bodensee) (Urteil vom 14.03.2007)

 

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 28. Juni 2007 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht/Schöffengericht Lindau (Bodensee) verurteilte den Angeklagten am 14.3.2007 wegen 10 tatmehrheitlicher Fälle des gewerbsmäßigen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworbenen Marihuanas traf es nicht. Dessen Qualität beurteilte es als “gut„ (AU S. 3), obgleich ein Zeuge sie als “eher mittelmäßig„ (AU S. 7) beschrieben hatte.

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, änderte das Landgericht Kempten (Allgäu) das Urteil des Amtsgerichts/Schöffengericht Lindau (Bodensee) vom 14.3.2007 im Strafausspruch dahingehend ab, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt wurde. Jedenfalls aus den Urteilsgründen ist ersichtlich, dass diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde (BU S. 5). Auch das Landgericht stellte den Wirkstoffgehalt des Marihuanas nicht fest und ging von “mittelmäßiger Qualität„ aus (BU S. 5).

Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Im Wesentlichen macht der Angeklagte geltend, das Landgericht habe keine Feststellungen zur “Güte und Qualität„ des Rauschgifts getroffen, nicht in jedem einzelnen Fall ausgeführt, warum ein besonders schwerer Fall i.S.d. § 29 BtMG gegeben sei; schließlich habe das Landgericht die Bedeutung des § 31 BtMG verkannt.

II.

Der statthaften (§ 333 StPO) und auch im Übrigen zulässigen (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision des Angeklagten ist jedenfalls ein vorläufiger Erfolg nicht zu versagen. Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.

1. Eine den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Verfahrensrüge hat der Angeklagte nicht erhoben.

2. Die Revision ist jedoch begründet, da das Amtsgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des vom Angeklagten erworbenen Betäubungsmittels getroffen hat. Der Rechtsfolgenausspruch durch das Amtsgericht war daher nicht durch ausreichende Feststellungen getragen, so dass die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch nicht wirksam war (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 318 Rn. 16 m.w.N.; BayObLGSt 1999, 105; OLG München Beschluss vom 20.6.2007 - 4 St RR 103/07 -).

Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge und unabhängig von einer sachlichen Beschwer des die Sachrüge erhebenden Angeklagten ist zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorangegangenen amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat. Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, falls das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung sich nur mit einzelnen Teilen des Ersturteils befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt ist (vgl. BayObLGSt aaO S. 105). Grundsätzlich ist der Rechtsfolgenausspruch alleine anfechtbar, wenn die Schuldfeststellung eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung bildet. Dies ist hier nicht der Fall:

Neben der Menge des Betäubungsmittels, auf die sich die Tat bezieht, spielt insbesondere dessen Qualität eine wesentliche Rolle für die Strafzumessung. Für den Schuldumfang ist entscheidend, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich jeweils im verfahrensg...

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