Entscheidungsstichwort (Thema)

Einspruch gegen Bußgeldbescheid. Pflicht zur elektronischen Einreichung. Keine erhöhten Formanforderungen für die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid durch einen Rechtsanwalt

 

Leitsatz (amtlich)

Die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO gelten nicht für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid. Der Einspruch kann daher von einem Rechtsanwalt auch mittels Telefax eingereicht werden.

 

Normenkette

OWiG § 110c S. 1; StPO § 32d S. 2

 

Verfahrensgang

AG Heidelberg (Entscheidung vom 19.12.2022; Aktenzeichen 15a OWi 540 Js 19011/22)

 

Tenor

  1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 19.12.2022 wird als unbegründet verworfen.
  2. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
 

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 19.12.2022 verurteilte das Amtsgericht Heidelberg den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h zu der Geldbuße von 400 € und einem einmonatigen Fahrverbot. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 25.1.2022 eine Landstraße, auf der die Geschwindigkeit durch mehrfach wiederholte Beschilderung auf 70 km/h beschränkt war, mit einer Geschwindigkeit von - nach Toleranzabzug - 110 km/h. Das Amtsgericht ist nach sachverständiger Überprüfung zur Überzeugung einer ordnungsgemäßen Geschwindigkeitsmessung mit einem Gerät vom Typ Poliscan FM 1 gelangt. Das Fahrverbot wurde angeordnet, weil zuvor mit am 9.4.2021 bzw. 30.4.2021 rechtskräftig gewordenen Entscheidungen Geschwindigkeitsübertretungen um 33 km/h bzw. 41 km/h geahndet worden waren.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde werden Verfahrensfehler bei der Identifizierung des Betroffenen geltend gemacht; im Rahmen der außerdem erhobenen Sachrüge wird die fehlende Möglichkeit der Überprüfung der Messwertbildung mangels Speicherung von Rohmessdaten beanstandet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Antragsschrift vom 24.2.2022 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der originär zuständige Einzelrichter hat die Sache zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern im Hinblick auf die umstrittene, durch obergerichtliche Rechtsprechung noch nicht geklärte Frage übertragen, ob für die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid durch einen Rechtsanwalt die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO gelten.

II.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

1. Der Bußgeldbescheid des Landratsamts des X-Kreises vom 3.6.2022 ist nicht bestandskräftig geworden, weshalb das Amtsgericht nicht am Erlass des angefochtenen Urteils gehindert war.

a) Aus den Akten, die dem Senat bei der Prüfung von Verfahrenshindernissen uneingeschränkt zugänglich sind, ergibt sich dazu folgender Verfahrensablauf: Einen ersten am 19.4.2022 erlassenen und dem Betroffenen am 22.4.2022 zugestellten Bußgeldbescheid nahm die Bußgeldbehörde mit dem Erlass des Bußgeldbescheids vom 3.6.2022, der dem Betroffenen am 9.6.2022 zugestellt wurde, zurück. Der Betroffene legte gegen den Bescheid vom 3.6.2022 am 17.6.2022 Einspruch mittels Schriftsatz seines Verteidigers ein, der als Telefax eingereicht wurde.

b) In der Instanzrechtsprechung ist bisher unterschiedlich beurteilt worden, ob die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO auch für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid gelten, bei der Einlegung durch Rechtsanwälte also nur die Einreichung als elektronisches Dokument zugelassen ist und ansonsten die Erklärung unwirksam ist. Dies ist vom Amtsgericht Hameln (Beschluss vom 14.2.2022 - 49 OWi 23/22 = NZV 2022, 333, ebenso Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 67 Rn. 21a; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl./32. Lfg., § 110c Rn. 24; wohl auch KK-Graf, OWiG, 5. Aufl., § 110c Rn. 49, 53) verneint, vom Amtsgericht Tiergarten (Beschluss vom 5.4.2022 - 310 OWi 161/22 = StraFo 2022, 318; ebenso Stahnke in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 110c Rn. 25 unter Bezugnahme auf die in der 5. Aufl. von Krenberger/Krumm, OWiG, § 110c Rn. 13 vertretene Auffassung, wohingegen dort die Frage in der aktuellen 7. Aufl. offen gelassen wird; ebenso offenlassend BeckOK-OWiG/Valerius, 37. Ed., § 110c Rn. 1.1) hingegen unter Hinweis auf die Regelung in § 335 Abs. 2a HGB und die Entstehungsgeschichte bejaht worden. Obergerichtlich ist die Frage bislang - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden.

c) Der Senat schließt sich der vom Amtsgericht Hameln vertretenen Auffassung an; die hiergegen in der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Soweit dabei an Materialien zum Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlich...

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