Leitsatz (amtlich)

1. Die Mitwirkungsobliegenheit des Antragstellers im Erbscheinverfahren steht in wechselbezüglicher Beziehung zu der Verpflichtung des Nachlassgerichts, unter Benutzung der vom Antragsteller angegebenen Beweismittel von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen.

a) Die Mitwirkungsobliegenheit des Antragstellers steht unter dem Vorbehalt, dass er sachdienliche Beweismittel (hier: zu den erbrechtlich relevanten Verwandtschaftsverhältnissen und dem Wegfall der das eigene Erbrecht ausschließenden oder das eigene Erbrecht mindernde Personen) bei pflichtgemäßem Bemühen zumutbarerweise benennen kann.

b) Das Wechselspiel zwischen der Mitwirkungsobliegenheit und der Amtsermittlungspflicht gilt auch in Bezug auf die Rangfolge der vom Gesetz in § 352 Abs. 3 FamFG geforderten Beweismittel (Vorrang öffentlicher Urkunden vor anderen Beweismitteln), weshalb an den Nachweis der erbrechtlich relevanten Tatsachen strenge, aber keine übertriebenen Anforderungen zu stellen sind.

2. Sind öffentliche Urkunden nicht vorhanden oder mit einem zumutbaren Aufwand nicht zu beschaffen, können die erbrechtlich relevanten Tatsachen durch alle anderen denkbaren Beweismittel nachgewiesen werden.

a) Als "andere Beweismittel" in Betracht kommen beispielsweise beglaubigte Abschriften oder Ausfertigungen von öffentlichen Urkunden, unbeglaubigte Fotokopien von öffentlichen Urkunden, Familienstammbücher älterer Art, Ahnenpässe, Taufscheine, kirchliche Urkunden vor 1876, Bescheinigungen der Meldeämter, sog. Familienstandszeugnisse, Briefe, bei Kriegsteilnehmern auch Mitteilungen der Suchstellen, die Inaugenscheinnahme von Fotos (etwa von Grabsteinen, Hochzeitsfotos, Todesanzeigen in Zeitungen, Sterbebilder, Grabsteininschriften, beschriftete Hochzeitsfotos) sowie Zeugenaussagen.

b) Zum Nachweis geeignet sind nicht nur "andere" Beweismittel, die ähnlich klare und verlässliche Schlussfolgerungen ermöglichen wie eine öffentliche Urkunde (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung im Beschluss vom 22.01.2020, 3 Wx 162/16).

c) Stehen dem Antragsteller die erörterten Beweismöglichkeiten unverschuldet nicht zur Verfügung, kommt ein Nachweis durch Vorlage einer eigenen eidesstattlichen Versicherung oder eidesstattlicher Versicherungen dritter Personen in Betracht. Schließlich sind in die Beweiswürdigung auch die sachdienlichen Angaben der antragstellenden Partei einzubeziehen.

d) Stets ist es eine Frage der freien Beweiswürdigung im Einzelfall, ob das Nachlassgericht aufgrund der vorhandenen Beweismittel, der beigebrachten Glaubhaftmachungsmittel und der Angaben des Antragstellers zur Sache die das Erbrecht begründenden Tatsachen für erwiesen erachtet oder nicht.

aa) Das Gericht darf im Rahmen der Beweiswürdigung keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist.

bb) Bestehen keine vernünftigen, nach Lage der Dinge ernsthaft in Betracht kommenden Zweifel an der Echtheit und inhaltlichen Richtigkeit vorgelegter Urkunden, an der Wahrheit eingeholter eidesstattlicher Versicherungen oder an den Angaben der Beteiligten, ist von den bekundeten Tatsachen auszugehen.

cc) Liegt lediglich eine eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vor, kann der Nachweis als geführt anzusehen sein, wenn die Angaben auf Grundlage einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls und des gesamten Vorbringens zur Überzeugung des Nachlassgerichts feststehen und eine weitere Sachaufklärung nicht möglich ist.

3. Hat der Antragsteller seinen Mitwirkungsobliegenheiten entsprochen, hat das Nachlassgericht unter Verwendung des vorgelegten Beweismaterials die Rechtslage von Amts wegen zu prüfen und die ihm noch erforderlich erscheinenden Ermittlungen anzustellen

4. Erst wenn in dem vom Antragsteller beigebrachten und vom Nachlassgericht ergänzend erhobenen Beweismaterial letztlich Lücken verbleiben, kommen die Regeln der materiellen Beweislast (Feststellungslast) zur Anwendung. Danach hat der Antragsteller des Erbscheinverfahrens den Nachteil der Unaufklärbarkeit des erbrechtlichen relevanten Sachverhalts zu tragen.

 

Normenkette

BGB § 2353; FamFG §§ 26-27, 352 Abs. 1 S. 1 Nrn. 3-4, S. 2, Abs. 3, § 352e Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Düsseldorf (Aktenzeichen 91a VI 451/20)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 werden der ihren Erbscheinsantrag vom 10. Mai 2022 zurückweisende Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf - Rechtspflegerin - vom 26. Juni 2023, berichtigt durch Beschluss vom 17. Juli 2023, und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Erbscheinantrag und die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Nachlassgericht zurückverwiesen.

Nebenentscheidungen sind nicht veranlasst.

 

Gründe

I. Die zuletzt in Düsseldorf wohnhafte Erblasserin wurde am 25.09.1922 in Oels/Schlesien im heutigen Polen geboren. Zur Zeit ihres Todes war s...

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