Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Begründung einer produktscharfen Ausschreibung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Anforderungen an den Vergabemerk bei einer produktscharfen Ausschreibung

2. Zu der Möglichkeit, Dokumentationsmängel im Nachprüfungs- oder Beschwerdeverfahren zu heilen

 

Normenkette

VgV § 31 Abs. 6

 

Verfahrensgang

VK Niedersachsen (Beschluss vom 11.10.2019; Aktenzeichen VgK-29/2019)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung vom 11. Oktober 2019 zum Geschäftszeichen VgK-29/2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Antragstellerin je zu 1/14.

Der Streitwert wird auf 36.886,50 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Antragsgegnerinnen, 14 Kommunen der Region H., unterhalten jeweils eigene freiwillige Feuerwehren, deren Mitglieder im Bedarfsfall über am Gürtel getragene Pager, sogenannte Digitale Meldeempfänger (DME) alarmiert werden. Die Alarmierung erfolgt über ein spezielles Funknetz, das von der Region und der Landeshauptstadt H. gemeinsam betrieben wird. Während der bei der Leitstelle installierte Digitale Alarmgeber (DAG) sowie die Verstärkerantennen in der Fläche - Digitale Alarmumsetzer (DAU) - von den Netzbetreibern beschafft und betrieben werden, beschaffen die Kommunen ihre eigene Ausrüstung, darunter auch die DME, nach ständiger Praxis selbst. Als Ende 2018 die Beschaffung von ca. 2.300 DME für die Antragsgegnerinnen notwendig wurde, wandten sie sich an die Zentrale Vergabestelle der Region H., die als ausführende Stelle im Namen der Kommunen eine zentrale Ausschreibung zur Beschaffung der erforderlichen Geräte durchführte. Zuletzt hatte die Region im Jahr 2013 einen Teil der DAU in einem nichtoffenen Verfahren ausgetauscht (vgl. den Vergabevermerk, Bl. 336 f. VgK). Die damals beschafften DAU der Fa. S. sind systemneutral, d.h. ihre Funktion ist nicht an ein bestimmtes Verschlüsselungssystem gebunden.

Da im Netz der Region und der Landeshauptstadt H. ausschließlich das Verschlüsselungssystem D. installiert ist und DAG sowie DAU der Fa. S. verwendet wurden, entschlossen sich die Antragsgegnerinnen nach einer im Vergabevermerk niedergelegten - im Einzelnen streitigen - Prüfung der technischen Alternativen, eine Ausschreibung beschränkt auf Endgeräte der Firma S. vorzunehmen, die mit diesem System kompatibel sind. Wegen der Prüfung und ihrer Dokumentation im Einzelnen wird auf den Vergabevermerk (Anlage AG 2, Bl. 103 ff. d.A.) nebst Anlagen verwiesen. Auf dieser Grundlage veröffentlichte die Vergabestelle für die Antragsgegnerinnen am 21. Juni 2019 die Auftragsbekanntmachung (Anlage AG 3, Bl. 113 ff. d.A.).

Die Antragstellerin, die DME mit dem Verschlüsselungssystem B. herstellt bzw. vertreibt und sich deshalb an der Abgabe eines Angebots für die Beschaffung von Endgeräten der Fa. S. gehindert sah, rügte mit Schreiben vom 11. Juli 2019 (Bl. 27 ff. VgK) gegenüber der Zentralen Vergabestelle der Region H. insbesondere, dass die Ausschreibung nicht produktneutral und ohne Aufteilung in Lose erfolgt sei. Die Zentrale Vergabestelle wies die Rüge mit Schreiben vom 31. Juli 2019 (Bl. 36 ff. VgK) zurück.

Im Nachprüfungsverfahren haben die Antragsgegnerinnen insbesondere ergänzend zur Begründung der nicht produktneutralen Ausschreibung vorgetragen. Ein "Mischsystem" von verschiedenen Verschlüsselungssystemen innerhalb eines Netzes stelle ein Sicherheitsrisiko dar. Würden mit der in H. verbauten (älteren) S.-Technik mehrere Verschlüsselungen sukzessive über dasselbe Netz ausgesendet, so würde dies zu einer erheblichen Verzögerung führen und die zeitgerechte Alarmierung sei nicht mehr gewährleistet. Die Kosten für eine Umrüstung des Systems beliefen sich auf bis zu ca. 590.000 EUR. Andere Kommunen bzw. Landkreise hätten aufgrund von Sicherheitsbedenken von der Einführung eines Mischsystems abgesehen und stattdessen zwei getrennte Netze mit jeweils einheitlicher Verschlüsselung realisiert. Ein erfolgreicher Betrieb eines "echten" Mischsystems existiere nicht und sei in H. auch deshalb nicht möglich, weil die Region eine sogenannte selektive Alarmierung einsetze, die das Alarmsignal in Bedarfsfällen nur an einzelne Adressaten übermittele und für die die Antragsgegnerinnen das Rufbeschleunigungsverfahren "Expressalarm" der Fa. S. nutzten, welches nur innerhalb eines einheitlichen Verschlüsselungssystems funktioniere. Bei Nutzung einer weiteren Verschlüsselung mit einem anderen Beschleunigungssystem müsse eine doppelte Ausstrahlung erfolgen. Die hierdurch entstehende Verzögerung bei den Alarmierungszeiten von bis zu 35 Sekunden und die generierte Netzüberlastung durch sukzessive Expressalarmierungen seien inakzeptabel.

Die Vergabekammer hat eigene Ermittlungen zu der Existenz von Mischbetrieben in Deutschland angestellt und...

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