Leitsatz (amtlich)

Hat der Anfechtungskläger die Anfechtungsklage fristgerecht eingereicht und den Vorschuss gezahlt, besteht eine weitere Obliegenheit zur Kontrolle der gerichtlichen Verfahrensweise nicht, so dass eine Klage auch dann noch „demnächst” iSv § 167 ZPO zugestellt wird, wenn die Zustellung aus Gründen, die alleine in der Sphäre des Gerichtes liegen, erst knapp 6 Monate nach Vorschusszahlung erfolgt.

Ohne eigene umfassende Prüfung ist es nicht vom Ermessen der Wohnungseigentümer gedeckt, von Sanierungsvorschlägen eines von ihnen zuvor beauftragten Sachverständigen abzuweichen.

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Urteil vom 02.10.2020; Aktenzeichen 92 c 4393/19 (81))

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 07.04.2022; Aktenzeichen V ZR 165/21)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden vom 2.10.2020, Az. 92 C4393/19 (81), in der Form des Berichtigungsbeschlusses vom 29.10.2020 – auch im Kostenpunkt – abgeändert und der Beschluss zu dem Tagesordnungspunkt 1 der Eigentümerversammlung vom 19.11.2019 der Wohnungseigentümergemeinschaft … in … für ungültig erklärt.

2. Die Kosten des Verfahrens der ersten und zweiten Instanz haben die Beklagten zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 49.970 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Wohnungseigentümergemeinschaft besteht aus zwei Wohnungseigentümern, wobei auf die Beklagten 4.997/10.000 MEA entfallen, die übrigen Anteile entfallen auf die Beklagten. Einen Verwalter hat die Gemeinschaft nicht. Die Parteien streiten seit längerem über die Sanierungsbedürftigkeit des Daches. Nach Vorprozessen einigten sich die Parteien auf eine Begutachtung der Sanierungsbedürftigkeit des Daches. Hierzu beauftragten die Parteien den Sachverständigen A., der ein Gutachten erstellte. Dieser stellte kurzfristigen Reparaturbedarf fest, die Sanierung des Daches empfahl er erst nach einem Zeitablauf von drei bis fünf Jahren. …

Auf der Eigentümerversammlung fassten die Kläger mit ihrer Mehrheit zu TOP 1 einen Beschluss zur Sanierung des Daches. Zugleich wurde beschlossen, dass mit Fälligkeit zum 31.12.2019 eine Sonderumlage von 100.000 EUR zu zahlen ist.

In erster Instanz haben die Kläger beantragt, den auf der Eigentümerversammlung vom 19.11.2019 zu TOP 1 gefassten Beschluss für ungültig zu erklären. …

Die Anfechtungsklage ging am 19.12.2019 bei Gericht ein. Am 30.12.2019 wurde der Gerichtskostenvorschuss aus einem Streitwert von 49.970 EUR angefordert, der am 15.1.2020 bei Gericht einging. Die Klagebegründung ging am 20.1.2020 ein. Die Akte wurde dem Amtsrichter nicht vorgelegt. Eine Vorlage erfolgte erst am 8.7.2020, nachdem eine Sachstandsanfrage des Klägervertreters am 6.7.2020 bei Gericht eingegangen war.

Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen zusätzlich Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen, da die Anfechtungsfrist nicht gewahrt sei. Es meint, dass die Voraussetzungen des § 167 ZPO nicht gegeben seien. Die Kläger müssten sich zurechnen lassen, dass sie es fast sechs Monate lang hingenommen hätten, dass das Gericht trotz Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses keine verfahrensleitenden Maßnahmen ergriffen habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, die ihren erstinstanzlichen Klageantrag weiterverfolgen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

I. Das Inkrafttreten der WEG-Reform zum 1.12.2020 hat auf das Verfahren keine Auswirkungen (§ 48 Abs. 5 WEG neue Fassung).

II. Die Anfechtungsfrist haben die Kläger – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – gewahrt. Die Eigentümerversammlung fand am 19.11.2019 statt, die Klage ging bei dem Amtsgericht am 19.12.2019 ein. Der Vorschuss wurde am 30.12.2019 angefordert und am 15.1.2020 eingezahlt. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob die Klage an die Beklagten noch demnächst im Sinne von § 167 ZPO zugestellt wurde. Dies ist der Fall, denn dem Kläger ist nicht deshalb der Vorwurf einer nachlässigen Prozessführung zu machen, weil er erst nach fast sechs Monaten bei Gericht nach dem Sachstand gefragt hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf im Ausgangspunkt ein Kläger einerseits mit der Klageeinreichung bis zum letzten Tag vor Ablauf der Verjährungsfrist zuwarten, ohne dass ihm dies als Verschulden angerechnet wird. Er hat dann andererseits alles Zumutbare zu unternehmen, um die Voraussetzungen für eine alsbaldige Zustellung zu schaffen. Er muss alle für eine ordnungsgemäße Klagezustellung von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen erbringen; hat der Kläger diese Mitwirkungshandlungen erbracht, liegt die weitere Verantwortung für den ordnungsgemäßen Gang des Zustellungsverfahrens ausschließlich in den Händen des Gerichts, dessen Geschäftsgang ein Kläger und sein Prozessbevollmächtigter nicht unmittelbar beeinflussen können. Für eine Verpflichtung oder Obliegenheit des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten, auch noch in diesem Stadium des Verfahrens durch e...

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