Entscheidungsstichwort (Thema)

Asyl. Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist. Ermessen der Mitgliedstaaten. Rolle des Amts des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dieses Amt um Stellungnahme zu ersuchen

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 343/2003 Art. 3 Abs. 2

 

Beteiligte

Halaf

Zuheyr Frayeh Halaf

Darzhavna agentsia za bezhantsite pri Ministerskia savet

 

Tenor

1. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass er einem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung nicht als zuständiger Staat bestimmt wird, erlaubt, einen Asylantrag zu prüfen, auch wenn keine Umstände vorliegen, die die Anwendbarkeit der in Art. 15 der Verordnung enthaltenen humanitären Klausel begründen. Diese Möglichkeit ist nicht davon abhängig, dass der nach den genannten Kriterien zuständige Mitgliedstaat ein Gesuch auf Wiederaufnahme des betreffenden Asylbewerbers nicht beantwortet hat.

2. Der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, ist nicht verpflichtet, im Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge um Stellungnahme zu ersuchen, wenn aus den Dokumenten dieses Amts hervorgeht, dass der Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständiger Staat bestimmt wird, gegen unionsrechtliche Asylvorschriften verstößt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) mit Entscheidung vom 12. Oktober 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Oktober 2011, in dem Verfahren

Zuheyr Frayeh Halaf

gegen

Darzhavna agentsia za bezhantsite pri Ministerskia savet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter J. Malenovský, U. Lõhmus und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Urbani Neri, avvocato dello Stato,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer und C. Wissels als Bevollmächtigte,
  • der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Murrell als Bevollmächtigte im Beistand von R. Palmer, Barrister,
  • der Schweizer Regierung, vertreten durch D. Klingele als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und V. Savov als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50, S. 1, im Folgenden: Verordnung) und der Art. 18, 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Halaf, einem irakischen Staatsangehörigen, und der Darzhavna agentsia za bezhantsite pri Ministerskia savet (Staatliche Agentur für Flüchtlinge beim Ministerrat, im Folgenden: DAB) über die Entscheidung dieser Agentur, die Einleitung eines Verfahrens zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abzulehnen und die Überstellung von Herrn Halaf nach Griechenland zu erlauben.

Rechtlicher Rahmen

Genfer Flüchtlingskonvention

Rz. 3

Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Band 189, S. 150, Nr. 2545 [1954], im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention) trat am 22. April 1954 in Kraft.

Rz. 4

Alle Mitgliedstaaten sowie die Republik Island, das Fürstentum Liechtenstein, das Königreich Norwegen und die Schweizerische Eidgenossenschaft sind Vertragsparteien der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Europäische Union ist nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention, aber in Art. 78 Abs. 1 AEUV und in Art. 18 der Charta wird auf diese Konvention Bezug genommen.

Rz. 5

In der Präambel der Konvention wird anerkannt, dass dem Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) die Aufgabe obliegt, die Durchführung der internationale...

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