Entscheidungsstichwort (Thema)

Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Besondere Zuständigkeiten im Fall einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist. Grenzüberschreitende Beteiligung mehrerer Personen an derselben unerlaubten Handlung. Möglichkeit, die örtliche Zuständigkeit anhand des Ortes der Handlung eines anderen Schädigers als des Beklagten zu bestimmen (‚wechselseitige Handlungsortzurechnung’)

 

Beteiligte

Melzer

Melzer

MF Global UK Ltd

 

Tenor

Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er es nicht erlaubt, aus dem Ort der Handlung, die einem der mutmaßlichen Verursacher eines Schadens – der nicht Partei des Rechtsstreits ist – angelastet wird, eine gerichtliche Zuständigkeit in Bezug auf einen anderen, nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts tätig gewordenen mutmaßlichen Verursacher dieses Schadens herzuleiten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. April 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Mai 2011, in dem Verfahren

Melzer

gegen

MF Global UK Ltd

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet, J.-J. Kasel und M. Safjan (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Melzer, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Volaric-Huppert, F. Marzillier, G. Guntner und W. A. Meier,
  • der MF Global UK Ltd, vertreten durch Rechtsanwalt C. Gierets,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, K. Petersen und J. Kemper als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
  • der schweizerischen Regierung, vertreten durch D. Klingele als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und W. Bogensberger als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. November 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Melzer und der MF Global UK Ltd (im Folgenden: MF Global) wegen einer Klage auf Schadensersatz im Rahmen der Durchführung von Börsentermingeschäften.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 dient diese im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts dazu, „Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen”.

Rz. 4

Die Erwägungsgründe 11, 12 und 15 dieser Verordnung lauten:

„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(15) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. …”

Rz. 5

Die Zuständigkeitsregeln sind in Kapitel II der Verordnung enthalten.

Rz. 6

Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001, der zu Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften”) ihres Kapitels II gehört, lautet:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”

Rz. 7

Der ebenfalls zu diesem ...

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