Entscheidungsstichwort (Thema)

Restitutionsklage gegen Urteil über Entscheidung über Vaterschaft. Neues Gutachten. Prüfung im Wiederaufnahmeverfahren. Verfassungsmäßigkeit des § 641i ZPO

 

Leitsatz (amtlich)

a) Zum jeweiligen Prüfungsumfang in den drei Stufen eines Wiederaufnahmeverfahrens.

b) Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit einer Restitutionsklage nach § 641i ZPO.

c) Zur Frage der Verfassungswidrigkeit des § 641i ZPO.

 

Normenkette

ZPO § 578 ff., § 641i; GG § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 01.02.2001)

AG Bensheim

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Senats für Familiensachen des OLG Frankfurt am Main mit Sitz in Darmstadt v. 1.2.2001 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der am 18.1.1971 nicht ehelich geborene Kläger hatte nacheinander zwei Männer, mit denen seine Mutter in der gesetzlichen Empfängniszeit verkehrt haben soll, erfolglos auf Feststellung der Vaterschaft verklagt.

In einem dritten Verfahren, das seiner vorliegenden Restitutionsklage zu Grunde liegt, hatte er den Beklagten auf Feststellung der Vaterschaft und Zahlung des Regelunterhalts verklagt. Nachdem die Mutter des Klägers im ersten Rechtszug von ihrem Recht zur Verweigerung der Aussage Gebrauch gemacht hatte, war auch diese Klage durch Urteil des AG abgewiesen worden.

Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil war ohne Erfolg geblieben. Das OLG hatte die Vaterschaft des Beklagten als nicht erwiesen angesehen: Nachdem es die Mutter des Klägers im Armenrechtsprüfungsverfahren als Zeugin und den Beklagten als Partei vernommen hatte, vermochte es bereits nicht festzustellen, dass der Beklagte in der gesetzlichen Empfängniszeit mit der Mutter des Klägers geschlechtlich verkehrt habe. Zwar habe diese die Behauptung des Klägers bei ihrer Vernehmung bestätigt; sie sei aber nicht glaubwürdig, da sie in den beiden vorausgegangenen Verfahren falsch ausgesagt habe. So habe sie im ersten Verfahren bekundet, nur mit dem Beklagten jenes Verfahrens verkehrt zu haben, wohingegen sie im zweiten Verfahren ausgesagt habe, auch mit dem zweiten Beklagten, nicht aber mit weiteren Männern verkehrt zu haben. Da sowohl der Erste als auch der zweite Beklagte jew. durch Blutgruppenuntersuchungen als Väter ausgeschlossen worden seien, müsse auch diese Aussage falsch sein, da Vater des Klägers nur ein Dritter sein könne, mit dem sie in der gesetzlichen Empfängniszeit (ggf.: auch) verkehrt haben müsse. Die Vaterschaft des Beklagten sei daher nicht schon nach § 1600o Abs. 2 S. 1 BGB (a. F.) zu vermuten. Für den daher erforderlichen Nachweis der Vaterschaft des Beklagten reiche das eingeholte Blutgruppengutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Sp. v. 22.5.1974 schon wegen der rechnerischen Vaterschaftswahrscheinlichkeit nach dem Essen-Möller-Verfahren von nur 91,5 % nicht aus, auch wenn zusätzlich das ebenfalls eingeholte erbbiologische Gutachten des Sachverständigen Dr. K. herangezogen werde, das die Vaterschaft des Beklagten im Ergebnis als "mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen" einstufe.

Gegen dieses rechtskräftige Urteil richtet sich die nunmehr erhobene Restitutionsklage des Klägers, mit der er unter Vorlage einer gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Se. (nachstehend: Das [neue] Gutachten) seine ursprünglichen Klageanträge weiterverfolgt. Das OLG hat die Restitutionsklage abgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Rechtsfehlerfrei hat das gem. § 641i Abs. 3 S. 1 - 2. Alternative - ZPO zuständige OLG (vgl. BGH, Urt. v. 5.4.1984 - IX ZR 78/83, MDR 1984, 1021 = FamRZ 1984, 681) die Restitutionsklage als zulässig, aber nicht begründet angesehen.

I.

Wie das OLG zutreffend ausführt, ist die Restitutionsklage gegen ein rechtskräftiges Urteil, in dem über die Vaterschaft entschieden wurde, nach § 641i ZPO zulässig (und gem. § 641i Abs. 4 ZPO nicht an die Frist des § 586 Abs. 2 S. 2 ZPO gebunden), wenn die Partei ein neues Gutachten über die Vaterschaft vorlegt, das allein oder i. V. m. den in dem früheren Verfahren erhobenen Beweisen eine andere Entscheidung herbeigeführt haben würde.

Diese Zulässigkeitsvoraussetzung ist hier erfüllt.

1. Auch ein Urteil, das nicht die Vaterschaft feststellt, sondern - wie hier - die Feststellungsklage abweist oder die Berufung hiergegen zurückweist, ist ein Urteil, in dem über die Vaterschaft entschieden wurde (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers, BGB, 62. Aufl., § 641i Rz. 2). Gegen ein solches rechtskräftiges Urteil findet die Restitutionsklage nach § 641i ZPO auch insoweit statt, als es zugleich den mit der begehrten Vaterschaftsfeststellung verbundenen Antrag auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des Regelunterhalts (vgl. § 643 Abs. 1 S. 1 ZPO a. F. = § 653 Abs. 1 S. 1 ZPO n. F.) abgewiesen hat (BGH, Urt. v. 31.3.1993 - XII ZR 19/92, MDR 1994, 205 = FamRZ 1993, 943 [944]; Niklas, JR 1988, 441 [443]; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 641i Rz. 2).

2. Für ein Gutachten i. S. d. § 641i ZPO ist erforderlich, dass sich die sachverständige Beurteilung als Blutgruppen- oder anthropologisch-erbbiologisches Gutachten, als Gutachten über die Tragezeit oder über die Zeugungsfähigkeit auf die Frage der Abstammung der einen Prozesspartei von der anderen und damit konkret auf den im Vorprozess zur Entscheidung gestellten Sachverhalt bezieht (vgl. BGH, Urt. v. 7.6.1989 - IVb ZR 70/88, FamRZ 1989, 1067m.N.).

Das im vorliegenden Verfahren eingereichte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Se. v. 3.7.2000 nebst Ergänzung v. 19.12.2000, die der Kläger innerhalb der ihm im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 S. ZPO gewährten Frist vorgelegt hat, genügt diesen Anforderungen.

Insoweit kommt es nicht darauf an, ob allein schon das mit der Klageschrift vorgelegte Gutachten v. 3.7.2000 diesen Anforderungen genügt hätte. Denn das neue Gutachten kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter im Wiederaufnahmeverfahren vorgelegt werden und dadurch eine bis dahin möglicherweise unzulässige Klage zulässig machen (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1982 - IX ZR 37/81, MDR 1982, 930 = FamRZ 1982, 690). Entsprechendes gilt für die Ergänzung eines zuvor eingereichten Gutachtens. Dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung entspricht im schriftlichen Verfahren der Ablauf der Frist des § 128 Abs. 2 S. 2 ZPO.

Das (ergänzte) Gutachten befasst sich mit der Frage der Vaterschaft des Beklagten und beurteilt die Wahrscheinlichkeit, die sich nach dem Essen-Möller-Verfahren durch Untersuchung weiterer als der im früheren Gutachten von Prof. Dr. Sp. ausgewerteten Blutgruppenmerkmale ergeben könnte. Dass es darüber hinaus allgemeine Ausführungen zu der Möglichkeit enthält, mithilfe einer noch durchzuführenden DNA-Analyse zu wesentlich präziseren Ergebnissen zu gelangen, und solche Ausführungen den vorstehend dargelegten Anforderungen nicht genügen (vgl. BGH, Urt. v. 7.6.1989 - IVb ZR 70/88, FamRZ 1989, 1067m.N.), ist insoweit ohne Belang.

Ob allerdings die Zulässigkeit (und nicht erst die Begründetheit) einer Restitutionsklage verneint werden kann, wenn das vorgelegte Gutachten offensichtlich nicht geeignet ist, die frühere Entscheidung in Frage zu stellen, weil es nämlich das Ergebnis des Erstgutachtens bestätigt (so OLG Hamm v. 5.11.1996 - 29 U 90/96, OLGReport Hamm 1997, 92 [93]), bedarf hier keiner Entscheidung. In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall hatte der als Vater festgestellte Revisionskläger ein neues Gutachten vorgelegt, das einen noch höheren Wahrscheinlichkeitswert seiner Vaterschaft ergab als das Erstgutachten. So liegen die Dinge hier nicht. Das Gutachten, das der Restitutionskläger hier vorgelegt hat, hält einen Wahrscheinlichkeitswert für möglich, der für den Restitutionskläger günstiger ist als das Ergebnis des früheren Gutachtens.

3. Das Gutachten ist auch neu i. S. d. § 641i ZPO. Ein neues Gutachten über die Vaterschaft im Sinne dieser Vorschrift muss sich nicht auf neue Befunde gründen, sondern kann auch anhand der Akten erstattet sein (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - IVb ZR 1/88, FamRZ 1989, 374 [375]). Nichts anderes gilt, wenn das neue Gutachten - wie hier - Fehler eines früheren Gutachtens aufzeigt, indem es die Befunde eines bereits im Ausgangsverfahren eingeholten oder erneut verwerteten Blutgruppengutachtens eigenständig neu und anders (etwa: Umfassender, nämlich unter Einbeziehung weiterer, vom Vorgutachter nicht untersuchter Blutgruppensysteme) auswertet und beurteilt oder auch nur darlegt, dass das Vorgutachten mangelhaft sei, weil es die damals bereits vorliegenden Befunde über diese weiteren Blutgruppensysteme auch schon nach dem damaligen Stand der Wissenschaft habe berücksichtigen können und müssen (vgl. BGH BGHZ 61, 186; Urt. v. 31.3.1993 - XII ZR 19/92, MDR 1994, 205 = FamRZ 1993, 943 [944]; Urt. v. 5.4.1984 - IX ZR 78/83, MDR 1984, 1021 = FamRZ 1984, 681 [682]; Wieczorek/ Schlüter, ZPO, 3. Aufl., § 641i Rz. 8).

4. Die Zulässigkeit der Restitutionsklage nach § 641i ZPO setzt weiter voraus, dass der Restitutionskläger geltend macht, in dem früheren Verfahren wäre - möglicherweise - eine andere Entscheidung ergangen, wenn das neue Gutachten damals bereits vorgelegt worden wäre. Auch diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil der Restitutionskläger bereits in der Klageschrift vorgetragen hatte, dass das neue Gutachten auf der Grundlage des heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstandes, insbesondere der DNA-Analyse, die sehr hohe Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten belege, so dass die Entscheidung im früheren Verfahren anders ausgefallen wäre, wenn das neue Gutachten damals schon vorgelegen hätte. Auch wenn der Kläger sich damit in erster Linie auf die unbeachtliche Behauptung stützt, "insbesondere" eine (künftige) DNA-Analyse werde ein anderes Ergebnis rechtfertigen, ist diesem Vortrag die für die Zulässigkeit der Restitutionsklage ausreichende Behauptung zu entnehmen, auch das neue Gutachten allein sei - wenn auch mit geringerer Aussagekraft - geeignet, die Grundlagen der früheren Entscheidung zu erschüttern.

5. Zu Recht hat das OLG die Zulässigkeit der Restitutionsklage auch nicht an seiner Auffassung scheitern lassen, es erscheine fern liegend, dass die Berücksichtigung eines neuen Gutachtens, welches die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten nur geringfügig höher - nämlich mit 93,6 % - beurteile, im Ausgangsverfahren zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Für die Zulässigkeit der Restitutionsklage genügt nämlich die Behauptung des Restitutionsklägers, das neue Gutachten hätte i. V. m. den in dem früheren Verfahren erhobenen Beweisen möglicherweise eine andere Entscheidung herbeigeführt (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.1980 - IVb ZR 520/80, FamRZ 1980, 880 [881]; BGHZ 61, 186 [194]). Dafür reicht es aus, dass eine andere Entscheidung, und sei es auch nur die Anordnung weiterer Beweiserhebungen (vgl. BGH, Urt. v. 31.3.1993 - XII ZR 19/92, MDR 1994, 205 = FamRZ 1993, 943 [945]), nach der Behauptung des Restitutionsklägers jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint, auch wenn das mit der Restitutionsklage befasste Gericht dies als fern liegend ansieht.

6. Erst recht steht der Zulässigkeit nicht entgegen, dass die Gründe des Berufungsurteils im Ausgangsverfahren erkennen lassen, dem seinerzeit erkennenden Senat reiche ein Wahrscheinlichkeitswert, dem lediglich die Aussage "Vaterschaft wahrscheinlich" zukommt und nahe der bis 90 % reichenden so genannten Indifferenzzone liegt, für den erforderlichen vollen Nachweis der Vaterschaft nicht aus, was den Schluss nahe legt, dass das damals erk. Gericht auch bei einem nur unwesentlich darüber liegenden Wahrscheinlichkeitswert von 93,6 %, dem ebenfalls nur die Aussage "Vaterschaft wahrscheinlich" zukommt, nicht anders entschieden hätte.

Soweit es im Rahmen der Restitutionsklage auf das hypothetische Ergebnis des Ausgangsverfahrens ankommt, ist zwar darauf abzustellen, wie der frühere Prozess vom Rechtsstandpunkt des früheren Richters aus bei Kenntnis des neuen Gutachtens zu entscheiden gewesen wäre (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 580 Rz. 5), und nicht etwa - wie zum Beispiel im Regressprozess (BGH v. 28.9.2000 - XI ZR 6/99, BGHZ 145, 256 [261]; BGHZ 72, 328 [330]) darauf, wie unter diesen Umständen nach der Auffassung des mit der Restitutionsklage befassten Gerichts nach damaliger Rechtslage richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Denn im Regressprozess ist die Rechtsauffassung des früheren Richters im Ausgangsverfahren zwischen anderen Parteien für das erk. Gericht nicht bindend. Das Restitutionsverfahren, mit dem die Rechtskraft der früheren Entscheidung durchbrochen werden soll, hat hingegen nicht die - den wirklichen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., vor § 578 Rz. 1) - Rechtsmitteln vorbehaltene Aufgabe, auch eine Nachprüfung der in der früheren Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung zu ermöglichen, zumal im Restitutionsverfahren nicht eine höhere Instanz, sondern dasselbe Gericht entscheidet (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 580 Rz. 35).

7. Zu Recht hat das OLG die Frage des hypothetischen Ausgangs des früheren Verfahrens daher erst in der zweiten Stufe, in der es um die Begründetheit der Restitutionsklage geht, geprüft:

Soweit in einem Restitutionsverfahren in einem ersten Abschnitt die Zulässigkeit der Klage zu prüfen ist, kommt es lediglich darauf an, ob die formalen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme vorliegen, vor allem also, ob ein neues Gutachten vorliegt und der Kläger unter Berufung darauf einen Wiederaufnahmegrund behauptet (vgl. Wieczorek/Schlüter, ZPO, 3. Aufl., § 641i Rz. 15). Ob diese Behauptung schlüssig ist und zutrifft, ob also das neue Gutachten in der Tat geeignet ist, die Richtigkeit der früheren Entscheidung zu erschüttern, ist erst nach Bejahung der Zulässigkeit zu prüfen, nämlich wenn im zweiten Verfahrensabschnitt über das Vorliegen des Restitutionsgrundes zu befinden ist (vgl. BGH, Urt. v. 5.4.1984 - IX ZR 78/83, MDR 1984, 1021 = FamRZ 1984, 681 [682]; AK-ZPO-Künkel, § 641i Rz. 8). Nur bei begründeter Wiederaufnahme kommt es sodann in der dritten Stufe des Restitutionsverfahrens zu dem ersetzenden Verfahren, in dem entweder neu entschieden oder aber die frühere Statusentscheidung bestätigt wird. Erst in diesem Verfahrensabschnitt können nunmehr alle Beweismittel ausgeschöpft werden, und auch die Bindung an die in der früheren Entscheidung vertretene Rechtsansicht entfällt, weil erst jetzt deren Rechtskraft durchbrochen ist und dasselbe Gericht (in gleicher oder anderer Besetzung) das Ausgangsverfahren fortsetzt, indem es über die Hauptsache neu verhandelt (§ 590 Abs. 1 ZPO).

II.

Die Restitutionsklage ist nicht begründet.

1.Ob eine noch durchzuführende DNA-Analyse eine eindeutige Aussage über die Vaterschaft des Beklagten ermöglichen würde, wie das neue Gutachten ausführt, ist unerheblich. Denn das neue Gutachten muss nach der klaren Regelung des § 641i Abs. 1 ZPO allein oder i. V. m. den in dem früheren Verfahren erhobenen Beweisen geeignet sein, die Grundlage des früheren Urteils zu erschüttern, und nicht erst i. V. m. noch zu erhebenden Beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 25.6.1980 - IVb ZR 520/80, FamRZ 1980, 880 [881]).

2. Aus den gleichen Gründen kommt es auch nicht auf die in dem neuen Gutachten angestellte Vermutung an, die Mutter des Klägers würde angesichts gewandelter ethisch-moralischer Auffassungen bei einer erneuten Vernehmung anders aussagen und nunmehr einräumen, in der Empfängniszeit mit drei Männern verkehrt zu haben, was möglicherweise infolge des dann möglichen gleichzeitigen Ausschlusses zweier von ihnen Einfluss auf die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten haben könnte. Zudem ist Letzteres nicht recht verständlich, weil die Mutter des Beklagten den Verkehr mit insgesamt drei Männern - wenn auch nach und nach in drei verschiedenen Aussagen - bereits eingeräumt hat und (unabhängig von einer erneuten Vernehmung oder einer vom im Gutachten befürworteten gleichzeitigen Untersuchung aller) zwei dieser drei Männer längst als Vater ausgeschlossen sind, wie dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils im Ausgangsverfahren zu entnehmen ist.

3. Soweit das neue (Ergänzungs-)Gutachten das Ergebnis nahe legt, die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten betrage nach Essen-Möller 93,6 % und nicht, wie im Ausgangsverfahren angenommen, nur 91,5 %, ist dies nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Auffassung des OLG jedenfalls nicht geeignet, die damalige Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Mutter des Beklagten im Ausgangsverfahren in Frage zu stellen. Das Berufungsgericht des Ausgangsverfahrens hat diese Zeugin nicht nur als wenig glaubwürdig angesehen, weil sie in zwei früheren Verfahren nachweislich falsch ausgesagt hatte, sondern ihre dritte Aussage zudem als wenig glaubhaft beurteilt, weil ihre detaillierte Schilderung des Abends, an dem es zum Verkehr mit dem Beklagten gekommen sein soll, mit ihrer früheren Angabe vor dem Jugendamt unvereinbar sei und auch den Angaben des nicht völlig unglaubwürdigen Beklagten widerspreche. Das OLG folgert daraus, dass die Aussage der Zeugin selbst dann nicht anders zu würdigen wäre, wenn der einzige objektive Umstand, der für die Richtigkeit ihrer Aussage spricht, nämlich die statistische Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten, mit 93,6 % statt 91,5 % geringfügig höher als bisher zu veranschlagen wäre. Auch dann hätte die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe in der Empfängniszeit mit seiner Mutter geschlechtlich verkehrt, nicht mit der Folge des § 1600o BGB a. F. als erwiesen angesehen werden können. Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

4. Auch i. V. m. dem im Ausgangsverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. K., das aus erbbiologischer Sicht immerhin eine hohe Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft des Beklagten attestiert, wäre eine gegenüber 91,5 % auf 93,6 % erhöhte Wahrscheinlichkeit nach Essen-Möller nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Überzeugung des OLG nicht geeignet, den erforderlichen vollen Nachweis für die Vaterschaft des Beklagten zu erbringen. Ohne ein unterstützendes erbbiologisches Gutachten würde ein Blutgruppengutachten die Aussage "Vaterschaft praktisch erwiesen" erst ab einer Wahrscheinlichkeit nach Essen-Möller von 99,73 % rechtfertigen. Von diesem Wert ist eine Wahrscheinlichkeit von 93,6 %, wie das OLG ausführt, noch so weit entfernt, dass eine im erbbiologischen Gutachten bescheinigte "hohe Wahrscheinlichkeit" die verbleibende Unsicherheit nach seiner revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Auffassung nicht beseitigen könne und es deshalb bei der Abweisung der Klage verbleiben müsse.

5. Den Gründen des angefochtenen Urteils ist allerdings nicht zweifelsfrei zu entnehmen, ob das OLG davon ausging, das neue (Ergänzungs-) Gutachten belege unter Berücksichtigung der weiteren Blutgruppensysteme eine Wahrscheinlichkeit von 93,6 %, oder davon, es zeige lediglich die theoretische Möglichkeit auf, dass sich die Wahrscheinlichkeit bei einer noch durchzuführenden Untersuchung dieser weiteren Systeme auf bis zu 93,6 % erhöhen könne.

Soweit der Sachverständige in seinem ergänzenden Gutachten v. 19.12.2000 ausführt,

"dass die Berechnung der Vaterschaftswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung der damals möglichen Systeme, kombiniert mit den im Gutachten Prof. G. untersuchten Systemen mit den heutigen biostatischen Berechnungsmöglichkeiten, bei 93,6 % liegen würde",

ist dies jedenfalls nach der Auffassung des Senats so zu verstehen, dass die Wahrscheinlichkeit nach Essen-Möller sich nur dann auf bis zu 93,6 % erhöhen könnte, wenn ein noch durchzuführender Vergleich der weiteren, seinerzeit noch nicht einbezogenen Blutgruppensysteme ergäbe, dass einige oder alle dieser zusätzlichen Merkmale bei sämtlichen untersuchten Personen übereinstimmen. Dem Gutachten ist aber weder zu entnehmen, dass der Sachverständige Prof. Se. diesen Vergleich bereits angestellt hätte, noch wird das Ergebnis eines solchen Vergleichs mitgeteilt.

Im Ergebnis macht es jedoch keinen Unterschied, ob das OLG die höhere Wahrscheinlichkeit von 93,6 % als gegeben angesehen oder aber - richtigerweise - im Rahmen der Prüfung, ob der im neuen Gutachten aufgezeigte Mangel des Vorgutachtens die Grundlagen der Entscheidung des Ausgangsverfahrens erschüttern könne, diesen Wahrscheinlichkeitswert nur gedanklich als gegeben unterstellt hat, um daraus den Schluss zu ziehen, dass auch die größtmöglichen Auswirkungen dieses Mangels auf ein so geringfügiges Ausmaß beschränkt sind, dass dies eine andere als die im Ausgangsverfahren getroffene Entscheidung nicht würde rechtfertigen können.

III.

Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Grundrecht des Klägers auf Kenntnis seiner Abstammung könne in Fällen der vorliegenden Art nur dadurch verwirklicht werden, dass die Restitutionsklage aus verfassungsrechtlichen Gründen zugelassen werde und das Gericht in deren Rahmen eine erneute erbbiologische Begutachtung beider Parteien - nunmehr anhand einer DNA-Analyse - anordne. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es nicht geboten, die Anordnung weiterer Beweiserhebungen, die das Gesetz der dritten Stufe des Restitutionsverfahrens vorbehält, bereits in der zweiten Stufe vorzusehen, nämlich im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Restitutionsgrundes, oder ein Restitutionsverfahren gar schon dann stattfinden zu lassen, wenn der Restitutionskläger ein neues Gutachten nicht vorlegt, sondern erst erstrebt.

1. § 641i ZPO ist verfassungskonform. Dies gilt auch, soweit diese Vorschrift keine Handhabe zur Beschaffung neuer Beweismittel bietet, insbesondere nicht, wenn hierzu die Mitwirkung eines hierzu nicht bereiten Gegners oder Dritten erforderlich ist (vgl. BT-Drucks. V 3719, 42). Das hat das BVerfG bereits bestätigt (vgl. BVerfG BVerfGE 35, 41 = FamRZ 1973, 442 [444]), indem es ausführt, mit dieser Vorschrift werde dem Gebot materieller Gerechtigkeit in angemessener Weise Genüge getan. Diese Aussage ist insbesondere vor dem Hintergrund der abweichenden Meinung des Verfassungsrichters v. Schlabrendorff zu sehen, der die erweiterte Möglichkeit der Wiederaufnahme als unzureichend ansah, weil der Restitutionskläger nur sehr schwer in den Besitz eines neuen Gutachtens kommen könne, zumal es ihm verwehrt sei, den Gegner zur Mitwirkung an einer neuen Begutachtung zu zwingen (vgl. BVerfG BVerfGE 35, 41 = FamRZ 1973, 442 [448]). Diesem Argument hatte sich die Mehrheit nicht angeschlossen.

2. Es besteht auch kein Grund zu der Annahme, dass das BVerfG dies aus heutiger Sicht, namentlich vor dem Hintergrund gewandelter Anschauungen über die Bedeutung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung, möglicherweise anders beurteilen würde.

Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung einschließt, ist nicht schrankenlos gewährleistet. Es kann nach Art. 2 Abs. 1 GG nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung ausgeübt werden. Insbesondere ist die gerichtliche Klärung der eigenen Abstammung nur auf Grund gesetzlicher Ausgestaltung möglich. Diese verletzt Art. 2 Abs. 1i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG erst dann, wenn der Gesetzgeber dabei einen verfassungswidrigen Zweck verfolgt oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (vgl. BVerfG v. 31.1.1989 - 1 BvL 17/87, MDR 1989, 423 = FamRZ 1989, 255 [258]). Das ist bei den Einschränkungen, die § 641i ZPO für Restitutionsverfahren der vorliegenden Art vorsieht, ersichtlich nicht der Fall.

Das Recht des Klägers auf Kenntnis seiner Abstammung ist bereits weitgehend durch die Möglichkeit gewährleistet, Klage auf Feststellung der Vaterschaft gegen den zu erheben, den er als seinen Vater vermutet, und die Entscheidung darüber in mindestens einem weiteren Rechtszug überprüfen zu lassen. Darüber hinaus hat er die Möglichkeit, selbst nach Rechtskraft einer solchen Entscheidung unter den Voraussetzungen und im Rahmen des § 641i ZPO eine erneute gerichtliche Prüfung im Wiederaufnahmeverfahren herbeizuführen. Diese Möglichkeit geht über die sonstigen Möglichkeiten, rechtskräftige Urteile mit der Restitutionsklage zu bekämpfen (§ 580 ZPO), bereits insoweit erheblich hinaus, als sie im Gegensatz zur allgemeinen Regelung des § 586 ZPO an keine Frist gebunden ist und zudem keine Beschwer voraussetzt.

Wenn § 641i ZPO diese Möglichkeit eröffnet, auch noch nach vielen Jahren die Rechtskraft eines Statusurteils zu durchbrechen und damit die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen, der gerade für die Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen beträchtliches Gewicht zukommt (vgl. BVerfG v. 26.4.1994 - 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90, FamRZ 1994, 881 [882]), ist es nicht unverhältnismäßig, wenn das Gesetz diese Möglichkeit in anderer sachdienlicher Weise beschränkt.

Insbesondere ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Restitutionsklage nur demjenigen offen steht, der bereits über Beweismittel in Gestalt eines Sachverständigengutachtens verfügt, die im Ausgangsverfahren noch nicht berücksichtigt werden konnten und die frühere Entscheidung in Frage zu stellen geeignet sind, nicht aber demjenigen, der solche Beweismittel, namentlich wenn sie eine Mitwirkung des in Anspruch Genommenen erfordern, erst mit Hilfe des Restitutionsverfahrens zu erlangen versucht. Denn auch der in einem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren erfolglos als Vater in Anspruch Genommene hat ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht darauf, nicht immer schon dann erneut auf Mitwirkung an einer Begutachtung in Anspruch genommen werden zu können, wenn der wissenschaftliche Fortschritt Methoden der Vaterschaftsfeststellung ermöglicht, die den im Ausgangsverfahren angewendeten Methoden überlegen sind (vgl. BT-Drucks. V 3719, 42).

Dieser Schutz des Restitutionsbeklagten im Vaterschaftsfeststellungsverfahren braucht bei der erforderlichen Abwägung gegenüber dem Grundrecht auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht zurückzustehen, weil Letzteres kein Recht auf Verschaffung solcher Kenntnisse verleiht, sondern nur vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen durch staatliche Stellen schützen kann (vgl. BVerfG v. 6.5.1997 - 1 BvR 409/90, MDR 1997, 741 = NJW 1997, 1769 [1770]). Gibt der erneut als Vater in Anspruch Genommene durch seinen Antrag auf Abweisung der Restitutionsklage zu erkennen, dass er nicht bereit ist, an einer erneuten Begutachtung mitzuwirken, werden die Kenntnisse, die hierdurch hätten erlangt werden können, dem Restitutionskläger nicht durch das Gericht oder andere staatliche Stellen vorenthalten, sondern in rechtlich schutzwürdiger Weise durch den Beklagten selbst.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1050050

BGHZ 2004, 153

NJW 2003, 3708

BGHR 2003, 1408

FamRZ 2003, 1833

FuR 2004, 174

NJW-RR 2004, 216

FPR 2004, 111

MDR 2004, 943

FamRB 2004, 43

JAmt 2004, 197

LMK 2004, 5

ProzRB 2004, 65

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