Entscheidungsstichwort (Thema)

Bauauftragsvolumen 15 Mio. Euro. Vertragsstrafenklausel von 10 % als unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers. Vertrauensschutz für Verträge bis 30.06.2003

 

Leitsatz (amtlich)

a) Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel mit einer Obergrenze von 10 % in einem Bauvertrag mit einer für die Vertragsstrafe maßgeblichen Abrechnungssumme ab 15 Mio. DM ist auch dann unwirksam, wenn der Vertrag vor dem Bekanntwerden der Entscheidung des BGH v. 23.1.2003 (BGH v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 = BGHReport 2003, 594 = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647) geschlossen worden ist.

b) Bei Verträgen unterhalb einer Abrechnungssumme von 15 Mio. DM kann Vertrauensschutz nur für Verträge in Anspruch genommen werden, die bis zum 30.6.2003 geschlossen worden sind.

 

Normenkette

AGBG § 9 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 16.12.2002; Aktenzeichen 18 U 11/01)

LG Wiesbaden

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des OLG Frankfurt/M. v. 16.12.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt die Herausgabe einer Bürgschaft über 2.084.000 DM Zug um Zug gegen Übergabe einer Bürgschaft über 193.200 DM.

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die B. GmbH, schloss als Auftraggeberin mit der Beklagten einen Generalunternehmervertrag über die Errichtung eines Geschäftshauses in D. zum Pauschalfestpreis von 18.908.000 DM. Der Vertrag enthielt folgende Regelung zur Vertragsstrafe:

Vertragsstrafe gemäß den "Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen - VOB -" wird vereinbart und beträgt bei Überschreitung des Fertigstellungstermins 0,2 % der Bruttoabrechnungssumme pro Arbeitstag (Montag bis Freitag), bei Überschreitung der vertraglichen Zwischentermine (vgl. Ziff. 5.3) 0,2 % der bis zum Zeitpunkt des Zwischentermins zu erbringenden Leistungen pro Arbeitstag (Montag bis Freitag), insgesamt jedoch max. 10 % der Bruttoabrechnungssumme.

Die Beklagte erhielt Bürgschaften nach § 648a BGB über insgesamt 5.084.000 DM, eine davon über 2.084.000 DM.

Die B. GmbH hat die Herausgabe der Bürgschaft über 2.084.000 DM Zug um Zug gegen Übergabe einer Bürgschaft über 193.200 DM verlangt, weil die durch die Bürgschaft gesicherte Vergütungsforderung i.H.v. 1.890.800 DM durch Aufrechnung mit einem Vertragsstrafenanspruch erloschen sei. Das LG hat der Klage stattgegeben. Die B. GmbH hat ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten. Diese hat den Rechtsstreit mit deren Einverständnis fortgeführt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Auf das Schuldverhältnis finden die Gesetze in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).

I.

Das Berufungsgericht bejaht einen Vertragsstrafenanspruch i.H.v. 1.890.800 DM. Es erkennt deshalb nach Antrag der Klägerin. Das Berufungsgericht führt aus, es könne dahin stehen, ob die Vertragsstrafenklausel unter das AGB-Gesetz falle oder ob es sich um eine zwischen den Parteien individuell ausgehandelte Klausel handele. Ein Verstoß gegen § 9 AGBG liege jedenfalls nicht vor. Die Vertragsstrafe sei nicht verschuldensunabhängig vereinbart, weil die Klausel einen unmissverständlichen Hinweis auf die VOB/B und damit auf § 11 VOB/B enthalte. Die Höhe der vereinbarten Vertragsstrafe begegne mit 0,2 % der Auftragssumme pro Arbeitstag und maximal 10 % der Auftragssumme keinen Bedenken. Die Voraussetzungen für den Vertragsstrafenanspruch lägen vor. Die Beklagte habe jedenfalls den für die Obergeschosse 2 bis 4 vereinbarten Fertigstellungstermin nicht eingehalten und sei mit ihren Leistungen in Verzug geraten.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. In der Revision ist davon auszugehen, dass die Vertragsstrafenklausel eine von der B. GmbH gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung ist. Die Revision wendet sich allein gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, diese Klausel halte im Hinblick auf die Obergrenze von 10 % der Inhaltskontrolle stand. Diese Rüge hat Erfolg. Die Klausel ist gem. § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam.

1. Soweit das Berufungsgericht annimmt, die Klausel begründe keinen verschuldensunabhängigen Vertragsstrafenanspruch, steht das in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2001 - VII ZR 432/00, BGHZ 149, 283 [287] = BGHReport 2002, 362 = MDR 2002, 575).

2. Der Senat hat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden, dass eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel in einem Bauvertrag den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt, wenn sie eine Höchstgrenze von über 5 % der Auftragssumme vorsieht (BGH, Urt. v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 [324] = BGHReport 2003, 594 = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647). Eine vor dem Bekanntwerden dieser Entscheidung vereinbarte Vertragsstrafenklausel ist allerdings nicht allein deshalb unwirksam, weil sie eine Obergrenze von 10 % enthält. Das verbietet der Vertrauensschutz. Dieser Vertrauensschutz ist durch Entscheidungen des Senats begründet, die eine Obergrenze von 10 % für Verträge mit einem Auftragsvolumen mit bis zu ca. 13 Mio. DM in der Vergangenheit unbeanstandet hingenommen haben (BGH, Urt. v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 [324] = BGHReport 2003, 594 = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647).

3. Vertrauensschutz ist einem Auftraggeber hingegen zu versagen, soweit sich aus den früheren Urteilen des BGH ergibt, dass die Vertragsstrafenobergrenze von 10 % für bedenklich gehalten wird. Aus der Entscheidung des Senats v. 25.9.1986 (BGH v. 25.9.1986 - VII ZR 276/84, MDR 1987, 309 = BauR 1987, 92 [93] = ZfBR 1987, 35) ergeben sich Hinweise darauf, dass auch auf der Grundlage der damaligen Rechtsauffassung eine Obergrenze von 10 % der Bruttoauftragssumme bei deutlich höheren Auftragssummen als ca. 13 Mio. DM nicht mehr hinnehmbar ist. Dem liegt erkennbar die Erwägung zu Grunde, dass bei einem hohen Auftragsvolumen die Vertragsstrafe von 10 % der Auftragssumme den Unternehmer erheblich härter treffen kann als bei niedrigen Auftragsvolumen, teilweise hin bis zur Gefährdung seiner Existenz.

4. Der Senat hat bisher nicht entschieden, ab welcher der Vertragsstrafe zu Grunde zu legenden Abrechnungssumme Vertrauensschutz nicht in Anspruch genommen werden kann. Im Urteil v. 23.1.2003 (BGH, Urt. v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 [324] = BGHReport 2003, 594 = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647) hat er dargelegt, dass jedenfalls bei einem Abrechnungsvolumen von 28 Mio. DM kein Vertrauensschutz mehr zu gewähren ist. Der Senat nimmt den vorliegenden Fall zum Anlass, die Grenze festzulegen, ab der Vertrauensschutz nicht mehr in Anspruch genommen werden kann. Auszugehen ist davon, dass insb. die Entscheidung des Senats v. 25.9.1986 (BGH v. 25.9.1986 - VII ZR 276/84, MDR 1987, 309 = BauR 1987, 92 [93] = ZfBR 1987, 35) ein Vertrauen darauf entwickelt hat, dass bei Abrechnungssummen von bis zu ca. 13 Mio. DM die Obergrenze von 10 % unbedenklich ist. Dieser Entscheidung lag ein Auftrag mit einer Abrechnungssumme von 13.202.203,90 DM zu Grunde. Der Senat hat entschieden, dass sich der auf 10 % der dort maßgeblichen Angebotssumme festgesetzte Höchstbetrag der Vertragsstrafe unter Berücksichtigung der Zwecke einer derartigen Strafe in einem noch vertretbaren Rahmen hält. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass der Rahmen zwar noch nicht erreicht, jedoch nahezu ausgeschöpft ist. Unter Berücksichtigung dieses engen Spielraums und auch des Umstandes, dass sich die wirtschaftliche Situation bei der Vergabe von Bauaufträgen nicht so entwickelt hat, dass eine Erhöhung des Rahmens ernsthaft in Betracht gekommen wäre, hält der Senat einen Vertrauensschutz ab einem Abrechnungsvolumen von 15 Mio. DM für nicht mehr gerechtfertigt. Maßgebend ist die für die Berechnung der Vertragsstrafe vertraglich zu Grunde zu legende Abrechnungssumme.

5. Danach kann die Klägerin den Vertrauensschutz nicht in Anspruch nehmen. Die von ihr verwendete Klausel hält der Inhaltskontrolle nach § 9 Abs. 1 AGBG nicht stand.

6. Der Senat weist auf Folgendes hin: Nach seinem Urteil v. 23.1.2003 (BGH, Urt. v. 23.1.2003 - VII ZR 210/01, BGHZ 153, 311 [324] = BGHReport 2003, 594 = MDR 2003, 804 = CR 2003, 647) kann Vertrauensschutz ohnehin nur bis zum Bekanntwerden dieser Entscheidung in Anspruch genommen werden. Der Senat hat seinen Hinweis dahin verstanden, dass seit der Verkündung des Urteils ein angemessener Zeitraum vergehen kann, in dem die betroffenen Verkehrskreise durch Medien oder auf andere Weise über die Änderung der Rechtsprechung informiert werden oder es ihnen zumutbar ist, sich selbst zu informieren. Dieser Zeitraum ist mit dem 30.6.2003 abgelaufen.

III.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses hat zu klären, ob die Klausel individuell vereinbart ist. Der Senat weist darauf hin, dass das nach dem von der Revisionserwiderung in Bezug genommenen Vortrag nicht der Fall sein dürfte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1212017

NWB 2004, 3195

BGHR 2004, 1543

BauR 2004, 1609

DWW 2004, 266

EBE/BGH 2004, 4

NJW-RR 2004, 1463

EWiR 2004, 1005

IBR 2004, 561

WM 2005, 894

ZAP 2004, 1270

ZIP 2004, 1855

ZfIR 2004, 990

MDR 2005, 29

ZfBR 2005, 47

BTR 2004, 287

BrBp 2005, 29

NZBau 2004, 609

ZGS 2004, 364

BBB 2004, 58

BauRB 2004, 353

IWR 2004, 74

JbBauR 2005, 337

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