Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob eine Feststellung des Haftpflichtanspruchs i. S. v. § 154 Abs. 1 S. 1 VVG durch Anerkenntnis des Versicherungsnehmers (oder des Insolvenzverwalters über das Vermögen des Versicherungsnehmers) vorliegt, ist unabhängig davon zu beurteilen, ob das Anerkenntnis im Deckungsverhältnis eine zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung darstellt (§ 5 Nr. 5 i. V. m. § 6 AHB, § 154 Abs. 2 VVG)

 

Normenkette

VVG § 154; AHaftpflichtVB (AHB) § 5 Nr. 5; AHaftpflichtVB (AHB) § 6

 

Verfahrensgang

OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 27.03.2003; Aktenzeichen 8 U 232/02)

LG Osnabrück

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 27.3.2003 insoweit aufgehoben, als im Verhältnis zur Beklagten zu 4) zum Nachteil der Klägerin, auch im Kostenpunkt, entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde und die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 3. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin nahm die Beklagten zu 1) bis 3) als Vertragspartner eines Bauvertrages über eine Bioabfallkompostierungsanlage und die Beklagte zu 4) als Berufshaftpflichtversicherer der in Konkurs gefallenen Beklagten zu 3) wegen Baumängeln als Gesamtschuldner auf Zahlung von circa 1,3 Mio. DM in Anspruch. Zur Begründung der unmittelbaren Inanspruchnahme der Beklagten zu 4) - um die es im Revisionsverfahren nur noch geht - hat die Klägerin sich auf § 157 VVG berufen und weiter vorgetragen, der Konkursverwalter über das Vermögen der Beklagten zu 3) habe den gegen diese wegen der Baumängel erhobenen Anspruch anerkannt. Die Beklagte zu 4) hat sich darauf berufen, die Beklagte zu 3) habe Bauleistungen erbracht, für die der Versicherungsschutz bedingungsgemäß ausgeschlossen sei.

Die Klage gegen die Beklagte zu 3), die mit der Planung, der örtlichen Bauleitung und zum Teil als Generalunternehmerin beauftragt war, wies das LG durch rechtskräftig gewordenes Teilurteil v. 7.3.2001 als unzulässig ab, weil über deren Vermögen bereits vor Klageerhebung das Konkursverfahren eröffnet worden war. Durch Schlussurteil v. 24.7.2002 entschied das LG u. a., dass die Beklagten zu 1), 2) und 4) als Gesamtschuldner an die Klägerin 458.705,51 EUR nebst Zinsen und die Beklagte zu 4) weitere 1.789,52 EUR nebst Zinsen zu zahlen haben.

Auf die Berufung dieser Beklagten wurden die Beklagten zu 1) und 2) unter Klageabweisung im Übrigen nur noch zur Zahlung von 13.549,23 EUR verurteilt und die Klage gegen die Beklagte zu 4) vollständig abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat sie hinsichtlich der Beklagten zu 1) und 2) zurückgenommen. Hinsichtlich der Beklagten zu 4) hat der Senat die Revision zugelassen, mit der die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt im angefochtenen Umfang zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an den für das Versicherungsvertragsrecht zuständigen Senat des Berufungsgerichts (§ 563 Abs. 1 S. 2 ZPO).

I. Das Berufungsgericht hat sich mit dem von der Beklagten zu 4) (im Folgenden nur noch: Beklagte) zur Begründung der Berufung geltend gemachten Risikoausschluss für Bauleistungen inhaltlich nicht befasst. Es hat die Klage vielmehr entsprechend seinen erstmals in der mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken abgewiesen, weil der der Klägerin nach § 157 VVG i. V. m. §§ 4, 49 KO zustehende Direktanspruch gegen die Beklagte nicht fällig sei. Im Falle des Konkurses des Schädigers sei der Direktanspruch gegen dessen Haftpflichtversicherer erst fällig, wenn der Schadensersatzanspruch gem. § 154 Abs. 1 VVG durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis i. S. v. § 154 Abs. 2 VVG oder Vergleich zur Konkurstabelle festgestellt worden sei. Ein bloßes Anerkenntnis des Konkursverwalters reiche nicht aus. Die Klägerin habe lediglich vorgetragen, ihr Absonderungsrecht ggü. dem Konkursverwalter geltend gemacht zu haben. Dass dieser das Absonderungsrecht i. S. v. § 154 Abs. 2 VVG anerkannt habe oder dass die Forderung der Klägerin zur Konkurstabelle festgestellt worden sei, stehe nicht fest. Der Vortrag der Klägerin dazu im nicht nachgelassenen Schriftsatz v. 15.3.2003 biete keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsurteil ist schon deshalb rechtlich nicht haltbar, weil es die Klageabweisung verfahrensfehlerhaft auf die mangelnde Fälligkeit des Anspruchs nach § 154 VVG gestützt hat. Zu Recht rügt die Revision, dass das Berufungsgericht verpflichtet gewesen wäre, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Durch die Nichtberücksichtigung des Vortrags der Klägerin im Schriftsatz v. 15.3.2003 hat es deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH v. 11.2.1999 - VII ZR 399/97, BGHZ 140, 365 [371 f.] = MDR 1999, 671; Urt. v. 5.11.2003 - VIII ZR 380/02, BGHReport 2004, 261, unter II 2c m. w. N.) ist die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung geboten, wenn sich aus dem neuen Vorbringen ergibt, dass nur so die Verletzung des rechtliches Gehörs geheilt werden kann. Eine Wiedereröffnung ist danach notwendig, wenn erhebliches neues Vorbringen darauf beruht, dass ein Gericht einen von seinem Standpunkt aus erforderlichen Hinweis erst in der mündlichen Verhandlung erteilt hat und eine sachlich erhebliche Stellungnahme der Partei dazu erst nach deren Schluss möglich war.

b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Berufungsgericht hat die von ihm für entscheidungserheblich gehaltene Frage der Fälligkeit des Direktanspruchs erstmals in der mündlichen Verhandlung problematisiert, wobei sich weder aus dem Protokoll noch dem Urteil ergibt, welche konkreten Hinweise es erteilt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Frage der Feststellung des Haftpflichtanspruchs gem. § 154 Abs. 1 VVG weder vorgerichtlich noch im gerichtlichen Verfahren zwischen den Parteien streitig gewesen. In erster Instanz hatte die Klägerin vorgetragen, der Konkursverwalter habe den Schadensersatzanspruch vorgerichtlich dem Grunde und weitestgehend auch der Höhe nach anerkannt. Dem hat die Beklagte nicht widersprochen. Sie hat das von der Klägerin behauptete Anerkenntnis des Konkursverwalters in keiner Weise angezweifelt. Das ist auch in dem von der Beschwerdeerwiderung genannten erstinstanzlichen Schriftsatz der Beklagten v. 21.5.2001 mit dem Hinweis auf das Urteil des BGH v. 30.6.1964 (BGH, Urt. v. 21.5.2001 - VI ZR 108/63, VersR 1964, 966) nicht geschehen. Das Urteil betrifft gerade nicht den Fall des Anerkenntnisses des Haftpflichtanspruchs durch den Konkursverwalter. Die Beklagte hat vielmehr in der Berufungsbegründung unmissverständlich vorgebracht, dass einzig über die Auslegung des von ihr geltend gemachten Haftungsausschlusses für Bauleistungen gestritten worden sei. Im selben Sinne, dass es allein um diesen Risikoausschluss geht, hat auch die Klägerin die Verteidigung der Beklagten verstanden, worauf sie in dem Schriftsatz v. 15.3.2003 hingewiesen hat. Die Klägerin, die in erster Instanz überwiegend obsiegt und selbst keine Berufung eingelegt hatte, hatte deshalb keinen Anlass, von sich aus im Berufungsverfahren zum Anerkenntnis des Haftpflichtanspruchs durch den Konkursverwalter weiteres vorzutragen. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, dass der Hinweis des Berufungsgerichts auf die fehlende Fälligkeit die Klägerin im Termin überraschen musste. Da das Berufungsgericht den Hinweis nicht, wie grundsätzlich geboten, geraume Zeit vor dem Termin erteilt hatte, konnte es von der Klägerin billigerweise nicht erwarten, dazu sogleich eine fundierte Stellungnahme abzugeben. Es hätte deshalb von sich aus der Klägerin durch Vertagung oder Hinweis auf ein Schriftsatzrecht eine angemessene Frist einräumen müssen. Da dies nicht geschehen ist und der Schriftsatz der Klägerin v. 15.3.2003 erheblichen Vortrag zum Anerkenntnis des Konkursverwalters und zur Feststellung des Haftpflichtanspruchs zur Konkurstabelle enthält, hätte das Berufungsgericht die mündliche Verhandlung wieder eröffnen und der Klägerin ggf. Gelegenheit zur Präzisierung des Vortrags und zum Beweisantritt geben müssen.

2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu § 154 VVG sind auch in der Sache rechtsfehlerhaft. Es hat diese Vorschrift missverstanden, weil es nicht hinreichend zwischen dem Haftpflichtverhältnis und dem versicherungsrechtlichen Deckungsverhältnis unterschieden hat.

Zutreffend ist allerdings, dass § 157 VVG dem Geschädigten bei Insolvenz des Versicherungsnehmers ein Recht auf abgesonderte Befriedigung an der Versicherungsforderung einräumt und er den Haftpflichtversicherer des Schädigers - anders als sonst - ohne Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen kann. Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Versicherer ist aber - wie beim Zahlungsanspruch des Versicherungsnehmers - weiter, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gem. § 154 Abs. 1 S. 1 VVG festgestellt worden ist, weil dieser durch § 157 VVG keine weiter gehende Rechtsstellung als der Versicherungsnehmer erlangt (vgl. BGH, Urt. v. 7.7.1993 - IV ZR 131/92, MDR 1994, 559 = VersR 1993, 1222, unter 1b; und v. 9.1.1991 - IV ZR 264/89, VersR 1991, 414 f., jeweils m. w. N.; Baumann, BK, § 157 VVG Rz. 5 ff.; Bruck/Möller/Johannsen, VVG, 8. Aufl., Bd. IV, B 103). Eine solche Feststellung kann nach dem Gesetz auch durch ein Anerkenntnis der Schadensersatzforderung erfolgen, sei es durch den (nicht insolventen) Versicherungsnehmer, sei es durch den Konkursverwalter/Insolvenzverwalter. Davon zu unterscheiden ist nach dem in der Haftpflichtversicherung geltenden Trennungsprinzip (vgl. dazu BGH, Urt. v. 20.6.2001 - IV ZR 101/00, MDR 2001, 1167 = BGHReport 2001, 630 = VersR 2001, 1103, unter II 2; und zuletzt v. 18.2.2004 - IV ZR 126/02, z.V.b.), ob der Versicherer im Deckungsverhältnis an ein ohne seine Zustimmung abgegebenes Anerkenntnis gebunden ist. Das ist grundsätzlich nur dann nicht der Fall, wenn ein solches Anerkenntnisverbot in den Schranken des § 154 Abs. 2 VVG als Obliegenheit mit der Sanktion der Leistungsfreiheit im Versicherungsvertrag vereinbart ist (vgl. § 5 Nr. 5 i. V. m. § 6 AHB, § 6 Abs. 3 VVG) und der Versicherer sich mit Erfolg darauf berufen kann (vgl. dazu BGH, Urt. v. 18.12.1980 - IVa ZR 51/80, VersR 1981, 328, unter III; und v. 12.2.1969 - IV ZR 539/68, VersR 1969, 413, unter III; OLG Celle v. 1.3.2001 - 13 U 103/00, VersR 2002, 602 f.). Die vom Berufungsgericht offenbar vertretene Auffassung (so auch Langheid in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 154 Rz. 5, 8), eine Feststellung des Haftpflichtanspruchs gem. § 154 Abs. 1 S. 1 VVG durch Anerkenntnis liege nur vor, wenn die Voraussetzungen des § 154 Abs. 2 VVG erfüllt seien oder der Versicherer zugestimmt habe, ist deshalb nicht richtig. Sie vermischt das Haftpflichtverhältnis mit dem Deckungsverhältnis und übersieht, dass § 154 Abs. 2 VVG sich nur auf eine Vereinbarung der Leistungsfreiheit im Deckungsverhältnis bezieht, die im Übrigen nicht ohne weiteres den Verlust des Deckungsanspruchs zur Folge hat.

III. Eine abschließende Entscheidung durch den Senat ist nicht möglich, weil es hierzu an den erforderlichen Feststellungen fehlt.

Das Berufungsgericht wird zu klären haben, ob der Haftpflichtanspruch durch Anerkenntnis des Konkursverwalters oder rechtskräftige Feststellung zur Tabelle festgestellt worden ist. Auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung des Anerkenntnisverbots hat sich die Beklagte weder vorgerichtlich noch in den Tatsacheninstanzen berufen. Ob sie das noch nachholen kann und ob die Voraussetzungen der Leistungsfreiheit überhaupt vorliegen, lässt sich nach dem bisherigen Prozess-Stoff nicht beurteilen.

Zu dem von der Beklagten bisher allein geltend gemachten Leistungsausschluss für Bauleistungen fehlt es an jeglichen Feststellungen. Die Beklagte beruft sich hierfür auf Ziffer V 1b des Vertragsteils E, der die Berufshaftpflichtversicherung für Architekten und Bauingenieure betrifft. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass die Gemeinschuldnerin die Haftpflichtversicherung auch für andere Bereiche ihrer beruflichen Tätigkeit abgeschlossen hatte und für den Anspruch auf Versicherungsschutz möglicherweise auch die weiteren Vertragsteile von Bedeutung sind.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1132070

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